Shailene Woodley: Ich habe keine Angst vor den Reaktionen!

Interview mit Shailene Woodley
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Pressebild © Zurich Film Festival

Shailene Woodley füllt die Nachrichten. Ob aufgrund der Oscarnomination 2015 für «The Fault in our Stars», der Hauptrolle in der Blockbuster-Reihe «Divergent» oder ihrer kürzlichen Verhaftung. Die Schauspielerin demonstrierte nämlich mit Indianern gegen den Bau einer Pipeline und wurde deshalb kurzerhand hinter Gittern verriegelt. Ihr politisches Engagement zeigt sich auch in ihrer jüngsten Filmarbeit. Sie spielt in «Snowden», Oliver Stones Bio-Pic über Edward Snowden, dessen Freundin Lindsay Mills. Wie es ihr dabei erging, welche Diskussion sie mit dem Film auslösen will, was sie von Hillary Clinton und Donald Trump hält und ob sie sich in Zukunft als Politikerin engagieren möchte, erzählte sie Bäckstage während ihres Aufenthalts in Zürich.

 

Shailene, herzlich willkommen in Zürich. Ich hoffe es gefällt dir hier. 

Vielen Dank. Zürich ist sehr, sehr schön. Ich hatte Gelegenheit, ein wenig die Stadt zu erkundschaften und war hin und weg. Die Schweizer sind sehr höflich, nicht zurückhaltend, ich denke dies wird häufig verwechselt. In Amerika sind die Menschen viel barbarischer, unzivilisierter. Das habe ich gerade gestern am Grünen Teppich gemerkt. Es war sehr, sehr angenehm, nicht so wie in den Vereinigten Staaten, wo dich auf dem Teppich jeder anschreit und herumkommandiert.  

Apropos Benehmen, hast du Angst vor den Reaktionen des Publikums in den vereinigten Staaten? «Snowden» ist zwar ein hervorragender Film, aber manch einer in den USA ist nicht gut auf ihn zu sprechen.

Ich habe keine Angst vor den Reaktionen zu diesem Film. Ich habe mich sehr dafür engagiert, in diesem Film mit dabei zu sein. An allererster Stelle sehe ich mich als Künstlerin. Die Linie zwischen Berühmtheit und Schauspieler ist heute dermassen unklar, dass wir häufig vergessen, dass Schauspielkunst eine Kunstform ist, wie es der Name sagt. Noch wichtiger als Kunst, sind für mich die Menschlichkeit und die Erde. Am Ende des Tages bin ich nur eine weitere Frau, die sicherstellen will, dass es die Erde in Zukunft noch geben wird. Und eine Gesellschaft, die friedlich und wohlwollend ist. Dass sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt und nicht rückständig verhält. Deshalb liegt mir der Diskurs über Massenüberwachung am Herzen. Bei keinem anderen Film freute ich mich dermassen auf die Pressearbeit wie bei «Snowden», weil ich den Diskurs miterleben möchte, weil ich ihn auch anheizen und zum Leben erwecken möchte. Diskussion bringt uns dazu, unsere Ansichten zu hinterfragen, ausserhalb von Stereotypen zu denken und neue Lösungen zu entwickeln. Und davon brauchen wir mehr, wenn wir gegen aktuelle Bedrohungen wie Donald Trump und IS vorgehen wollen.

 

Du wolltest bei diesem Film dabei sein und hast Oliver Stone einen Brief geschrieben. Wie viel war dir den schon bekannt von Edwards Story?

