Hui, Spinne!
Sie ist vor Batman und dem Stählernen der populärste Superheld und hat es neben der Fledermaus auf die meisten Solofilme gebracht. Doch während sich das Publikum immer wieder für einen neuen Ritter aus Gotham begeistern kann, geriet die Spinne eher in Verruf. Die Nullerjahre-Trilogie von Sam Raimi ist für viele Fans bis heute der Goldstandard, obwohl sie technologisch und visuell genauso gut aus den frühen Neunzigern stammen könnte. Nachdem die Qualität des dritten Teils aufgrund fehlgeleiteter Interventionen des Studios merklich litt, verliess Raimi 2007 die Franchise. Profittrunken von den noch immer hohen Einspielergebnissen, beschloss Sony eine Neuauflage mit Andrew Garfield. Aber das Publikum verübelte dem Studio die beiden «Amazing Spider-Man» Filme, wiederaufbereitet wie sie daherkamen. Mit dem unverdienten Rauswurf Garfields schien das Thema auf absehbare Zeit erledigt.
Warum die Welt Spider-Man braucht
Doch heute, nur drei Jahre später, benötigt das Universum die Spinne mehr denn je. Zumindest das kinematische Universum von Marvel, das MCU. Peter Parker, wie die Spinne bürgerlich heisst, ist nämlich einer der ersten und mächtigsten Rächer, jenem Superheldenbündnis, um das sich das MCU dreht. Bereits Joss Whedon, Regisseur der Avengers-Filme, wollte, dass die Spinne herbeischwingt. Nur leider gab es da ein kleines Problem. Marvel gehört Disney, nicht Sony, welche die Rechte an der Figur halten. In Anbetracht, dass sich die Avengers im dritten Captain America-Film «Civil War» aufgelöst haben und 2018 ein Besuch des unbesiegbaren Superschurken Thanos blüht, kann die Welt gerade jede Hilfe gebrauchen.
Der Mega-Deal
Währenddessen realisierte Sony offenbar, dass man von Marvel noch sehr viel lernen konnte. Unter der Ägide von Über-Produzent Kevin Feige hatte man dort seit dem MCU-Urknall «Iron Man» 2008 nur Kassenschlager abgeliefert. Eine Sensation kam zustande. Die schon länger suboptimal verortete Sony-Produzentin Amy Pascal – hauptschuldig im Ghostbusters-Debakel – stimmte Peter Parkers Eintritt in die Kinowelt von Marvel zu. So trat er 2016 als Gast in der legendären Flughafen-Schlacht gegen Captain America an, und war dabei alles andere als ein Tourist. Für Marvel-Verhältnisse eine unübliche Einführung, da das Studio für gewöhnlich – ungleich der ungeduldigen Konkurrenz – seine Helden in einem eigenen Film vorstellt, bevor ein Ensemble einberufen wird. Vermutlich wollten sich Sony und Marvel erst anhand weniger Szenen beschnuppern, bevor man sich an einen abendfüllenden Streifen wagte. Der Deal besagt, dass die Spider-Man-Filme unter dem Sony-Logo geführt werden, Marvel hingegen inhaltlich federführend ist.
Triumph des Bösen
«Homecoming» – ein denkbar treffender Titel – beschreibt nun also den Aufstieg der Spinne, und die Studio-Partnerschaft macht alles richtig. Peter ist endlich im Teenageralter, wie in den Comics. Schlitzohr Tom Holland ist mit seinen Erfahrungen als Tänzer und Turner die ideale Besetzung für den hibbeligen Möchtegern-Avenger. Sein Charme, Tatendrang und Draufgängertum lassen ihn als reale Figur mit echtem Leben erscheinen. Letzteres gilt insbesondere für seinen Kontrahenten, gespielt vom exzellenten Michael Keaton. Sony folterte die Zuschauer fünf Filme lang mit dem Schema «Psychisch belasteter Mann erlangt durch Zufall Superkräfte und läuft Amok.» Doch mit dem «Geier» erhält das MCU sogar seinen bis dato besten Schurken. Keaton trug schon in zwei Filmen das Batman-Kostüm und persiflierte den dunklen Ritter 2014 in seinem grossen Comeback «Birdman», während er diesmal – zumindest optisch – mit dem Vogelmann kokettiert. Und erst der Altersunterschied zu Peter. Eine sagenhafte Fügung! Wer das meiste aus dem Kinobesuch herausholen will, ignoriert die verräterischen Trailer. Man weiss, wer Peter Parker ist, man weiss, was die Spinne so treibt. Aber man hat sie noch nie auf einem derart frischen, stimmigen und liebevoll gemachten Streifzug erlebt.
Bring’s der Geier! Wer die Spinne nicht lieb hat, hatte keine Kindheit. Bei Peters Eskapaden rund um die High-School bleibt nur das Publikum sitzen: Und zwar bis der Abspann vorbei ist. Für die beste Post-Credit Szene aller Zeiten.
- Spider-Man: Homecoming (USA 2017)
- Regie: John Watts
- Besetzung: Tom Holland, Michael Keaton, Robert Downey Jr., Gwyneth Paltrow u.a.
- Laufzeit: 133 Minuten
- Kinostart: 13. Juli 2017