Vertrauen ist oft mehr wert, als das große Geld.
Über zwei Jahrzehnte gibt es das poolbar//festival in Feldkirch in Österreich bereits. Da es nahe der Schweizer Grenze liegt, ist das stilvolle Festival auch hier durchaus ein Thema. Wir nutzten die Chance und befragten den einen Geschäftsführer Herwig Bauer zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Festivals. Er spricht offen aus dem Nähkästchen und gibt interessante Einblicke.
Als Einstieg würde ich gerne wissen, was für euch das poolbar//festival besonders macht?
Das Zusammenspiel vieler Dinge: Ein vielseitiges und ausgesuchtes Programm zwischen «Nischen und Pop», das auch Kabarett, Literatur, Tanz oder Film berücksichtigt. Die einzigartige Location eines stilvollen, alten Hallenbades – und das mitten in einem Park gleich beim Stadtzentrum. Die liebevolle Gestaltung auf allen Ebenen – von der Grafik über Mode bis hin zur jährlich neuen architektonischen Gestaltung des Geländes. Und: Das Festival dauert einen Sommer lang und die Leute kommen gezielt zu ihren Lieblingsbands – dementsprechend gut ist die Stimmung und das Verständnis zwischen KünstlerInnen und Publikum. Bei großen Festivals ist das ja oft anders: da stehen 20.000 vor der Bühne, und 15.000 warten hauptsächlich auf die Band danach oder reden über die Band davor. Ah, und das bunt gemischte Publikum aus allen Szenen, allen Ländern, allen Schichten, aller Altersgruppen.
Das Festival besticht durch ein sehr vielseitiges Programm. Wie entscheidet ihr, was ins Programm aufgenommen wird? Worauf wird der Fokus gelegt?
Große Namen sind uns generell natürlich herzlich willkommen, wenn das, was sie machen, in unseren Augen richtig gut ist. Wir wollen aber v.a. dafür stehen, dass man zum poolbar//festival kommen kann, auch ohne die Bands zu kennen – dass man darauf vertrauen kann, dass man bei uns Großartiges entdecken kann, manchmal auch die Stars von morgen.
In der Programmgruppe wird viel diskutiert, wir sind uns nicht immer einig – und genau diese vielfältigen Interessen einiger Musik-Nerds machen es dann wohl auch aus.
Wie wertvoll sind Kontakte, die über die Jahre entstanden sind, wenn es darum geht, einen Act zu bekommen?
Vertrauen ist oft mehr wert als das große Geld. Letzteres haben wir nicht, daher ist unsere Hauptwährung Vertrauen, dass die Agenturen und Bands über die Jahre zu uns aufgebaut haben. Wir versuchen die Acts technisch, gastronomisch und menschlich hervorragend zu betreuen und ihnen perfekte Rahmenbedingungen und ein enthusiastisches Publikum zu bieten. Wenn das zuverlässig gelingt, schicken die Agenturen ihre besten Pferde zu uns.
Wie sehr hat sich das Programm über die Jahre bewährt? Gab es Programmpunkte oder Bands, wo ihr komplett am Publikum vorbei gebookt habt?
Es gibt kein Rezept – wir müssen uns permanent in Frage stellen und wach bleiben, dementsprechend entwickelt sich das Programm permanent weiter. Immer wieder werden wir positiv überrascht, welche Veranstaltungen, die wir eher als «gewagt» eingestuft hatten, ausverkauft sind. Manchmal – zum Glück selten – wird uns auch schmerzhaft vor Augen geführt, dass große Namen alleine nicht genügen: My Bloody Valentine war so eine schmerzhafte Erfahrung: Für uns im Programmteam waren sie Ikonen und eine ausverkaufte Halle garantiert. Gekommen sind dann vielleicht 200 (statt 1.000). Aber das war alles etwas strange: Während sie in England und Japan vor 20.000 Menschen gespielt hatten, wurden auf dem Europäischen Festland zahlreiche Shows abgeblasen, weil schlicht keine Tickets verkauft werden konnten.
Das Festival gibt es inzwischen seit 22 Jahren. Wie hat alles angefangen?
