Florian Zeller «Anthony Hopkins musste sich seiner eigenen Mortalität stellen»

Interview mit Florian Zeller zu «The Father»
Bildquelle: 
2021 Ascot Elite Entertainment Group.

Am letztjährigen Zurich Film Festival stellte sich Florian Zeller, der Macher hinter dem mehrfach Oscar-prämierten «The Father», unseren Fragen zum Film. An dieser Stelle möchten wir anmerken, dass einige der besprochenen Punkte Inhalte aus dem Film verraten. Wer sich die Freude nicht verderben will, verschiebt die Lektüre vielleicht auf nach dem Kinobesuch.

 

Wie konntest du dich beim Schreiben so gut in die Lage des Protagonisten “Anthony” hineinversetzen?

Vieles beruht im Grunde auf reinem Instinkt. Mein Zugang war am Anfang ein sehr persönlicher. Ich wuchs bei meiner Grossmutter auf. Sie hatte erste Anzeichen von Alzheimer als ich 15 Jahre alt war, dadurch war ich direkt und unmittelbar betroffen. Aber mir war von Anfang an klar, dass immer alle in so einer Situation betroffen sind, dass es eine gemeinsame Story ist. Jemand hat einen Vater, jemand eine Grossmutter, wir alle müssen damit Lernen umzugehen, wenn die Kraft nachlässt, sei es die des Geistes oder des Körpers. Und das Kino eignet sich perfekt, um Erlebnisse mit anderen zu teilen. Oder beim Theater. Egal wo auf der Welt ich das Theaterstück aufgeführt habe, die Zuschauer haben immer alle gleich reagiert und ihre eigene persönliche Story mit uns geteilt. Das war schön.

 

Was hat dich gereizt dein Theaterstück nun auch ins Kino zu bringen?

Ich wollte das Theaterstück nicht 1:1 verfilmen, das wäre weder spannend noch herausfordernd. Ich wollte eine cineastische Version der Geschichte. Ich bin sehr vertraut mit dem Material, mit der Story, mit allen Emotionen, die auf dem Spiel standen. Ich blieb beim gleichen Narrativ, also der Grundidee, die Geschichte aus Sicht des Protagonisten zu erzählen, der seine Orientierung verliert. Die Zuschauer sollten einen speziellen, einzigartigen Weg zur Geschichte und zum Protagonisten finden. So als wären sie im Kopf des Hauptprotagonisten selbst, als könnten sie in ihn hineintauchen. Es war mir wichitg mit Disorientierung zu spielen und dabei die Möglichkeiten des Films auszuloten. Ich wollte, dass die Zuschauer diese Erfahrung mit ihm teilen, mit ihm durchleben. Und ich wollte dies nun auf eine Weise tun, die ich nur im Film machen konnte, nicht im Theater. Die Wohnung war so ein Instrument, mit dem ich die Disorientierung fühlbar machen konnte. Es gibt viele Metamorphosen, die die Wohnung durchlebt. Wände, die plötzlich verschwinden oder grösser werden. Die Wohnung verändert sich immer wieder ein wenig, von Szene zu Szene, ohne dass die Änderung offensichtlich ins Auge sticht, wie das bspw. im Theater der Fall gewesen wäre, wenn jemend das Set ändert. Diese kleinen unbemerkbaren, aber doch spührbaren Veränderungen wecken in den Zuschauern ein Unbehagen. Das war mir wichtig.

 

Als Zuschauer wird man sofort in den Film hineingezogen, man ist mitten drin, statt nur dabei. Wie wichtig war dir das?

