Die Ärzte: Nach aussen hin sind wir Pokerfaces
In Zusammenarbeit mit Students.ch.
Das neue Album heisst «auch» und steht bereits in der Startrampe. Doch bevor es so weit ist, haben wir BelaFarinRod oder die «beste Band der Welt» im Kaufleuten zum Interview getroffen. Sie haben von den (fast) stummen Aufnahmen zum neuen Album erzählt. Ein weiteres Thema war der Umgang mit Kritik, sie haben exklusiv über die Pläne zum Bandjubiläum gesprochen, verraten, wieso Studiopraktikanten bei ihnen 700 Euro Trinkgeld bekommen und, obwohl Die Ärzte ihre eigenen Songs gewöhnlich nicht erklären, hat Bela eine Ausnahme gemacht.
Rodrigo Gonzaléz: Jetzt fragst du bestimmt, wieso wir uns Die Ärzte nennen?
Nein, aber fast. Ich wollte wissen, wieso denn das Album «auch» heisst?
(Alle drei synchron): Ahhhh.
Farin Urlaub: Das ist ein Tippfehler. Es sollte «Bauch» heissen.
Ernsthaft?
Farin: Ja.
Ich konnte ja vorhin das Album hören und habe mir ein paar Titel herausgesucht. Vielleicht könnt ihr etwas dazu sagen. Zuerst «Bettmagnet». Bela, gibst du die Schuld an der Faulheit der Menschen schlicht dem TV?
Bela B.: Wir wollen unsere Texte eigentlich gar nicht erklären, aber wenn du mich so direkt fragst, ob ich das mit dem Text so beabsichtigt habe, kann ich sagen: So weit habe ich gar nicht gedacht. Ich wollte einfach eine Situation beschreiben und wie schwer man da wieder rauskommt. Wie gemütlich man es sich machen kann. Aber es stimmt tatsächlich. Sehr viele schlechte Dinge auf dieser Erde und sehr viele Dinge, die mich nerven, kommen durch die immer grösser werdende Auswahl an Fernsehkanälen, mit immer schlechteren Programmen und dem immer skrupelloserem Zur-Schau-Stellen von Privatem.
Ok, dann lasse ich die Songs und die Erklärungen beiseite.
Bela B.: Nicht böse sein.
Nein, gar nicht. Als ich das Album hörte, schien mir der rote Faden «Das Spiel des Lebens» zu sein. Das wird ja vom Cover zusätzlich aufgegriffen. Wie weit ist das Konzept?
Farin Urlaub: «Das Spiel des Lebens»? Wie kommst du darauf?
Es geht viel um Zwischenmenschliches oder das Tamagotchi als Spielzeug. Es sind so viele verschiedene Aspekte des Lebens in den neuen Songs und zusätzlich suggeriert es das Drehrad des Brettspiels «Spiel des Lebens» auf dem Cover.
Bela. B.: Möglicherweise war unser Grafiker tatsächlich inspiriert durch die Platte und hat uns das darum so vorgeschlagen und mit uns am Ende dieses Cover erarbeitet. Ich gehe mal davon aus, dass es so ist. Tatsächlich hat mir bei meinem allerersten Interview zu dieser Platte jemand gesagt: «Ihr verarbeitet ja nur Beziehungen auf der Platte.» Ich habe dann darüber nachgedacht. Es ist schon schwer, auf der Platte Songs zu finden, die nicht von irgendwelchen Beziehungen zu irgendwelchen Dingen, zumindest zu einem Tamagotchi, handeln. So Sachen wie: «Ist das noch Punkrock?», «Bettmagnet», «Miststück».
(Rod und Farin rufen verschiedene Songs dazwischen.)
Bela: Na gut, bei 16 Songs dürfen ein paar auch nicht von Beziehungen handeln.
Rod: Aber man könnte wirklich in alle Songs Beziehungen hineindenken.
Bela: Man erkennt es aber wirklich in allen. Selbst «Sohn der Leere» könnte ich, wenn ich mir die Lyrics betrachte, irgendwie als Liebeslied verstehen. Als eine gemeinsame Reise in der Reflektion einer Beziehung. Also könnte man so sehen, wenn man wollte.
Farin: Ich dachte, das wäre ein Lied über deinen Kühlschrank, Rod.
Bela: Ne, über seinen kleinen Kühlschrank.
(Alle lachen dreckig)
Die Ärzte (© Nela König)
Ihr habt beim neuen Album wie bei «Jazz ist anders» wieder selbst produziert.
Farin: Ja, genau.
Was habt ihr damit für Erfahrungen gemacht?
Farin: S isch super gsi.
Also bleibt ihr in Zukunft auch dabei?
Farin: Das wissen wir nicht. Wir entscheiden nichts im Voraus. Wir haben die letzte Platte zusammen mit einem Dreierteam produziert und die gleichen Leute waren jetzt wieder an Bord. Das hat einfach gut funktioniert. Wir wissen inzwischen, was wir wollen. Die haben uns bei der letzten Produktion sehr gut kennengelernt, wissen, wie sie das hinkriegen, was wir erreichen wollen und es wurde gar nicht so viel geredet, sondern mehr gearbeitet.
