Vom Eiffelturm in die Psyche von U2
Die Bäckstage-Redaktion ist in unregelmässigen Abständen bei Konzerten im Ausland. Dabei spielt die Auswahl schon eine Rolle und Wiederholungen versuchen wir zu vermeiden. Allerdings sind seit dem letzten Besuch bei U2, damals 2015 in Berlin, schon circa drei Jahre vergangen. Zudem war die Tour als Begleitung für die beiden Alben «Songs of Innocence» und «Songs of Experience» geplant, somit läuft aktuell der zweite Teil des Konzeptes. Alles gute Gründe und die Stadt an der Saine war dann nur noch der entscheidende Faktor.
Wie wenn Paris sich für uns von der besten Seite zeigen wollte, erstrahlte der Himmel über Frankreichs Hauptstadt in strahlendem Blau. Besonders beeindruckend zeigte sich das Wetter als Kulisse für Sacré-Coeur de Montmartre. Die Basilika, für die der Grundstein 1875 gelegt wurde, leuchtete förmlich in Weiss, rund um sie klickten Kameras und verkauften Händler Souvenirs, dazu zeigten Tänzer ihre Künste und die Treppe zum Eingang der Kirche war mit Menschen gefüllt. Schliesslich ist Sacré-Coeur eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Paris. Im Innern herrschte dafür eine respektvolle und andächtige Stimmung. Menschen aus aller Welt schauten sich im beeindruckenden Prachtsbau um und bestaunten die Deckenmalerei.
Geniale Aussicht vom Eiffelturm
Von Sacré-Coeur führte uns der Weg direkt zum Eiffelturm. Glücklicherweise mussten wir nicht lange anstehen. Tickets vorher online kaufen, war eine gute Idee. Mit dem beeindruckend schnellen Lift flogen wir fast auf die zweite Plattform des Turms. Nicht, ohne vorher die Sicherheitsvorkehrungen zu passieren. Wie am Flughafen wird vor dem Eiffelturm kontrolliert. Dafür wird, wer schwindelfrei ist, mit einer grandiosen Aussicht über die Stadt der Liebe belohnt. Von Notre Dame über den Louvre bis zum Arc de Triomphe ist vom Turm, der zur Weltaustellung von 1889 errichtet wurde, gut zu sehen. Spannend ist, dass Gustave Eiffel, der den Turm entwarf, zur Eröffnung mit einer Gruppe an Mutigen persönlich auf den Turm kletterte, um die französische Fahne zu hissen, weil der Fahrstuhl noch nicht fertig war. Doch schon drängte uns die Zeit, um in die Accor Hotels Arena zu kommen, wo kurz vor 18 Uhr sicherlich schon die ersten Leute im Innenraum auf Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr. warteten.
Szenenwechsel: Etwas 30 Minuten vor Konzertbeginn und vor der Halle herrschte noch rege Aktivität. Für uns etwas ungewohnt erschienen die kaum zu übersehenden Sicherheitsmänner mit scharfen Maschinengewehren. Ein ambivalentes Gefühl von Sicherheit und dunkeln Erinnerungen an die Ereignisse von 2015 rund um das Bataclan, als beim Konzert der Eagles of Death Metal 90 Menschen durch ein Attentat zu Tode kamen. U2 wollten 2015 in der Accor Hotels Arena eine Live-DVD aufzeichnen und waren darum am Tag des Attentats in der Stadt. Aus Pietäts- und Sicherheitsgründen wurde damals die U2-Show verschoben und später mit Unterstützung von Patti Smith und den Eagles of Death Metal nachgeholt. Das Konzert ist als eindrückliches Live-Dokument im Handel erhältlich.
Zurück in die Gegenwart. Unsere Plätze hatten wir bewusst auf der Tribüne direkt gegenüber des gewaltigen beweglichen Screensm gewählt. Denn dieser spielt bei der aktuellen Tour eine zentrale Rolle. Der Screen ist durchsichtig, 29 Meter lang und knapp 7 Meter hoch und steht zentral auf dem Catwalk, der Main- und Side-Stage verbindet. Abgesehen von der Grösse erscheint der Screen ausser Betrieb unspektakulär, aber in ihm und in der Halle ist ein von U2 gezielt entwickeltes Soundsystem versteckt. Irgendwann begann sich der Screen von unten nach oben in weisses Rauschen zu tauchen. Man hörte eine Rede, während erste Bilder von Politikern wie Trump und Putin zu sehen waren und zum Schluss Charlie Chaplin in seiner brillanten Rolle als Adolf Hitler in «The Great Dictator». U2 ohne Politik, gibt es nicht. Dann setzte der Sound ein, satt und laut. Von der Band noch immer nichts zu sehen. Schatten blitzten zwar auf dem Screen, übermenschlich gross und schwarz. Immer noch war keiner der vier Iren zu sehen. Überraschend flackerte links ein erstes Mal Adam auf, kurz darauf direkt daneben The Edge. Die Band stand – inklusive Schlagzeug - mitten im Screen, der inzwischen circa zwei bis drei Meter über der Bühne schwebte. Eindrücklich, selbst wenn man wusste, dass der Screen begehbar ist.
