Wir sind alle behindert

Filmkritik: Hasta La Vista
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Im Verleih von Ascot Elite

Was ist wahre Freundschaft? Dieser schwierigen Frage widmen sich in letzter Zeit viele Filmschaffende. Dabei wird zur Beantwortung der Frage oft eine Freundschaft vorgestellt, in welcher eine Person schwer krank ist. Man denke dabei an den französischen Überraschungshit «Intouchables» oder den amerikanischen Film «50/50». Mit «Hasta La Vista» kommt nun eine Geschichte in die Kinos, in der keiner der Freunde auf Genesung hoffen kann. Alle drei haben eine schwere Behinderung oder Krankheit.

 

Philip (Robrecht Vanden Thoren) ist vom Hals abwärts gelähmt und dadurch stark von seinen Eltern abhängig. Jozef (Tom Audenaert) ist fast komplett blind und lebt mit seiner Mutter zusammen, welche ihren Sohnemann dermassen umsorgt, dass dieser beinahe nichts alleine auf die Reihe kriegt. Und dann gibt es noch Lars, (Gilles de Schryver), der aufgrund seines fortschreitenden Krebses im Rollstuhl sitzt. Lars’ Leben ist von allen dreien am meisten zeitlich begrenzt, da er aus ärztlicher Sicht nur noch ein paar Wochen oder Monate übrig hat. Alle Jungs befinden sich in ihren Zwanzigern und teilen eine Vorliebe für gutes Essen sowie hervorragende Weine. Ausserdem hatten alle drei noch nie Sex, was ihnen schwer zu schaffen macht. Philip quält sich am meisten, da seine Lähmung auch eigene Berührungen nicht zulässt. Von der sexuellen Frustration angetrieben, erfährt Philip von einem Bordell, das auf die Bedürfnisse von Männern wie ihnen spezialisiert ist. Dies hört sich zwar gut an, doch leider befindet sich das Lusthaus ihrer Träume in Spanien und so müssen die drei Jungs zuerst ihre «Reise-Jungfräulichkeit» verlieren ehe sie die körperliche Unschuld loswerden können. Denn keiner der drei Herren hat je eine Reise ohne die überfürsorglichen Eltern unternommen. 

 

Bild 1: Die drei Jungs und ihre weibliche Begleitung. / Bild 2: Badespass in der spanischen Sonne. (Mit Maus über Bild fahren)

 

Regisseur Geoffrey Enthoven hat eine Vorliebe für skurille Geschichten. So brachte der Belgier 2009 mit «Meisjes» bereits eine bizarre Story über drei Omas in die Kinos, welche versuchen eine R&B Band zu gründen. Sein neustes Werk «Hasta La Vista» ist von der wahren Geschichte des querschnittgelähmten Briten Asta Philpot inspiriert, welcher für das Recht von Behinderten auf Sex kämpft. Die englischen Dokumentation «For One Night Only» aus dem Jahr 2007 widmet sich Philpots Reise mit zwei weiteren körperlich eingeschränkten Männern in das spanische Bordell. Mit «Hasta La Vista» kommt nun die fiktionale Variante dieser Geschichte heraus. Dabei stand Philpot dem Regisseur Enthoven als Berater zur Seite. Von dieser Unterstützung konnten insbesondere die drei Darsteller profitieren, welche so einwandfreie Leistungen boten, dass Enthoven mehrmals danach gefragt wurde, ob er mit «echten Behinderten» drehte.

 

Stereotypen, die für Lacher sorgen 

 

Mit genauerem Blick auf die drei Hauptfiguren wird jedoch klar, dass es sich hier um eine konstruierte Geschichte handelt. Abgesehen von Philips Charakter, welcher von Asta Philpot inspiriert ist, sind die zwei anderen Reisehelden stark stereotypisiert gezeichnet. So ist Lars der hübsche Adonis, mit den besten Voraussetzungen – Hotelfachhochschule, gut situierte Eltern – für ein erfolgreiches Leben, doch dann macht ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. Im Unterschied zu Philip und Jozef ist Lars’ Zeit langsam am Ablaufen, was der Geschichte etwas zusätzliches  Drama bringt. Leider wirkt dies manchmal zu forciert, etwa bei Lars’ kleinem bittersüssen Flirt mit einem Mädchen. Mit Jozef wird ein weiteres Klischee angesprochen und zwar jenes des einsamen Müttersöhnchens. Jozef wird dermassen von seiner alleinsorgenden Mutter bevormundet, dass kein Platz mehr für eigenes Handeln besteht. Auch Jozefs Äusseres wirkt erzwungen und erinnert er an Mike Müllers Darbietung des Muttersöhnchens in den Sketchen von Giacobbo und Müller in der Sendung «Late Service Public». Diese Stereotypisierung ermahnt das Publikum zum einen immer wieder daran, dass es sich bei «Hasta La Vista» nur um einen Film handelt, doch zum anderen sorgt sie auch für ein paar gute Lacher.

 

Bild 1: Drei junge Helden und … Bild 2: … ihre starke Frau.

 

Der Humor kommt in «Hasta La Vista» ohnehin nicht zu kurz. Immer wieder veräppeln sich die drei Protagonisten gegenseitig und so bietet sich Platz, über den einen oder anderen politisch inkorrekten Witz zu lachen, ohne sich dabei unwohl zu fühlen. Und genau dieser Aspekt macht den Film aus. Obwohl rein von der Ausgangssituation – drei eingeschränkte junge Männer mit dem Wunsch nach Liebe und Zärtlichkeit – die Geschichte als ein Drama angesehen werden könnte, ist «Hasta La Vista» eine Komödie, die Lebensfreude pur vermittelt. Und wenn sich Philip, Lars und Jozef mit ihrer Betreuerin Claude (Isabelle de Hertogh) heimlich auf den Weg nach Spanien machen, singt man im Publikum am liebsten mit den Viererpack mit. Das Gefühl zusammen mit Freunden ein Abenteuer zu erleben, wird durch den Film vollends übertragen. Und je mehr die Geschichte vorantreibt, desto deutlicher werden die wahren Behinderungen der vier Protagonisten aufgezeigt. Ob körperlich eingeschränkt oder nicht, viele Menschen haben oft Probleme mit ihrem Umfeld richtig zu kommunizieren und dies ist ihre eigentliche Herausforderung. Enthoven ist dieser Aspekt der Geschichte sehr wichtig. Denn laut Enthoven sind wir alle ein bisschen behindert, die einen halt ein wenig sichtbarer, die anderen weniger.

 

  • Hasta La Vista (Belgien 2012)
  • Regie: Geoffrey Enthoven
  • Drehbuch: Pierre De Clercq
  • Darsteller: Robrecht Vanden Thoren, Gilles de Schryver, Tom Audenaert, Isabelle de Hertogh
  • Laufzeit: 113 Minuten
  • Kinostart: 12. Juli 2012

 

 

Tanja Lipak / So, 01. Jul 2012