Die Liebe auf den Strassen New Yorks

DVD-Kritik: Shelter
Bildquelle: 
© Impuls Pictures AG

Tahir lebt auf dem Strassen New Yorks, verliert sich ein wenig in der betörenden Anonymität jenseits der sozialen Zwänge. Als seine Sachen gestohlen werden, geistert er durch die Nacht, verzweifelt, mit sich und der Welt hadernd. Dabei fällt ihm Hannah auf. Die attraktive Frau fasziniert ihn, zieht ihn magisch an, zwischen gut gemeintem Beschützerinstinkt und der simplen Libido. Hannah eilt von Schuss zu Schuss, schnorrt dazwischen Zigaretten und Kleingeld, lebt für den Rausch, das süsse Vergessen und taucht ebenfalls in den Schutz der Häuserschluchten ab. Als sie sich auf Entzug das Leben nehmen will, rettet Tahir sie ohne zu zögern. Die beiden kommen sich näher, bewegen sich zwar am Ende der sozialen Pyramide, aber gemeinsam ist alles einfacher. Scheint es. Mit langen Gesprächen und romantischen Küssen im Regen vertreiben sie sich den Sommer, brechen ihn das Haus einer Familie ein, um während deren Abwesenheit vom unerreichbar scheindenden Leben zu kosten. Das Damoklesschwert in Form der Spritze hängt aber ständig über der zarten Bande, die Tahir und Hannah verbindet. Hannah entschliesst sich in der noblen Umgebung, einen Entzug zu machen. Das sei leichter, ist sie überzeugt.

 

Hannah fühlt sich oft einsam. (© Polyband) 

 

Hannah ist mit dem Entzug erfolgreich und sieht das Ziel, ihren Sohn wieder in die Arme zu schliessen in greifbare Nähe kommen. Dann tritt das Leben den beiden Liebenden mächtig in den Arsch. Tahir wird schwer krank und muss ins Spital. Hannah ist temporär auf sich alleine gestellt und fliegt aus der kargen Unterkunft («Das Appartement ist für zwei. Sie sind alleine!», meint der schmierige Vermieter), im Obachlosenayl kommt sie zu spät an. Und selbst wenn der Schnee bleiern fällt, findet sich manchmal doch noch eine Lösung.

 

Vom Regen in die Traufe 

 

Aber im Leben gibt es nichts umsonst. Das wird Hannah schmerzlich bewusst, während ihr das Sperma des Nachtwächters, der sie heimlich im Heizungskeller schlafen lässt, noch von der Stirn rinnt. Diese Szene bringt Hannah an den Punkt, an dem man sie beschützen möchte und ihr gleichzeitig ins Gesicht schreien. Eigentlich aus gutem Haus stammend, scheint sie ihr Leben wegzuwerfen. Doch trägt Hannah ein Schicksal mit sich. Mit einem simplen Kniff dreht sie wenige Tage später die Situation mit dem Nachtwächter zu ihren Gunsten. Tahir, wieder aus dem Krankenhaus entlassen, und Hannah gehen durch dick und dünn, überstehen sogar die jeweilige Vergangenheit, die eigentlich in sofortigem Doppelmord ausufern müsste. Dann haut der Bastard, der das Leben eben manchmal ist, gnadenlos zu.

 

 

«Shelter» ist eine bittersüsse Geschichte. Aber nicht tieftraurig, sondern auf eine brachial fragile Art wunderschön. Die scheue Pflanze der Liebe nutzt das Drehbuch sowohl als Auslöser für die Geschichte als auch als kittendes Moment. Alles, was passiert, schweisst Hannah und Tahir zusammen und doch ist der feinfühlig erzähle Film nie pathetisch, nie kitschig, nie hoffnungslos. Paul Bettany, selbst Schauspieler und Ehemann von Jennifer Connelly, gelingt ein berührender Independent-Film, der den exakt richtigen Ton in allen Lagen trifft.

 

Prächtige Bilder wechseln sich mit einen düsterdunklen, veregneten New York, wie man es aus «Taxi Driver» kennt. Die rabenschwarzen Abgründe der Welt offenbaren sich förmlich, während wenig später der unschuldige Schnee sich darüber legt. Diese symbolische Ambivalenz streift den Kontext und unterstreicht das Gefühl, beim Schauen von «Shelter». Natürlich ist «Shelter» überhaupt kein Film Noir, nutzt nicht einmal stilistische Elemente darauf. Nur New York wirkt in manchen Momenten wie der Schauplatz darauf. Der Film steht und fällt aber zweifellos mit den Darstellungen von Jennifer Connelly als Hannah und Anthony Mackie als Tahir. Die beiden harmonieren wunderbar. Ein Lachen von Connelly, ein trauriger Blick von Mackie und man versteht, was sie bewegt, begreift sie stumm. Und last but not least ist die Musik zu nennen. Sie sprengt und unterstreicht wenig subtil, lechzt nach Emotion und schafft durch den Kontrast - ohne Worte - starke Momente.

 

Intensiv! Heftig! Gnadenlos! Trostlos! Brachial gespielt! «Shelter» ist eine markerschütternde Indie-Entdeckung, die lange nachwirkt.

 

  • Shelter  (USA 2015)
  • Regie: Paul Bettany
  • Darsteller: Jennifer Connelly, Anthony Mackie
  • Laufzeit: ca. 101 Minuten
  • Veröffentlichung: 26. August 2016
  • Bei iTunes bereits zum Kaufen erhältlich. 

 

 

Patrick Holenstein / Di, 16. Aug 2016