Ich wusste sehr viel von der Enthüllungsstory, als sie ausbrach. Ich habe mich dafür interessiert und viel darüber gelesen. Aber ich wusste noch gar Nichts über Snowdens Leben und die Hintergründe, die ihn dazu bewogen, zu tun, was er tat. Leute fangen jetzt an paranoid zu werden, was mich traurig macht, weil Paranoia die Menschen dazu bewegt, inaktiv zu werden und sie daran hindert, etwas an der unglücklichen Lage zu verändern. Ich finde es persönlich toll, in der heutigen Zeit zu leben, mit alle diesen neuen Technologien, die den Menschen ermöglichen in Kontakt zu bleiben oder Erlebtes zu teilen. Aber auch meine Privatsphäre zu schützen ist mir genauso wichtig. Insbesondere in einer Zeit, in der alles geteilt werden kann. Privatsphäre ist heutzutage leider ein Privileg und kein Grundrecht, was ich nicht für richtig halte.

 

Im Film meint Lindsay, dass sie nichts zu verstecken habe in ihrer Privatsphäre. Edward entgegnet ihr, dass er diese Aussage für dumm halte. Wie siehst du das? 

Ich bin gleicher Ansicht wie Edward Snowden. Wir alle haben etwas Privates, das wir für uns behalten möchten. Aussagen wie «Ich habe nichts zu verstecken», finde ich nicht sinnvoll. Wenn unsere Privatsphäre uns weggenommen wird und wir nichts dagegen tun, degradieren wir alle unsere kleinen, privaten Momente. Momente, in denen wir über die Welt nachdenken, diskutieren, Momente in denen wir über uns und unsere Mitmenschen reflektieren, wenn all dies als nichts Schützenswertes angesehen wird, werden all diese Momente nicht mehr stattfinden und dann, denke ich, werden wir ernsthafte Probleme haben.

 

Ernsthafte Probleme werden Pärchen angeheftet, die Geheimnisse voreinander haben. Bei Edward und Lindsay triumphierte die Liebe trotz diverser Geheimnisse.

Liebe macht keinen Sinn.  Was über die Liebe niedergeschrieben ist, macht für die einen mehr Sinn, für die anderen weniger. Wenn du verliebt bist, machst du Sachen die völlig irrational sind, aber für dich Sinn ergeben. Wobei ich denke, dass die Geheimnisse zwischen Edward und Lindsay auf seinen Beruf minimiert waren und nicht sein privates Leben betrafen.

 

 

Die ganze «Held oder Verräter»-Diskussion will uns doch nur von der Diskussion ablenken, darüber nachzudenken, wie sich die Regierung verhalten hat, oder die NSA.

 

 

Lindsay macht viel durch mit Edward. Woher nimmt sie all diese Energie, was denkst du?

Lindsay ist eine Welteroberin. Sie hinterfragt vieles, ist neugierig, aufgeschlossen. Sie reist viel. Ich denke, der Aspekt des ganzen Herumreisens, keinen festen, permanenten Wohnsitz zu besitzen, war anstrengend für sie, entspricht aber in gewisser Weise auch ihrem Naturell und war für sie auch aufregend. Zudem ist sie Künstlerin, eine Fotokünstlerin, überall wo sie hinging, gab es etwas Neues für sie zu entdecken, was auch ihre kreative Arbeit nährte.

 

Hast du Lindsay getroffen? Was hat dich an ihr fasziniert?

Es war einschüchternd. Nach drei Monaten Dreh kam Lindsay ans Filmset und ich erschrak vollkommen. Ich betete, dass sie einverstanden ist mit der Art und Weise wie ich sie portraitiere. Viele kennen Edward Snowden Geschichte, aber ihre gar nicht. Das hat einen Grund. Als die Story publik wurde, entschied sie sich zuhause zu sein, vor keine Kamera zu treten und das ganze auszuhalten.  Es braucht eine grosse Portion Mut und Selbstbewusstsein, die Journalisten all diese bösen und widerlichen Dinge über sich schreiben zu lassen und nicht darauf einzugehen. Einfach nichts zu tun und zu warten, bis eine andere Story daherkommt, anstatt zu dementieren, braucht sehr viel Geduld und Unerschrockenheit. Ich bewundere sie dafür sehr. Und ich bin mir sicher, dass Edward viele Dinge nicht getan hätte, wäre sie nicht in seinem Leben.