Bela: Willst du auch wissen, wieso nicht so viel geredet wurde?
Klar.
(Farin lacht laut)
Bela: Weil wir eine Phrasenkasse eingeführt haben. Wir hatten einen Backliner, also jemanden, der sich um die Instrumente kümmert, der im Studio dabei war. Einfach, weil er ein guter Schlagzeug und Gitarrenroadie ist. Aber wie Roadies halt so sind, bestehen die meisten Sprüche halt aus Floskeln und aus Phrasen. Das ist auch bei Toningenieuren, die die ganze Zeit zusammensitzen so.
Rod: Die reden halt auch nur in Phrasen.
Bela: Also haben wir ein Glas aufgestellt und gesagt: Für jede Phrase ein Euro ins Glas und für besonders schlimme müssen zwei Euro rein getan werden. Wenn jemand eine Phrase nur angefangen hatte und wir sie alle im Kopf schon weiter gedacht haben, dann waren es nur 50 Cent. Quasi ein Rabatt. «Was du heute kannst ..,» hätte zum Beispiel 50 Cent gekostet, weil alle gleich «… besorgen.» dachten. Am Ende der Produktion waren 700 Euro in dem Glas.
(Alle lachen)
Bela: Und zwar mit sehr viel zugedrückten Augen, wo wir dann gesagt haben: «Komm, ist doch schon Feierabend.» oder «Sind ja eh nicht alle anwesend.»
Farin: Sonst wäre es vierstellig geworden.
Bela: Unser Roadie tat uns echt Leid, weil der mit am meisten gezahlt hat. Aber Mirko, der Tontechniker, eben auch. Darum wurde manchmal echt nicht viel geredet. Manchmal habe ich zum Feierabend noch einen reingehauen und 5 Euro springen lassen.
Farin: Zum Schluss stand Bela manchmal auf dem Flur und hat hinein gerufen, weil die Regel nur im Mischraum galt.
Bela: Der Einzige, der nicht betroffen war, war ein Praktikant.
Rod: Der Tonassistent.
Bela: Genau, der Tonassistent von dem Studio, der uns betreut hat. Der hat am wenigsten von allen verdient und darum haben wir beschlossen, dass er sagen darf, was er will.
Rod: Der hat das auch echt genossen.
Bela: Genau, er hat es echt genossen,hin und wieder Phrasen rauszuhauen. Er hat dann aber am Schluss die 700 Euro als Trinkgeld bekommen.
Tut ihr euch jeweils schwer, ein Album wegzugeben, also an die Leute und die Öffentlichkeit?
Farin: Ne, im Gegenteil.
Rod: Dafür machen wir es ja, um es wegzugeben.
Also könnt ihr mit Kritik gut umgehen?
Farin: Ehrlich gesagt gibt es mittlerweile viel zu wenig Kritik. Ok, im Internet gibt es dafür Kritik satt.
Rod: Ich würde nicht sagen, dass es zu wenig Kritik gibt. Wahrscheinlich ist viel auch schon vorformuliert.
Farin: «Das schlechteste Album, das sie je gemacht haben.»
Bela: «Jetzt, da ich das Cover gesehen habe, ahne ich schon wie die Platte klingt und … tatsächlich.»
(Alle amüsieren sich)
Farin: Aber es ist völlig in Ordnung, das gehört ja dazu. Feedback halt.
Bela: Sicherlich gibt es für jeden von uns Tage, an denen einen das trifft, womit man dann nicht so umgehen kann. Aber wir werden den Teufel tun und das öffentlich machen. Nach aussen hin sind wir immer die selbstzufriedenen Pokerfaces.
Farin: Oooooh! Sehr gut gesagt.
2012 könnt ihr 25 Jahre netto oder 30 Jahre brutto als Band feiern. Habt ihr etwas Spezielles geplant?
Farin: Wir bringen ein Album raus und gehen auf Tour.
Rod: Und geben Interviews.
Bela: Es gibt ja vier grosse Festivals in Deutschland und auf allen vier werden wir spielen. Wobei, auf zwei Festivals schicken wir nur ein paar Doubles von uns, die sind aus Düsseldorf, aber die können uns ganz gut nachmachen und sind jetzt auch schon seit 30 Jahren dabei. Es gibt sie auch schon ein halbes Jahr länger als uns. Aber tatsächlich feiern die Toten Hosen bei Rock am Ring/Rock im Park ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum und wir schicken denen dann ein Telegramm oder so.
Farin: Das müssen wir echt machen.
Rod: Wir hängen uns einfach an die ran, dann brauchen wir die Party nicht zu schmeissen.
Bela: Wir schicken denen einen durchgerissenen Tausender und sagen: «In 30 Jahren gibt es die andere Hälfte.»
Farin: Durchhalten Jungs! Und Breiti so: «Kein Thema.»
Dann viel Spass mit der Tour und dem Album. Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt.