Wir Bestechlichen
Als im Herbst 2017 der New Yorker und die New York Times ihren Weinstein-Bericht veröffentlichten, in dem sie Harvey Weinsteins jahrelangen Machtmissbrauch beschrieben, begann der Anfang vom Ende für Harvey. Bewegungen wie #metoo und #timesup folgten. Doch welches waren die Anfänge? Wie kam Harvey zu seinem eisernen Thron und noch viel wichtiger, warum dauerte es über 30 Jahre, bis seine Taten öffentlich angeprangert wurden?
Ursula Macfarlane widmet sich in ihrer Dokumentation allen Gesichtern des Harvey Weinstein. Der charismatische Filmnerd, der mit «Miramax» mehr als eine Filmdistributionsfirma gründet, kommt genauso viel vor wie der von mehreren Frauen angeschuldigte Vergewaltiger. Letzterer befindet sich im Moment in einem Verfahren, eine Verurteilung ist noch nicht erfolgt. Dies erklärt vielleicht auch, weshalb eher minder bekannte Gesichter sich zu Aussagen in der Dokumentation verleiten liessen. Bekannte Namen wie Gwyneth Paltrow, Rose McGowan, Ashley Judd oder Alyssa Milano fehlen. Jene, die im Film vorkommen, geben zu, daran geglaubt zu haben, Harvey mache sie zum Star. Und hier liegt der Kern des Problems. Alle Frauen gestehen schnörkellos zu, an einem Starleben interessiert gewesen zu sein. Eine Protagonistin erklärt zudem, dass sie (nach einem Abendessen an Harveys Seite) wirklich geglaubt hatte, es endlich geschafft zu haben und sie nun die «nächste Gwyneth Paltrow» werde. Nach einem Abendessen? Ohne Texte auswendig zu lernen, ohne Casting, ohne Vorsprechen und vor allem ohne grosse Filmerfahrung? Die Frauen sahen Harvey ausnahmslos als Zauberer. Ein mächtiges Wesen, dass einem ein wunderbares Leben im Schall und Rauch garantiert. Dass dazu aber auch Arbeit, Talent und wirklich künstlerisches Interesse gehören, kam scheinbar nicht an. Auch nicht, was für Filme Harvey förderte.
Der Dokumentar-Film zeigt, dass vor allem drei Filme für Harveys Miramax-Erfolg ausschlaggebend waren: «Mein linker Fuss» (Low-Budget Künstlerdrama, welches Dank Harvey 2 Oscars holte), «Cinema Paradiso» (Italienische Hymne an das Kino über eine Freundschaft zwischen Kind und Kinovorführer) und «Sex, Lügen und Video» (Soderbergh’s Durchbruchfilm). Alles kleinere Filme, die durch eine perfekte Vermarktung zu grossem Ruhm und Erfolg kamen. Harvey und sein Bruder Bob hatten ein Wahnsinnsgespür für gute Filme und Drehbücher. Aber es waren vor allem Low-Budget und Independent Filme, die Miramax prägten. Nach dem Verkauf an Disney hatten Bob und Harvey wie es der Film so schön sagt «sehr viel Spielgeld und konnten grössere Risiken eingehen». Mit dem grösseren Budget kam der Glamour.
Gemäss den Aussagen im Film, vergewaltigte der Filmmogul eine seiner Angestellten als sie ihm ein Drehbuch auslieferte. Ein Kollege des mutmasslichen Opfers vermittelte ihr den Job und blieb nach der Vergewaltigung trotzdem Harvey treu und verliess das Unternehmen nicht. Er spricht relativ gelassen darüber in der Dokumentation. Der Job sei einfach einmalig gewesen und er hätte sich voll entfalten können. Aussagen wie diese geben Antwort auf die Frage, warum Harvey das beschuldigte Spiel so lange spielen konnte. Es kratzte niemanden. Manchmal nicht mal die Opfer. Ein mutmassliches Opfer erzählt, wie es Jahre nach einem nicht einvernehmlichen Massageversuch nochmals von Harvey ins Badezimmer seiner Suite eingeladen wurde. Einem Harvey ohne Unterhosen. Doch statt die Suite zu verlassen ,folgte sie ihm (ohne dass er ihr Gewalt androhte) ins Badezimmer. Momente wie diese geben einem kein gutes Gefühl. Und kein gutes Bild der Gesellschaft, in der wir leben. Wie naiv darf man als Frau sein und was kann einem das süsse Leben im Ruhm geben, damit man seinen Körper und Geist auf Spiel setzt? Welche Opfer ist man bereit einzugehen? Mehrfach sagen die Opfer aus, sie hätten ein flaumiges Gefühl im Magen gehabt und sie wussten, sie müssten ein Risiko eingehen, um gross rauszukommen. Aussagen wie diese können nur mit Kopfschütteln erwidert werden. Denn der Film zeigt zugleich, dass es Alternativen gibt. Zwei ehemalige Angestellte von Harvey haben gekündigt, als sie Wind von seinen «Affären» bekommen haben. Insbesondere die ehemalige ältere Sekretärin zeigt uns, dass Dinge wie Rückgrat, Selbstliebe und Selbstrespekt so viel höher zu gewichten sind als ein Leben als Star.
Wer denkt, in dieser Dokumentation erfährt er oder sie mehr über Harvey, irrt sich. Der Film hält uns einen unschönen Spiegel vors Gesicht. Insbesondere in einer like-besessenen Instagram-Gesellschaft. Wie hoch ist dein Preis?
Untouchable (2019)
Regie: Ursula Macfarlane
Dauer: 98 Minuten
Jetzt im Kino.