Ursprünglich wollte ich nur eine künstlerische Workshop-Reihe anbieten. Ich habe dann auch Kurse von Grafik über Theater, Film, Pantomime bis hin zu Glasblasen organisiert, und mit Unterstützung von Freunden wurde ein brach liegendes Gebäude aufgepeppt, so dass dort die meisten Workshops parallel stattfinden konnten. Der Gedanke war, dass zwischen den Teilnehmenden ein Austausch stattfinden sollte – daher war auch alles für abendliche Zusammenkünfte vorbereitet. Die Workshopteilnehmer jedoch verschwanden unmittelbar nach Kursende jeweils prompt – nur der Freundeskreis versammelte sich immer um den Bierzapfhahn und feierte, und von Tag zu Tag kamen mehr Leute von Außen dazu. Meine Freunde beschlossen spontan, eine Rocky Horror Night zu veranstalten, die dann auch von uns allen exzessiv abgefeiert wurde. Und eine räudige Noiseband mit Punkattitüde fragte mich, ob sie nicht bei uns auftreten könnten. So kam es ungeplant zum ersten Konzert, die Basis für das poolbar//festival war gelegt und der Mastermind der Band blieb für die folgenden 17 Jahre unser Grafiker.
Hat man die Idee sofort unterstützt oder wurden euch Steine in den Weg gelegt?
Der damalige Kulturamtsleiter Feldkirchs, Albert Ruetz, war von Anfang an sehr hilfsbereit und hatte sogar seine privaten Räumlichkeiten angeboten. Und auch vom Land kam Unterstützung – der damalige Kulturlandesrat Hans-Peter Bischof hielt sogar eine Abschlussrede. Aber natürlich gab es auch mehr als genug Bremser und Verhinderer. Aber wir hatten offenbar den längeren Atem.
Wie seid ihr auf das ehemalige Hallenbad des Jesuitenordens in Feldkirch als Location gekommen?
Im ersten Jahr waren wir im Pförtnerhaus des Landeskonservatoriums – also direkt gegenüber des alten Hallenbades. 1995 aber wurde das Pförtnerhaus saniert und zum noblen Veranstaltungsort, wir mussten weiter ziehen. Aber nicht weit: auf der anderen Seite der Parkwiese stand ja das alte Hallenbad leer. Eine offizielle Genehmigung hat uns die Stadt dafür jahrelang nicht erteilt – aber wir wurden finanziell ein bisschen unterstützt und im Gebäude «geduldet», das hat uns genügt.
Impressionen vom poolbar//festival 2015: Bilder von © Matthias Rhomberg
Besonders ist jedes Jahr die Einrichtung, die ihr international zum Designen ausschreibt. Wie ist diese Idee entstanden? Wie ist gross ist jeweils das Interesse?
Das ist einerseits aus dem gestalterischen Interesse entstanden, das auch Basis für die Workshops war, und war andererseits der Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen: Das alte Hallenbad war ja eine Ruine mit nicht funktionstüchtiger Infrastruktur. Wir mussten ohnehin Duschtrennwände und defekte WCs rausreißen und eine improvisierte Infrastruktur installieren – und wenn man das macht, kann man es ja auch gleich mit Stil machen. Wir beauftragten daher zunächst befreundete Gestalter, nach einigen Jahren schrieben wir einen internationalen Wettbewerb aus – das machten wir 10 Jahre lang mit Erfolg und vielen spannenden Projekten. Erst 2015 aber kehrten wir in Sachen poolbar-Gestaltung wieder zu unseren Ursprüngen zurück und haben den poolbar//generator, eine Workshopreihe, die wir 2014 im Bereich Musik gestartet hatten, genutzt, um den Fokus nicht mehr nur auf Musik zu legen, sondern zusätzlich auch auf Mode, Grafik, Licht, Visuals, Street Art – und eben Architektur. Mehr als 60 Leute haben mitgewirkt und Großartiges geschaffen.
Was passiert nach dem Festival mit der Einrichtung?
Manche Dinge werden mehrjährig eingesetzt und also eingelagert, andere - v.a. Lichter und Möbel - werden verkauft, vieles ist geliehen und wird retourniert. Und der Rest wird entsorgt – aber wir versuchen, möglichst wenig Müll zu produzieren.
Wie viele Menschen sind inzwischen vor, während und nach dem Festival aktiv beteiligt?
Heike Kaufmann und ich sind die beiden Geschäftsführer. Wir sind das ganze Jahr intensiv mit dem poolbar//festival beschäftigt. Im Organisationsteam sind wir ca. 25 Leute, das gesamte Team vor Ort umfasst ca. 130 Leute. Wichtig dabei: Niemand arbeitet ehrenamtlich (außer es will mal jemand nur schnell mal ein paar Flyer verteilen), alle werden fair bezahlt.
Ein Thema, das in letzter Zeit bei Festivals immer wieder zur Sprache kommt, sind die Gagen. Wie beurteilt ihr die Entwicklung der Gagen über die Jahre? Gibt es Acts, die ihr nicht «mehr» buchen könnt?
In den vergangenen Jahren sind die Gagen spürbar gestiegen – nein: explodiert. Natürlich gibt es Acts, die nicht mehr leistbar sind. Einerseits, weil sie inzwischen Hallen füllen und natürlich größere Locations bespielen wollen, andererseits weil der Markt die Gagen hochgetrieben hat. Das hat mich bis vor Kurzem noch nervös gemacht. Aber 2015 hat gezeigt: Die Menschen sind neugierig und vertrauen dem poolbar//festival: 2015 hatten wir viele Acts, die wahnsinnig gut, aber außerhalb ihrer Szenen noch nicht sonderlich bekannt sind. Und diese «Perlen» waren die ganz großen Attraktionen, alle wollten sie sehen. Wir emanzipieren uns also gerade quasi vom «Namedropping» – das macht das ganze (auch für das Publikum) leistbar und für alle Beteiligten spannend.
Gibt es einen Act, den ihr besonders gerne im Programm hättet?
Ich hätte gerne Shellac und Slint, aber auch doch wieder nicht Leistbares: Alt-J, Foals, Leonard Cohen.
Und handkehrum, gibt es einen Act, bei dem ihr im Nachhinein bereut, dass ihr gebucht habt?
Ja. Passiert sehr selten, aber doch gelegentlich.
Wo liegen die grössten Schwierigkeiten, beim Organisieren eines Festivals dieser Grössenordnung?
Die Finanzierung ist zunächst die größte Herausforderung. Dann der Kommunikationsfluss im Team so, dass alle wissen, was sie für ihre Arbeit wissen müssen und wollen, aber auch nicht mit unnötigem Wissensballast überschüttet werden, sodass das Wichtige - und das ist oft ohnehin schon irre viel – nicht in den Hintergrund gerät. Und dann natürlich soll alles so gut organisiert sein, dass genug Reserven für Improvisation vorhanden sind, sodass kein unnötiger Stress entsteht. Daraus entwickelt sich dann eine positive Teamstimmung, die sich auch aufs Publikum und die Künstler überträgt. Diesen Idealfall hatten wir 2015 – und hoffentlich auch in Zukunft immer wieder.
Die wildesten Stories aber hätten unsere Künstlerbetreuer zu bieten – aber es ist wohl besser, wenn wir nicht alles erfahren. Wobei Exzesse die Ausnahme sind: Die meisten namhaften Künstler, die zu uns kommen, sind intelligente Profis.
Habt ihr Pläne für die Zukunft? Wie wird sich das Festival entwickeln, wenn es nach euch geht?
Wir wollen von Jahr zu Jahr besser werden. Nicht unbedingt größer, aber einfach auch in Details liebevoll und speziell bleiben.
Wie gross ist das Budget des poolbar//festivals?
Ca. 750.000 Euro.
Wie funktioniert die Kulturförderung in Österreich? Bekommt ihr finanzielle Förderung?
Von den 750.000 Euro stellen wir ca. 80% selber auf, also über Sponsoring, Eintritte, Gastronomie. Ca. 20% kommen von Stadt, Land und Bund.
2014 wurde das poolbar//festival mit dem Österreichischen Kunstpreis ausgezeichnet. Was bedeutet so eine Auszeichnung?
Das ist so ziemlich die höchste Auszeichnung, die man im Kulturbetrieb in Österreich erhalten kann. Das Motiviert das Team und macht uns stolz, und ich denke, es hat auch beim Publikum und bei Sponsoren/Partnern Positives bewirkt.
Nach 22 Festivaljahren gibt es bestimmt einige Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Kannst du unseren Lesern ein, zwei Perlen aus dem Nähkästchen erzählen?
Mir fällt bei solchen Fragen immer als erstes der poolbar-Gast ein, der vor vielen Jahren sturzbesoffen auf dem Dach des Nightliner-Anhängers einer Band ein Nickerchen machte. Ich habe ihn um 4 Uhr früh gerade noch entdeckt, bevor der Nightliner in Richtung Autobahn losgefahren ist.
Legendär auch die Story mit Marilyn Manson, dem wir zwar, wie gefordert, (mitten im Hochsommer) seine auf 17 Grad abgekühlten und schwarz verkleideten Backstage-Räume vorbereitet hatten, der sich aber geweigert hatte, die Bühne zu betreten, bevor wir ihm nicht einen Spiegel besorgten, in den sein Name eingraviert ist. Zum Glück machte ein befreundeter Graveur und Goldschmied für uns Überstunden.
Die wildesten Stories aber hätten unsere Künstlerbetreuer zu bieten – aber es ist wohl besser, wenn wir nicht alles erfahren. Wobei Exzesse die Ausnahme sind: Die meisten namhaften Künstler, die zu uns kommen, sind intelligente Profis.
- Mehr Infos zum poolbar//festival gibt es auf der Website des Festivals.
- Das poolbar//festival findet 2016 vom 8. Juli bis 20. August statt.
Das Interview wurde schriftlich geführt.