Das Publikum ist klug. Das ist meine Grundhaltung. Ich liebe ein aktives Publikum, welches die Geheimnisse lüften will, ein Publikum das  Sinn in das Chaos des Protagonisten bringen will. Ein Publikum, welches Muster erkennt. Damit zu spielen war mir sehr wichtig. Der Film ist wie ein Puzzle aufgebaut und ich spiele dem Publikum immer mal wieder neue Puzzleteile zu. Und die Teile passen nie wirklich recht zusammen. Dies ist zugleich faszinierend wie auch frustrierend und erklärt den Sog des Filmes. Und der Moment kommt dann, wo du es loslassen musst. Wenn du verstehst, dass dein Hirn nicht in der Lage sein wird alles zu verstehen. Und wenn du es loslässt, dem Rationalen nicht mehr nachrennst, spührst du den Film auf einer neuen emotionalen Ebene. Dieses Erlebnis wollte ich mit dem Publikum teilen. Auch wenn es zwischendurch recht diffus und chaotisch ist, denke ich, dass am Schluss klar wird, wo man steht und was man weshalb durchgmacht hat. Die Geschichte ist sehr komplex und zugleich sehr simpel, das ist es, was ich wollte. (lacht) Ich wollte nicht, dass das Publikum nach 5 Minuten merkt, dass die Geschichte aus seinem Kopf heraus erzählt wird und dann abschaltet. Dies wäre zu einfach. Deshalb ist der Film grad auch zu Beginn wie ein Thriller umgesetzt. Du weisst nicht wo du bist, du zweifelst die Realität, von dem was du siehst, nicht an. Mir war es wichtig, dass das Publikum nicht mehr weiss als der Protagonist. Sondern alles mit ihm erlebt - ja durchlebt! Deshalb wollte ich Anthony haben, weil er der Master dieser Art von Atmosphäre ist.

 

Der Film besitzt auch Horror Momente.

Ich denke, am Anfang dieser Krankheit lebt man in einer Art Horrorfilm. Überall ist das Unerklärbare, das Ungewisse. Dinge gehen verloren, man findet sie plötzlich nicht mehr. Es ging mir nicht darum mentale Spielchen mit dem Publikum zu spielen, sondern diese Krankheit und ihre Symptome spürbar zu machen. Wir sind auf Anthonys Seite, wir erleben den Film und auch die Krankheit durch ihn. Wir als Zuschauer verlieren mit ihm zusammen die Orientierung und das einnehmend und beänstigend. Als Zuschauer machst du alle Emotionen mit. Anxiety, Angst, Wut, du verstehst es nicht und wirst agressiv. Ich wollte, dass das Publikum alle diese Emotionen durchlebt und erst am Ende dann versteht, was hier genau abläuft. Und dann ist es schmerzhaft, aber zumindest es ist nicht mehr furchterregend.

 

Wie war es mit Anthony Hopkins zu arbeiten?

Es war beinahe sehr einfach. Weil er so gut ist. (lacht) Ich schrieb das Script für ihn, ich hatte sein Gesicht im Kopf, als ich es schrieb. Deshalb heisst der Protagonist auch Anthony. Und weil der Protagonist seinen Namen trägt, musste sich Anthony Hopkins in gewisser Art und Weise auch seiner eigenen Mortalität stellen. Mir war immer bewusst, dass es kein einfaches Ziel ist, Hopkins zu bekommen. Ich bin nicht verrückt. Aber solange niemand zu dir kommt und sagt es ist unmöglich, heisst es, es ist potentiell möglich. (lacht) Ich habe mich einfach erneut auf meinen Instinkt verlassen und es so geschrieben in der Hoffnung er würde es dann auch spielen. Ich flog nach los Angeles, um mit Anthony zu Frühstücken und den Film zu besprechen. Es war ein wenig einschüchternd für mich, schliesslich sass mir dort Anthony Hopkins gegenüber. Aber nach zwei Minuten wussste ich, dass es mit ihm sehr einfach werden würde. Weil er eben sehr intelligent ist, aber auch bescheiden. Er liess mir als Regisseur Raum den Film zu drehen, den ich drehen wollte. Weil ich so vertraut war mit dem Material, spürte er wohl, dass ich wusste was ich wollte. Wir haben uns gegenseitig Vertrauen geschenkt, was das Ganze sehr viel einfacher machte. Er diente meiner Story und meiner Vision. Er ist ein sehr instinktiver Darsteller und ich merkte schnell, dass es eigentlich nicht sein natürlicher Prozess ist, die Dinge viel und lange durchzusprechen. Ich habe unter anderem auch deshalb den Entscheid getroffen, nicht viel zu Proben vor dem eigentlichen Dreh. Gleiches mit Olivia, ihr war diese Prozedur auch lieber. Sie sind beide sehr unterschiedlich, aber sie sind beide sehr bescheiden. Wir haben den Film sechs Wochen nach Olivias Oscargewinn gedreht und sie hat nie ein Ego-Problem. Für mich ist es ein Zeichen von Grösse, wenn jemand so bescheiden und dankbar bleibt, trotz grosser Erfolge.

 

Tanja Lipak / Do, 24. Jun 2021