Dann: «The Blackout», «Lights of Home» und für den Klassiker «I Will Follow» verliess die Band den Screen erstmals, rockte jetzt in bester U2-Manier auf der Mainstage. Bonos Stimme schien zu halten, Berlin 2 und der Konzertabbruch waren vergessen, auch wenn er ja nie der beste Sänger im Rockbusiness war. Muss er nicht, bei U2 harmoniert seine Stimme. Überhaupt zündete die Energie zwischen den vier Freunden, die inzwischen seit 42 Jahren gemeinsam Musik machen, von den ersten wuchtigen Klängen an. Die beiden oben erwähnten Platten, auf denen die Tour basiert, beschäftigen sich mit den Wurzeln und wenn man so will, der Psyche der Band und insbesondere mit jener von Bono. Das zeigte sich bei Songs wie «Iris (Hold Me Close)», der Verarbeitung der früh verstorbene Mutter sowie «Cedarwood Road», jener Strasse, in der U2 aufwuchsen. Dazu flimmerten auf dem Screen Visuals eben jener Strasse, während Bono von rechts nach links im Screen spazierte, schlenderte The Edge auf dem Catwalk von links nach rechts, was quasi die Verbundenheit der Band, das Aufeinander zugehen, symbolisierte. Bedenkt man, dass sich die Band Anfang der 90er-Jahre beinahe aufgelöst hätte, ist das schön zu sehen.
Bono verlässt den Saal durch die Zuschauer
Das Highlight im ersten Teil der Show war aber schon «Sunday Bloody Sunday», wenn auch in einer stark reduzierten Version, in der alle vier Musik über den Catwalk liefen, selbst Larry Mullen jr. mit einer umgehängten Trommel. Der Song über die Unruhen in Nordirland brachte U2 in den frühen Achtzigern erstmals eine grosse Aufmerksamkeit und ist zusammen mit «New Year’s Day» auch quasi die Blaupause für die politischen U2. Beide Songs waren in Paris konsequenterweise im Set. Generell war die Setlist für Fans gemacht. Mal abgesehen davon, dass schrägerweise sämtliche Songs aus «The Joshua Tree» ignoriert wurden, bekam dafür «Achtung Baby» mit vier Songs viel Platz im Set und nicht zuletzt der Fanliebling «Acrobat» sorgte für Begeisterung. Nach gut zwei Stunden und «13 (Song for Someone)» schloss sich der Kreis zwischen den beiden «Songs»-Platten und Bono verabschiedete sich durch eine schmale Gasse mitten durch Zuschauer.
Die Inszenierung mit dem beweglichen Screen und den passenden Visuals funktioniert hervorragend und beeindruckt technisch. Allerdings wäre etwas mehr Flexibilität in der Setlist nicht falsch. Zwar fand in der zweiten Paris Show «All Because Of You» für «Red Flag Days» ins Set, aber insgesamt variieren U2 kaum. Vielleicht ist das dem doch recht engen Korsett der Show und den gesampelten Streichern geschuldet. Ein zweiter Punkt ist, dass «Songs of Innocence» mit nur zwei Songs gegenüber den acht Songs aus «Songs of Experience» etwas untervertreten war, aber das verbuchen wir mal unter kreativer Freiheit. Ansonsten zeigten U2 in gut zwei Stunden, weshalb sie so viele Fans anlocken – alleine in Paris spielten sie viermal vor ausverkauftem Haus. Sie sprühen nach 42 Jahren Bandgeschichte ohne personellen Wechsel vor Spielfreude und ziehen ihre zugegen leicht pathetische Mischung aus Musik und Politik kompromisslos durch. Eine Frage, die bei uns auftauchte, war, wieso U2 die Streicher sampeln, anstatt live zu spielen. Sie bleibt unbeantwortet. Vielleicht wäre eine Tour mit grossem Orchester für die Zukunft eine schöne Idee für U2.
U2 sind – ob man sie nun mag oder nicht - noch immer relevant. Der Screen ist technisch state of the art und es erstaunt, wie sauber auch die neuen Songs live klingen. Die Setlist hätte ein, zwei Überraschungen mehr bieten können, aber insgesamt hat sich der Ausflug nach Paris gelohnt.