David Byrne bringt fulminante Rhythmen nach Zürich

Konzertkritik: David Byrne im Theater 11
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Bäckstage

Musikliebhaber, Geniesser, Fans, ältere und jüngere Semester mitsamt Kindern: Sie alle kommen, wenn David Byrne zu einem Konzert seiner aktuellen «American Utopia»-Tour einlädt. Byrne, der Tausendsassa, Multiinstrumentalist, Autor und Sänger ist ein viel beschäftigter Mann. Mit der Band «Talking Heads» hat er in zwei Jahrzehnten acht Studioalben herausgebracht und tourte um die ganze Welt. Nach dem Ende der Band im Jahr 1991 arbeitete er hauptsächlich mit Elektronik-Pionier Brian Eno zusammen und ab 1981 sogar für ein paar Jahre intensiv im Theater- und Filmmilieu. Im März 2018 veröffentlichte David Byrne sein neustes Soloalbum mit dem Titel «American Utopia», auf welchem er erneut mit Langzeitkollaborateur Brian Eno an Sounds tüftelte. Die neue Show wird als konsequente Weiterführung des wegweisenden Talking Heads-Konzertfilms «Stop Making Sense» betrachtet. Kann Byrne die hohen Erwartungen erfüllen?

 

Bereits um acht Uhr abends soll das Konzert im Theater 11 in Zürich starten. Ganz ohne Vorband, David Byrne will wohl «all in» gehen. Die Zuschauer mögen es ihm gönnen, denn die Show ist bereits Wochen vorher ausverkauft. Im Saal wird man mit Vogelgezwitscher ab Band empfangen, welches sich gegen Beginn immer mehr in ein akustisches Gewitter verwandelt. Dann geht das Licht aus und man erblickt David Byrne, der mit dem Modell eines menschlichen Gehirns an einem Tisch in der Mitte der Bühne sitzt, welche mit herunterhängenden Ketten an drei Seiten einen hohen silbrigen Raum darstellt. Spartanisch beleuchtet erzählt Byrne im Song «Here» von den Vorgängen, die im Hirn stattfinden. Dann kommen sogleich die restliche Musiker - insgesamt zwölf Leute - auf die Bühne, welche ihre Instrumente ähnlich einer Guggenmusiktruppe mit einer Vorrichtung über den Schultern tragen und sich so völlig frei bewegen können. Dies wird rege genutzt, um diverse Choreographien zu den jeweiligen Songs zu präsentieren. Abgesehen vom erwähnten Tisch und einem Stuhl bleibt die Bühne komplett leer, zudem sind (fast) alle Personen darauf barfuss und in einem grauen Anzug gekleidet. Der druckvolle und mit vielen Rhythmen versehene Sound wird so noch intensiver und eindrucksvoller. 

 

Fotos: © Bäckstage 

 

Bereits beim zweiten Talking Heads-Song des Abends, «Slippery People», verwandelt sich der gestuhlte Theatersaal zunehmend in ein Tanzspektaktel, die Rhythmusfraktion lässt durch ihre hypnotisierenden Beats auch nichts anderes zu. Der Moment des Abends, die frühe Explosion, die Befreiung folgte wenig später. Beim Talking Heads-Song «This Must Be The Place (Naive Melody)» begannen zwei Besucher in der ersten Reihe zu tanzen. Ein Mann direkt hinter ihnen beschwerte sich, rief die Security und die wollte die Beiden zum Sitzen bewegen. Doch plötzlich wurde es ruhig im Saal. Byrne hatte seine Musiker zum Abbruch gebracht und meinte sinngemäss nur: «Sir, let them dance!». Es war die stimmungsmässige Eruption des Vulkans im Theater 11. 

 

Ab und an kommt dann doch ein wenig Ruhe in die Show, langweilig wird es aber deutlich nie. David Byrne versteht es wie ein Zauberer, das Publikum mit seiner Musik zu bezirzen und auch der Sound vermag auf allen Strecken zu überzeugen. Hut ab vor der Band, welche Musik aus vier Jahrzehnten mit Pop-, Reggae-, Rock-, Elektro- und Experimentaleinflüssen mit vollem Einsatz und Können umsetzte. 

 

Nach knapp Eindreiviertel Stunden ist der Abend auch schon vorbei, das Haus wurde musikalisch abgebrannt, dunkle Flecken sind auf den Anzügen der Spieler sichtbar und ein sichtlich ausgelaugt aber zufriedener David Byrne bedankt sich beim begeisterten Publikum.

 

Grosse Vorfreude auf einen genialen Tausendsassa: Trotzdem an wusste nicht so genau, was man erwarten sollte. Aber das kreative Hirn von David Byrne hat keine Sekunde enttäuscht. 

 

David Schaufelberger / Fr, 20. Jul 2018