Ethan Hawke: Mit Bob Dylans Songs lernte ich Gitarre spielen
Ethan Hawke gehörte schon immer zu den Intellektuellen in Hollywood. Bekannt geworden durch den «Club der toten Dichter», mauserte er sich in unabhängigen Produktionen zur Weltberühmtheit. Unvergessen sind seine zweistündigen Diskussionsdebatten mit Julie Delpy in den «Before»-Filmen. Umso gespannten waren wir, zu sehen wie redselig sich der US-Künstler (Regisseur, Schauspieler, Autor, Theatergründer usw.) in Locarno zeigen würde, wo er im August seinen neuen Film «Blaze» (unsere Filmkritik findest du hier) vorstellte. Für «Blaze» führte Ethan Regie und liess seine Liebe für Musik freien Lauf. Was ihn an Blaze Foley Lebensgeschichte so fasziniert hat, dass er ihn im Film verewigt, wie er selbst zum Musikmachen kam, warum er keine 0815 Trennung-Szenen drehen möchte und ob es einen weiteren «Before»-Film geben wird, erfahrt ihr im Interview.
Ethan, dein Film ist voller Herz und Seele. Musik scheint dir viel zu bedeuten. Spielst du ein Instrument?
Ich spiele Gitarre, aber nicht wirklich gut. Ich habe etwa zur gleichen Zeit mit der Schauspielerei und dem Gitarre spielen angefangen. Vielleicht deshalb, weil man beim Schauspielern immer wieder allein in seinem Trailer warten muss und sich bei einem Dreh alles schon sehr in die Länge ziehen kann. Es ist schwer etwas wirklich Wertvolles mit sich anzufangen in dieser Situation. Wenn du beispielsweise anfängst zu Lesen … (denkt nach) Kennst du das Gefühl, wenn dich jemand mitten in einer vertieften Lektüre unterbricht und du gefühlte zehn Minuten brauchst um wieder in der Realität Fuss zu fassen? Dein Buch war in Russland, deine Gedanken waren eben noch jene von Anna Karenina und plötzlich stehst du wieder im Hier und Jetzt. Es ist wirklich nicht einfach etwas zu Tun zu finden, bei dem du einfach aufhören kannst, wann du willst oder musst. Aber Musikspielen erfüllte das. Für mich ist es wunderbar einfach mal Musik zu machen und einen neuen Song auszuprobieren. Also brachte ich mir selbst das Gitarre spielen bei. Dabei half mir ein Bob Dylan Liederbuch. Und ich tue dies nun seit 30 Jahren und bin immer noch ein fürchterlicher Spieler, aber ich geniesse es vollkommen. Sobald ich die Gelegenheit erhalte bei einem Film Regie zu führen, kreisen meine ersten Gedanken sofort um die Musik. Ich weiss noch, wie ich bei einem Theaterstück auf den Regisseur zuging und ihm mitteilte, dass der von ihm gewählte Song am Schluss einfach der falsche ist. Er drehte sich zu mir um und meinte «Solltest du je Regie führen, kannst du den Song auswählen». Und ich dachte mir «Oh, I fucking will». Ich liebe Musik. Musik hat eine wunderbare Gabe, Menschen zueinander zu bringen, weit über dem was die Sprache schafft. Die Musik ist auch ein unglaublich mächtiges Instrument, um Stimmung zu erzeugen. Um die Seele zu heilen.
Dies bringt mich zur nächsten Frage: Wie bist du bei der Wahl der Lieder bei «Blaze» vorgegangen?
Es war ein Fest! Zuallererst stand Ben im Fokus: Ben als Blaze! Wäre dies nicht wunderbar? Dann kam als zweites die Frage, worum sich der Film drehen sollte. Als ich über «Living in the woods in a tree» stolperte, war ich sehr überrascht. Ich dachte, es wäre eine weitere glorifizierende Biografie, die das Leben eines Künstlers völlig verdreht. Und ich dachte es sei über Drogensucht. Aber es stellte sich heraus, dass es von einer jungen Frau handelt, die sich in diesen verrückten Kerl verliebt und mit ihm in einem Baumhaus wohnt. Es war nicht, was ich erwartet hatte. Ich lauschte den Songs und las, wie sie die Entstehung des Songs beschrieb. Und da erwachte in mir die Idee einer Oper. Wie wäre es, wenn ich sein Leben durch seine Lieder erzählen liesse? Zuerst sortierte ich die Lieder heraus, die sich um Sybell drehten. Das war ziemlich einfach (lacht). Die Songs habe ich anschliessend auf eine Zeitachse gelegt. Es ist erstaunlich, was dabei herauskam. Bei der Trennungsszene zum Beispiel. Wir habe schon tausende solcher Szenen gesehen, Mädchen und Knabe trennen sich, wer ist verantwortlich? Was werden sie daraus lernen? Was sagte sie, was sagte er? In ihren Memoiren beschrieb Sybill, wie Blaze nach einer langen Zeit auf Tour zu ihr heimkehrte und diesen Song «If I could only fly» vorsang. Sie wusste vom ersten Moment an, dass dieser Song das gewisse Etwas besass, um ein Klassiker zu werden. Und zugleich war ihr klar, dass sie sich trennen würden. Er wusste es zu diesem Zeitpunkt nicht. Nicht mal ansatzweise. Sie entgegnete ihm, dass sie durchaus Hoffnung für die Beziehung pflegen würde, hiesse der Song «If we could only fly», aber so lautete er nun mal nicht. Und als er starb und sie seine alten Tapes fand, sagt er dies sogar auf einem davon. Dass er es «If we could only fly» hätte nennen sollen. Dies ist genau, was ich an der Zeit so liebe. Momente in Momenten. Die beste Art und Weise, ihre Trennung zu zeigen, war es, diesen Song spielen zu lassen. Nicht mehr.
Du spielst in Filme und Theater, schreibst Roman und führst Regie. Was treibt dich an?
Neulich las ich ein Zitat von Dennis Hopper. In letzter Zeit beschäftige ich mich stark mit Hopper, keine Ahnung woher das kommt. Jedenfalls erzählte er wie er als Kind die verschiedenen Künste nie als unterschiedlich wahrnahm. Fotografie, Tanz, Poesie, Schauspiel, Regie, sie alle finden im Kunsthaus statt. Und alles was er wusste war, dass er in dieses Kunsthaus wollte. Und es konnte ihm nicht gleichgültiger sein in welcher Disziplin. Er traf James Dean und fand Schauspiel ganz toll, dann würde er darauf einen Fotografen kennenlernen und dies nun als seine bevorzugte Kunst sehen, danach kamen Autoren und plötzlich waren Romane sein Ding. Ich kann dies sehr gut nachvollziehen, weil es mir genauso ergeht. Es gibt so viele verschiedene Wege, sich auszudrücken, dass ich mich nicht nur mit einem Weg zufriedengeben könnte. Meine Schwester war immer in Ballett vernarrt und ich habe selbst Ballett nie verstanden bis … (bricht ab). Aber ich mag Ballett heute sehr gerne. Es ist faszinierend wie sich Menschen durch Bewegungen äussern können und eine Geschichte zu erzählen vermögen. Letztens habe ich mir Baryshnikov angesehen und ich war komplett berührt, ohne genau erklären zu können warum. Es ist nicht intellektuell, wie bei einem Satz. Dieser Satz rührte mich und er bezog sich auf den Satz zuvor. Entweder du bist mitgenommen oder nicht. Für mich war es sehr genügsam, dreissig Jahre Schauspielerfahrung zu nehmen und sie mit jemanden zu teilen, der noch nie vor einer Kamera gespielt hat und ihn durch den Prozess zu führen. Insbesondere jemanden der derart begabt ist, Ben hat unglaubliches Talent. Und er hat ein inneres Feuer und möchte gehört werden. Und ich wollte diese Energie nehmen und ihm die Gelegenheit bieten, meine Erfahrungen zu teilen. Und es war sehr aufregend.
Townes Van Zandt, gespielt von Charlie Sexton, wird im Film ebenfalls erwähnt. Townes ist eine Legende des Undergrounds. Du hättest dich seinem Leben widmen können, aber du hast dich dem Underground des Undergrounds zugeschrieben: Blaze.
Der Hauptmusikkritiker des Austin Chronicles berichtete über diese Shows. Er ist jetzt siebzig, aber er war damals dabei als Blaze auf die Bühne trat. Und er sagte mir nach dem Film: Ich kann nicht glauben, dass ich soeben einen Film sah, in welchem Townes Van Zandt die berühmteste Person darstellt (lacht). Er fuhr fort: Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, den Leuten beizubringen wie genial Townes war und du widmest dich Blaze Foley? Es war Teil der Idee des Films, aufzuzeigen wie gekünstelt Biografien sind und wie leicht jemand eine Berühmtheit wird. So viele Musiker, die ich seit Jahren und Jahrzehnten bewundere, treffen häufig auf nicht mehr als Gleichgültigkeit. Und ich wollte darüber einen Film drehen, über den Typen, der den Gig bekam und über jenen der den Bass spielte. Und ich muss dir schon zugestehen, dass ich mich beim Gedanken ertappe, wie ich mir vorstelle, dass dieser Blaze-Film ganz gemütlich auf dem Regal neben einem Townes-Film stehen könnte. Ich habe Townes Sohn danach gefragt, was das wohl für einen Film geben würde und er lud mich zum Fischen ein (lacht). Wir werden also Fischen gehen und uns darüber unterhalten.
Du hast in sehr verschieden Filmen mitgespielt, von kommerziell erfolgreichen Blockbustern bis zu künstlerisch und ambitionierten Filmprojekten wie «Boyhood». Muss sich der Film immer weiterentwickeln und neue Erzählformen finden?
Absolut. Ein wesentlicher Grund, warum wir hier sind, an diesem speziellen Festival, zu dieser speziellen Zeit ist, dass wir daran glauben, dass das grosse Business die Filmindustrie auffressen wird. Schon allein die Tatsache, dass wir es eine Industrie nennen. Wir haben diese ungemein junge Kunstform – Musik, Literatur und Schauspiel, die sind antik! Aber Filme sind noch sehr jung (ca. seit 1895, Anm. d. Red.) und die Leute können viel Geld damit verdienen, weil es so eine vielseitige Kunstform ist. Sie nutzt die Elemente vieler anderer Kunstformen und dass macht Film ja erst spannend. Zuschauer, Musik, Licht, Bilder, Diskussionen, Emotionen, Gesichter, Intimität, ganz nah und nicht wie früher wo Geliebte «SO SPRACHEN WIE ICH JETZT !»(schreit theatralisch), sondern sich auch was ganz liebes und zartes ins Ohr flüstern können und wir hören es trotzdem. Big Business will alles aus uns pressen. Und wenn unsere Kuratoren nur das interessiert, was fettes Geld macht, dann gibt es Orte wie Locarno, Orte wie all die anderen, guten Filmfestivals wie Sundance. Orte an denen nicht das Geld regiert. Da haben andere Kuratoren das Sagen. Es gibt uns die Möglichkeiten, Filme aus aller Welt zu sehen und es gibt uns Leben. Es gibt Filmemacher, die haben eine Karriere, weil ihre Filme an Filmfestivals gezeigt werden. Ich arbeite demnächst mit diesem japanischen Regisseur Hirokazu Koreeda und ich glaube keiner seiner Filme hat ausserhalb Japans wirklich viel Geld gemacht, aber er hat alle möglichen Preise abgeräumt und jeder möchte mit ihm arbeiten. Wenn du dich mit irgendjemanden, der Filme mag, unterhältst und dann «Richard Linklater sagte ..» fallen lässt, leuchten ihre Augen. Und trotzdem ist es für Rick schwer, einen Film zu finanzieren. Gerade letztens habe ich mit ihm telefoniert und sein letztes Projekt fiel zusammen. Er hatte grosse Stars zusammen und es ist als ob die gerochen haben «es könnte sich um Kunst handeln und ich will damit kein Geld verlieren» und liessen es dann fallen. Hast du «Inside Llewyn Davis» gesehen? Es war eine Inspiration und doch eine Leistung, was mit Film erreicht werden kann. Meistens wird Musik so enorm überspitzt dargestellt. Alles dient dazu, einen Mythos zu kreieren. Wie bin ich nun dazu gekommen (lacht)? Sorry ich habe mich verloren, aber alles was ich sagen wollte ist: es ist eine junge Kunstform und sie braucht Kuratoren.
Beim Lesen deines ersten Romans «The hottest state», kommt man zum Schluss, dass du ein Romantiker bist. Wie fühlt sich das als Schauspieler an heute?
Ich denke, es ist eine gute Sache sich zu fragen worin der eigene Wert besteht, wenn man den ganzen Tag damit verbringst jemanden anderen zu verkörpern (lacht). Es ist sehr schwer sowie verwirrend, wenn du jung bist und ohne Selbstvertrauen und dann plötzlich viel Aufmerksamkeit erhältst. Ich war verängstigt. Ich bin sehr dankbar, es an diesen Tisch hier geschafft zu haben. Meine Beziehung mit der Schauspielerein ist stark, ich liebe sie. Die Beziehung wurde sogar tiefer als ich Ben unterrichtete, mein Respekt wurde grösser vor dieser Darstellungsform. Viele talentierte Menschen verlieren ihren Respekt vor dem Handwerk, weil sie es einfach umsetzen können. Marlo Brandon ist ein Beispiel. Zum Glück wurde ich nicht derart talentiert geboren, so dass ich immer noch an mir arbeiten kann (lacht).
Letzte Frage zu «Before …» Ich hoffe Teil viert folgt!
Dass hoffe ich auch. Wir werden sehen. Es ist Zeit, dass wir (Anmerkung der Redaktion: Julie Delpy, Richard Linklater & Ethan Hawke) uns wieder an die Arbeit machen (lacht).