My Sunny Maad – Wessen Geschichte wird hier erzählt?
Herra ist gebürtige Tschechin. Sie studiert in Prag, wo sie Mühe hat, einen Mann kennenzulernen, der wie sie ernsthaft eine Beziehung sucht. An der Universität findet sie diesen Mann in Nazir, einem Afghanen. Kurzerhand beschliessen die beiden, nach Kabul zu ziehen, ein Ort, der zunächst den konservativen Werten von Herra zu entsprechen scheint. Das Paar heiratet und so wird die junge Tschechin Teil der erweiterten afghanischen Familie, die in einem kleinen Haus gemeinsam unter einem Dach wohnt.
«Eine afghanische Braut darf nicht lächeln. Sonst wirkt es so, als würde sie sich auf die Hochzeitsnacht freuen.»
Mit diesen Worten, gesprochen von Herra als Erzählerin, beginnt der Film. Es ist nur ein Moment von vielen, in denen die Unterdrückung von Frauen direkt oder indirekt thematisiert wird. So ist es beispielsweise ein Problem, dass Herra keine Jungfrau ist. Sie muss zu Beginn des Films eine Burka tragen, wenn sie das Haus verlässt. Bei kleinsten Anzeichen von Ungehorsam beschuldigt Nazir seine Frau der Untreue.
Dabei gelingt es dem Film, die Figuren auf nuancierte Weise zu zeichnen. Herra mögen die Bräuche zum Teil entsprechen, aber alles lässt sie sich nicht gefallen. Nazir erlaubt seiner Ehepartnerin in einer Szene zwar, ein Auto fahren, aber er hat klare Vorstellungen davon, wo die Freiheiten einer Frau aufzuhören haben. Dasselbe gilt für den eher weltoffenen Grossvater, der die Frauen in seinem Haus zwingt, versteckt in einem Nebenzimmer zu warten, wenn Besuch kommt. Extreme des Liberalismus werden vom Film hinterfragt, aber besonders der radikale Konservatismus wird – personifiziert als Herras Schwager, einem unsicheren und brutalen Mann – abgelehnt.
Dass die Grenzen der Figuren eher unscharf gezeichnet sind, erschwert einem aber auch das Verständnis ihrer Motive. Teilweise wird Herra besonders in Übergangsszenen, in denen viel mit Musik und starken Farben gearbeitet wird, als Frauenbefreierin dargestellt. Das entspricht allerdings nicht ihren Werten, die sie in anderen Szenen zeigt. Es wird somit kein klarer Eindruck davon vermittelt, welche Position sie vertritt. Die Folge davon ist, dass die Hauptfigur nie ganz plastisch wird.
Hinzu kommt, dass nicht offensichtlich ist, wessen Geschichte eigentlich erzählt wird. Ist es Herras Geschichte einer Tschechin, die nach Afghanistan kommt und sich dort ein Stück weit anpasst, aber vor allem die Ansichten einer konservativen Familie verändert? Geht es um die Zugehörigkeit zu einer Nation und deren Kultur oder darum, wem Afghanistan gehört? Ist es die Geschichte von Maad, Herras cleverem Adoptivsohn, nach dem der Film benannt ist? Die meisten Szenen enthalten spannende, überraschende oder berührende Momente, aber der Handlung des Filmes fehlt insgesamt eine eindeutige Richtung.
Originell ist, dass aus der Frauenperspektive berichtet wird, wie jemand bereitwillig einen grossen Teil der eigenen Rechte aufgibt und dies sogar aktiv sucht. Dass man die Geschichte Afghanistans (der Film spielt im Jahr 2011) von diesem Sichtpunkt aus, einer Mischung aus Innen- und Aussenperspektive, erfährt, ist faszinierend. Der Abzug der Truppen aus Afghanistan und das Burka-Verbot in der Schweiz im letzten Jahr zeigen, dass die im Film behandelten Themen auch heute relevant sind. Dass Afghanistan einmal ein Land war, in dem Frauen viel mehr Freiheiten genossen, findet im Film Erwähnung. Die Familie nimmt die Nachricht der Tötung Osama Bin Ladens mit gemischten Gefühlen auf. Auf der anderen Seite weiss man als Zuschauer aber auch, dass der Optimismus gewisser Figuren bezüglich einer Verbesserung der Umstände fehl am Platz ist. Diese verschiedenen Wissensebenen geben dem Filmerlebnis eine tragische Note.
Ein berührender Animationsfilm über ein vom Krieg geprägtes Land und dessen vielfältige Bewohner:innen.
- My Sunny Maad - (Tschechien, Slowakei, Frankreich 2021)
- Regie: Michaela Pavlátovà
- Laufzeit: 80 Minuten
- Kinostart: 28. April 2022