Die «Godmother of Punk» berauschend gut

Konzertkritik: Patti Smith im Volkshaus
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Bäckstage / © Patrick Holenstein

Ein grosses Fragezeichen prangt auf der Setlist neben «People Have The Power» (Siehe Dia-Show). Es diente Patti Smith wohl als Platzhalter. Vielleicht ist es einer der Momente, an denen die «Godmother of Punk» spontan sein will, sich nach Lust und Laune entscheiden, was sie als letzte Zugabe spielt. In Zürich wird es denn an dieser Stelle der Lieblingssong ihrer Mutter. Ein respektvoller Abschluss für ein Konzert, das geprägt ist von einer Frau, die viel erlebt und sich inzwischen gefunden hat. 

 

Nach etwas einer Stunde beginnt Patti Geschichten zu erzählen, von Songs wie Statuen, mit einer Seele wie Doors-Sänger Jim Morrison und jetzt spaltet sich das Publikum in jene, die ihr zuhören, mit ihr lachen, applaudieren, und in jene, die nur gröhlen wollen, vielleicht einfach zu wenig Englisch verstehen oder schlicht zu doof sind, um auch mal auf andere Rücksicht zu nehmen. «Züri halt…», ist aus dem Publikum zu hören. Dabei ist Patti jetzt dabei, sich nochmals zu steigern und beginnt, umschmeichelt vom tollen Sound ihrer tadelosen Band, in eine Art Metaebene aus Erinnerungen und Lebensfreude am Hier und Jetzt zu fliegen. Wenn sie bei «Break It Up» von der singend heulenden Gitarre gepusht wird, bis sie sich irgendwie berauscht ins langsam auslaufende Soli ergibt und dafür Szenenapplaus erntet, ist das vielleicht der Moment des Abends. 

 

Bilder: Patrick Holenstein

 

Schon vom ersten Ton an wird Patti Smith im Volkshaus auf Händen getragen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Frau mit ihr die ersten BHs verbrannt hat oder ob Mann Patti heute cool findet, weil sie sich nie hat verbiegen lassen und authentisch ist. Patti Smith war oft unbequem und hat genau damit die Rock- und Punkmusik geprägt. So ist das Publikum in Zürich zwar bunt gemischt, aber der Frauenanteil deutlich höher und manche Faust, die in die Luft schnellt, gehört wohl einem Menschen, der der Veteranin Tribut zollt. 

 

Doch wie ist Patti Smith heute? Wenn man etwas frech sein will, könnte man sie mit Gandalf vergleichen. Lange, wallende graue Haare, die ihr die Eleganz von Leben und eine charismatischa Aura verleihen, trägt sie heute und der Punkt mit dem Zauberer ist vielleicht dann gar nicht so daneben, denn was Patti, in Würde gealtert, in Zürich bietet, hat so gar nichts Aufgesetztes. Die Rolle der Rebellin ist ihr egal, selbst wenn zum Schluss eine kurze Predigt einfach sein muss und ihre Faust vier, fünfmal erscheint. Man wird den Eindruck nicht los, dass sie einfach Freude an der Musik hat, Spass am Unterhalten bzw. Feiern mit den Menschen, die extra für sie gekommen sind, und dabei trägt sie eine versierte Band, die von perlendem Blues bis eiskaltem Punk variantenreich und perfekt auf den Punkt spielt. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Die band passt ideal zur grossen grauen Eminenz und hier schliesst sich der Kreis zur Magie, die Magie der Worte, die Patti als Beat-Poetin beherrscht. 

 

Verneigung vor Prince und Scotty Moore

 

Die Stunde der Band kommt dann, als man zu Ehren des legendären Elvis-Gitarristen Scotty Moore, der am Dienstag gestorben ist, «That’s Alright Mama» spielt. Ja, die früheren Wegweiser sterben in letzter Zeit. So wird dann auch das ohne grosse Ansage gespielte «When Doves Cry» aus der Feder von Prince zu einem warmherzigen Gänsehautmoment, weil Patti in emotional singt und die Band den Song zu ihrem eigenen macht. 

 

Ein Konzert, bei dem es der Kritiker schwer hat oder auch nicht. Wenn nichts Marginales zu kritisieren ist, dann darf auch ein Musikjournalist einfach geniessen. Aber man fragt sich dann beim Verlassen des Saals doch, ob es daran liegen könnte, dass die Frau - immerhin 69 - so etwas wie einen Legendenstatus besitzt und man dadurch gnädiger ist. «Nevermind» hat mal eine Band albumfüllend gesagt. In diesem Sinn tritt man mit dem bekanntesten Song von Patti Smith in den Ohren in die Nacht: «Because The Night Belongs To Us». 

 

Patti Smith ist in Würde gealtert, hat aber immer noch Power und hoffentlich noch lange mit dieser beeindruckenden Kraft. Irgendwie magisch. 

 

Patrick Holenstein / Do, 30. Jun 2016