 

Was war für dich die grösste Herausforderung bei den Dreharbeiten?

Mir war es ein grosses Anliegen, dass die beiden so wahrheitsgetreu wie nur möglich dargestellt werden. Schliesslich bringen wir ihre persönliche, private Geschichte auf die Leinwand. Bei Buchfiguren wie Tris («Divergent»-Filme, Anm. der. Red.) und Hazel («The Fault in our Stars», Anm. der Red.) ist das etwas anderes, weil jeder Leser eine andere Vision der fiktionalen Figuren mit sich trägt. Ich hatte dort eine grössere künstlerische Freiheit, weil es sie in wahren Leben nicht gibt und niemand mir vorwerfen kann, sie nicht wahrheitsgetreu dargestellt zu haben. Es ist bloss die Meinung anderer Leute. Bei Lindsay hingegen ist es was anderes. Sie kann mir sagen, ich hätte ihre Person völlig deformiert. Zum Glück hat sie dies nicht getan. (lacht). Lindsay hat den Film gesehen und sie ist sehr dankbar dafür, dass die Story nach draussen ging, damit darüber diskutiert wird. Joseph und ich hatten das Glück, die ganze Snowden-Familie an der Premiere in New York kennenzulernen und das war sehr speziell. Sie überwarfen Joseph und mich mit Komplimenten und dies war eine gute Bestätigung für unsere Arbeit. Der Lob der Eltern ist schliesslich das höchste Lob (lacht). 

 

Du investierst viel Zeit und in Energie in politische Angelegenheiten.

Ich unterstützte Bernie Sanders bei seiner Präsidentschaftskampagne, weil ich an seine Ehrlichkeit und Transparenz glaube. Es ist mir wichtig, dabei zu sein, weil ich mich als Patriotin sehe, die nicht sagt «Hey, der ganze Wahlkampf ist Mist, ich ziehe nach Europa», sondern weil ich eben bleibe und für die Zukunft kämpfe. Bernie ist auch solch ein Mensch und ich halte keinen der anderen Kandidaten für solche Menschen. Aber ich werde alles tun, was ich kann, damit Donald Trump nicht gewählt wird. Er validiert Sexismus und Rassismus. Er separiert unser Land vom Rest der Welt in einer sehr schändlichen Art und Weise. 

  

In den US Medien wird auch viel Böses über Edward Snowden berichtet und geschrieben.

Die ganze «Held oder Verräter»-Diskussion will uns doch nur von der Diskussion ablenken, darüber nachzudenken, wie sich die Regierung verhalten hat, oder die NSA. Mir ist es egal, ob jemand ihn für einen Verräter hält oder nicht. Was ich möchte, ist, dass sich alle Zuschauer darüber Gedanken machen, ob es okay ist, was die Regierung getan hat. Ist es okay, dass die Regierung via deinem privaten Handy Nacktbilder von dir aufnehmen kann und diese abspeichert? Ist es okay, dass andere Organisationen neben der Regierung Zugriff auf deine privaten Emails haben? Ist es okay, dass Privatsphäre ein Privileg und kein Grundrecht ist? Es ist unabdingbar, dass wir darüber diskutieren! Nicht nur heute, sondern auch in 10 Jahren. Und wenn ich als Schauspielerin diese Diskussion anregen kann, indem ich viel Make-Up trage und Interviews zu diesem Thema gebe, dann mache ich das liebend gerne!

 

Willst du selbst mal in die Politik einsteigen? 

(Lacht) Ja, vielleicht mal in die Zukunft, wer weiss. Die Vereinigten Staaten brauchen progressive Politiker.

 

  • «Snowden» läuft in den Schweizer Kinos. 
  • 2017 ist Shailene Woodley im nächsten Teil der «Divergent»-Reihe zu sehen. 

 

Tanja Lipak / So, 16. Okt 2016