Ursula - Leben in Anderswo

Moviekritik: Ursula - Leben in Anderswo
Ursula - Leben in Anderswo
Bildquelle: 
www.filmcoopi.ch

In “Ursula - Leben in Anderswo”, Rolf Lyssys neuem 86-minütigen Film, wird mit einfacher, aber ausdrucksstarker Kameraführung die Lebensgeschichte der taubblinden, 60-jährigen Ursula Bodmer erzählt.


Die Geschichte Ursula Bodmers ist berührend. 1951 in Zürich zur Welt gekommen, wird Ursula nach der Geburt von ihrer Mutter verlassen und kommt in ein Kinderheim. Erst später wird klar, dass das Mädchen blind und taub ist. Die Ärzte schätzen ihre Lebenserwartung als gering ein, und das hilfsbedürftige Kind wird von einem Heim ins andere abgeschoben. Bis Ursula schliesslich in die Obhut der Heilpädagogin Anita Utzinger gelangt, bei der sie endlich ein Zuhause findet. Heute lebt sie in der “Tanne”, der Schweizerischen Stiftung für Taubblinde in Langnau am Albis (ZH), wo sie von vielen Betreuerinnen und Betreuern in ihrem stillen und dunklen Alltag begleitet wird.

 


Die Filmaufnahmen in Ursula - Leben in Anderswo” sind einfach gehalten und werden vereinzelt von altem Bildmaterial unterbrochen, wie etwa Kindheitsbilder oder Filmausschnitte, welche die kleine Ursula in den 60ern zeigen. Ausdrucksstark sind vor allem die ersten Arztzeugnisse aus den 50ern, die über den Zustand Bodmers informieren: Diagnosen wie “Idiotie” oder “bildungsunfähig” klingen in den Ohren des heutigen Menschen wie ein schlechter Witz. Rolf Lyssy (u.a. Die Schweizermacher und Eugen heisst wohlgeborenweiss dies gekonnt einzusetzen, um die Hilflosigkeit des damaligen medizinischen Standes im Umgang mit Menschen wie Ursula Bodmer aufzuzeigen.
 
Der Film hat aber auch durchaus Momente, die
die Schwere nehmen und den Zuschauer zum Schmunzeln oder gar zum Lachen bringen. Etwa wenn Anita Utzinger ihre Pflegetochter anstupst und sagt: Wenn du schneller läufst, dann kriegst du auch schneller etwas zu trinken.” Oder wenn Ursula beim Reiten der Helm verrutscht und sie diesen selbstständig wieder aufsetzt - und sich ihre Pflegerin daraufhin nervös lachend in die Kamera dreht und feststellt: “Jetzt hat sie ihn alleine wieder aufgesetzt!“ Aber auch wenn im Antlitz Ursulas das “Luusmeitli” aufblitzt, wenn sie nicht auf ihre Pflegemutter reagieren möchte, wird klar, dass das Leben der Ursula Bodmer durchaus kein trostloses ist.



Die einfachen Schnitte des Filmes und die sparsam eingesetzten Kameraschwenks fangen Ursulas Welt gekonnt ein. Wenn etwa die Betreuerin Ursula in die Küche ruft und diese sich nur langsam vorwärts bewegt, lässt der Regisseur die ganze Wirkung dieser Szene entfalten, indem er den Zuschauer an Ursulas Rhythmus teilhaben lässt und sie vom Sofa bis zum Küchentisch begleitet.

Lyssy versucht, dem Zuschauer “das Anderswo” der Ursula Bodmer den ganzen Film hindurch zu erklären. Doch am Ende wird klar, dass sich “das Anderswo” nicht vollständig erklären lässt. “Ursula - Leben in Anderswo” fesselt dennoch von der ersten Minute an, und Regieveteran Rolf Lyssy weiss Ursula Bodmer, eine taubstumme und geistig zurückgebliebene Frau, würdevoll zu porträtieren.




  • Ursula - Leben in Anderswo (CH 2011)
  • Regie: Rolf Lyssy
  • Darsteller: Ursula Bodmer und Anita Utzinger
  • Laufzeit: 86 min
  • Kinostart: 12. Januar 2012

 

 

Bildrechte: Alle Rechte bei Filmcoopi Schweiz

catarina martins / Di, 10. Jan 2012