Daniel Radcliffe: «Verdammt, ich liebe meinen Job!»

Interview mit Daniel Radcliffe
Bildquelle: 
Zurich Film Festival

In der Rolle des Harry Potter ist der britische Schauspieler Daniel Radcliffe praktisch auf der grossen Leindwand erwachsen geworden. Im Rahmen des Zürich Film Festival war Radcliffe zu Gast und gab uns ein Interview. Natürlich wollten wir wissen, wie er Harry Potter heute sieht. Das Gespräch streifte aber auch seine Rollenwahl, die Karriereplanung und er hat Einblicke in die Dreharbeiten zu «Swiss Army Man» gebene, wo er eine furzende Leiche spielt. 

 

 

Was hast du gedacht, als du das Script zum Film «Swiss Army Man» zum ersten Mal gelesen hast? 

Also ich habe auf Anhieb gemerkt, was für eine schöne Geschichte es ist. Ich dachte: «Ok, lasst uns das anpacken!» Ich habe gelesen, dass es um einen suizidgefährdeten Mann geht, welcher sich mit einer Leiche anfreundet. Und ich dachte einfach: «Cool, das ist mal was Anderes.» Als ich dann auf der zweiten Seite von einem furzenden Jet-Ski gelesen habe, der über das Meer düst, fand ich das einfach toll. Das Drehbuch ist wirklich etwas Besonderes. Ich habe schon viele Scripts, auch viele merkwürdige, gelesen und den Unterschied zwischen diesem und einem gewollt komischen habe ich sofort bemerkt. Dies ist eine wirklich intelligente und menschliche Geschichte. Dann habe ich mir ein paar Musikvideos der Regisseure angeschaut und dachte: «Ok, wenn das irgendwer inszenieren kann, dann die beiden.» 

Ist das deine Art von Humor? Du schreibst ja selber gerade ein Drehbuch und der Humor ist ganz schön grotesk …

 

Ja also (zögert lange), ich glaube, mein Sinn für Humor ist ziemlich breit. Weil in «Swiss Army Man» variiert der Humor ja von «das ist unglaublich blöd» zu «das ist extrem clever». Es gibt da sowas Monty-Python-mässiges am Film. Aber ja, ich glaube schon, dass ich einen ziemlich schwarzen Humor habe. Aber das könnt ihr ja selber entscheiden, wenn ihr den fertigen Film seht. 

Eine Frage zu deinem bisherigen Karrierepfad: in welche Schublade willst du, jetzt nach deinem ersten, grossen Erfolg eigentlich gesteckt werden? Du bist ja Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler.

 

Ich habe schon immer gewusst, dass ich der Schauspielerei treu und in der Filmindustrie bleiben werde. Ich mache das ja schliesslich schon mein ganzes Leben lang. Damals war mir gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten ich noch habe. Und dann, gegen Ende der «Harry Potter»-Filme, haben mich die Leute gefragt: «Was machst du jetzt, da dein Leben zu Ende ist?» (Lacht) Du machst dir dann wirklich Gedanken und fragst dich: «Was ist, wenn sie Recht haben?» Mir gab das eine ganz neue Energie. Potter war zwar faszinierend, nicht jeder kann so seine Karriere starten, und ich bin extrem dankbar, dass ich diese Möglichkeit hatte. Aber jetzt kann ich an mir arbeiten und mir überlegen, was für eine Karriere ich ab jetzt haben möchte. Und klar, es gibt sicher viele Regisseure, die nicht unbedingt mit jemandem arbeiten möchten, der in seinem Leben fast nur eine Rolle gespielt hat. Aber es gibt auch solche, die es spannend finden, mich als eine neue Person auf der Leinwand einzuführen, meinen Charakter quasi neu zu erfinden. Wenn sich solche Möglichkeiten auftun, muss man sie einfach wahrnehmen. 

Wie wichtig war deine erste Theaterrolle in «Equus»?

Extrem wichtig. Um meine Karriere zu starten, war «Harry Potter» das Tollste, was mir passieren konnte. Um die Karriere zu haben, die ich nun möchte, ist «Equus» das Beste, was mir passieren konnte. «Equus» liess die Leute realisieren, dass ich wirklich Schauspieler, ein ernstzunehmender Schauspieler, sein möchte. 

Was war die schwierigste Szene in «Swiss Army Man»? Gab es eine Szene, in der man denken könnte, dass mit einem Dummy gedreht wurde, das aber in Wirklichkeit du warst?  

Schon ganz zu Beginn des Films, als wir die ganze Zeit im Wasser waren. Also die Szene, als er mich wie einen Jet-Ski fährt (lacht). Wir waren auf einem Floss, und ein Boot vor uns hatte eine verlängerte Kamera, und ich musste einfach so daliegen und meinen Rücken so krümmen, dass mein Gesicht immer über Wasser war. Das war schon anstrengend, aber das war ich. 

 

 

Das Innere eines Menschen ist doch einfach abstossend. Und das ist das wunderbare an diesem Film: er zwingt einen, die Beziehung zu deinem physischen Ich zu beleuchten und es ist dir auch erlaubt, so zu sein, wie du bist. Eine Hauptaussage des Films ist ja, dass Scham ein Hindernis für die Liebe ist.

 

 

Woody Harrelson hat gerade bei seiner Master Class gesagt …

… oh, hat er gesagt, dass es eine enthusiastische Klasse sein wird (lacht).

 

Ja, das hat er am Anfang gesagt. 

Toll, ich hab ihm am Abend vorher eben gesagt, dass er das sagen soll (lacht lauter). Sorry, ich hab dich unterbrochen.  

Kein Problem. Jemand hat ihn gefragt, ob es etwas gibt, was ihn jeden Tag antreibt. Eine Art Energie oder Kraft. Und seine Antwort war «die Liebe». Und ich wollte diese Frage jetzt an dich weitergeben. 

 

Ja, absolut. Ich glaube, es ist sogar das Gleiche. Vielleicht würde ich es nicht Liebe nennen. Es ist das Gefühl, welches ein Film in einem auslöst. Und das Gefühl, welches das Machen eines Films in einem auslöst. Weißt du, es gibt zwei Dinge, die in der Zukunft immer seltener werden: Erstens werden viele Stellen wegen der Automatisierung gestrichen. Das mag für uns in diesem Business nicht so schlimm sein, da wir ja kreativ sind und Dinge erschaffen. Wir müssen unsere Vorstellungskraft, unsere Fantasie, brauchen. An Filmsets musst du im Team arbeiten. Und das ist extrem erfüllend. Es fühlt sich an, als würde man in einem Orchester spielen. Ich liebe meinen Job, das hab ich auch den Regisseuren dieses Films gesagt. Sie dürfen nie aufhören, Leuten dieses Gefühl zu geben. Denn wir fühlten uns alle aussergewöhnlich. Und jetzt hab ich den Faden verloren (lacht). Aber verdammt, ich liebe meinen Job! 

 

Suchst du dir die Filme jetzt nach dem Kriterium aus «Wie lasse ich die Leute Harry Potter am besten vergessen»?

 

Nein, überhaupt nicht. Ich will gar nicht, dass die Leute Harry Potter vergessen! Ich würde auch all die Angebote nicht erhalten, wenn es Potter nicht gegeben hätte. Ich bin extrem dankbar für diese Filme. Vielleicht wird mir jetzt mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wenn ich eine neue Rolle annehme. Aber das macht ja jeder Schauspieler mal. Ich habe einfach fast zehn Jahre lang eine Rolle gespielt. Aber, sorry, es ist spät (lacht). Ich habe jetzt wieder völlig den Faden verloren. Wo war ich? Oh ja, genau. Also, ich will Potter keinesfalls zerstören oder so was in der Art. Ich möchte einfach mit meiner Karriere weitermachen. Ich bin momentan schon zufrieden, wie es läuft. 

 

Du warst gestern Nacht noch mit Woody Harrelson unterwegs …

Ja, das stimmt, er hat mir ein paar Ratschläge mit auf den Weg gegeben. Als ich dann schlafen gehen wollte und ihm sagte, dass ich früh ins Bett müsse, weil ich heute früh mit den Interviews anfange, fand er: «Junge, nach der Präsentation einer Filmpremiere fängst du nie vor zwei Uhr nachmittags an, zu arbeiten.» Also das ist schon ein guter Tipp. Aber ich trinke auch nicht mehr. Ich kann Spass haben, wenn ich mit meinen Freunden ausgehe. Ich liebe es, mit ihnen auszugehen, wenn sie betrunken sind. Und es macht mir auch Spass, sie betrunken zu machen (lacht). Natürlich ist es weniger lustig, wenn du als Einzige nüchtern bist unter lauter Fremden bist, die was trinken. 

 

Gab es einen speziellen Augenblick, in dem du dich entschieden hast, mit dem Trinken aufzuhören?  

Nein, keine besondere Gelegenheit, einfach eine Aneinanderreihung von vielen grauenhaften Augenblicken (lacht). Ich bin jetzt seit drei Jahren trocken und es geht mir definitiv besser. 

An einer Stelle im Film sagst du: «Mein Körper ist widerlich«. Hast du deinen Körper oder etwas an ihm während der Dreharbeiten irgendwie neu entdeckt?

 

Ja, es gab bestimmt ein paar Momente, in denen ich mich analysiert habe und dachte: «Das ist eklig». Das Innere eines Menschen ist doch einfach abstossend. Und das ist das wunderbare an diesem Film: er zwingt einen, die Beziehung zu deinem physischen Ich zu beleuchten und es ist dir auch erlaubt, so zu sein, wie du bist. Eine Hauptaussage des Films ist ja, dass Scham ein Hindernis für die Liebe ist. Wir werden dazu erzogen, uns wegen der normalsten Dinge zu schämen, Dinge die uns einfach menschlich machen. Es ist also irgendwie ein ekliger Film mit einer wunderschönen Botschaft über die Liebe und Akzeptanz. 

 

Mit welchen Adjektiven würdest du «Swiss Army Man» beschreiben?Hmm schwierig. Lustig, wunderschön, extrem blöd und clever zugleich. Weil in diesem Film so vieles widersprüchlich ist. Das macht die Magie des Films aus. 

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.  

«Swiss Army Man» läuft noch in den Schweizer Kinos. Unsere Kritik gibt es hier: Daniel als Leiche.  

 

Jasmin Ballmert / Mi, 02. Nov 2016