Ein geheimnisvoller Graf, seine Rache und der Geldadel von Paris
Wer vor der Herausforderung steht, sinnstiftende Worte über einen Film zu Papier zu bringen, kennt vermutlich die bedrohliche weisse Fläche und den blinkenden Cursor auf Bildschirm. Das schwarze Loch, die wortlose Wüste im Kopf, die nagende und sich langsam, wie Hirnfrost ausbreitende Verzweiflung ab der ausbleibenden Inspiration quälen mit diebischer Freude. «Der Graf von Monte Christo» macht es einem hier dankbar einfach, da der Film ein bekanntes Stück Literatur behandelt, über grosse Strecken bestens funktioniert und es viel zu schreiben gibt.
Erzählt wird die Story von Edmond Dante, einem jungen Offizier, der vom Rang eines Kapitäns träumt und seine Verlobte Mercedes heiraten möchte. Als er bei einer Fahrt selbstlos das Leben einer Passagierin rettet, wird er in die erhoffe Position befördert. Die junge Frau ist eine Anhängerin Napoleons, der nach Elba verbannt wurde und eine Rückkehr nach Frankreich anstrebt. Sie hat einen Brief dabei, der diese Verbindung belegt. Dieser Brief wird allerdings in Dantes Kabine gefunden und er kurz darauf vor dem Altar verhaftet. Ohne grosses Verfahren landet er auf der Gefängnisinsel Île d’If im Mittelmeer.
Der riesige Schatz von Monte Christo
Inzwischen erfahren wir, dass Dante von seinem Freund Fernand de Morcef verraten wurde, weil er Mercedes begehrt und hat die Chance ergriffen hat. Als Kapitän Danglers, unter dem Dante zur See fuhr, den Vorwurf der Verschwörung erhebt, bestätigt Morcef diesen bereitwillig gerne. Im Kerker trifft Dante durch eine liebenswert schräge Begegnung den Pater Abbé Faria. Faria hat jahrelang an einem Fluchttunnel gegraben, sich aber in der Richtung geirrt und hat, statt die Freiheit, Dantes Zelle gefunden. Die Leidensgenossen freunden sich an. Faris lehrt Dantes Sprachen oder Mathematik und irgendwann erzählt er ihm von seiner Vergangenheit als Tempelritter und wo ein grosser Schatz vergraben ist. Als Faris stirbt, bietet sich für Dante eine Chance zu Flucht.
Als die Welt noch in Ordnung war - der später Graf (rechts) mit Mercedes und dem späteren Verräter Fernand de Morcef. (© Pathé Films AG)
In Freiheit reist Dante zur Insel Monte Christo und findet den Templerschatz. Danach fährt er zu seinem Vater, um ihn und Mercedes zu sehen. Der Vater ist längst verstorben, Mercedes hat Morcerf geheiratet und ihm einen Sohn geschenkt. Dante ist bedrückt und taucht ab. Etwa ein Jahr später erscheint in Paris der ominöse Graf von Monte Christo auf der Bildfläche und wirbelt die Gesellschaft auf. Dante nutzt das Alias, um seinen Racheplan fein säuberlich zu entfalten. Dazu nutzt er Masken, damit ihn niemand erkennt.
Die literarische Vorlage aus der Feder von Alexandre Dumas zählt zu den wichtigsten Werken der französischen Literatur und ist längst Weltliteratur. Der Roman ist sehr umfangreich, umfasst je nach Quelle über 1000 Seiten, daher ist es unumgänglich, dass eine Verfilmung erzählerische Kompromisse eingehen muss. Ansonsten wäre ein Drehbuch schnell 3000 oder 4000 Seiten stark und die Verfilmung würde wohl deutlich länger als 178 Minuten sein. Die aktuelle Interpretation des französischen Regie-Duos Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière macht durchaus viel richtig, nimmt sich aber gewisse Freiheiten, um das Folgen der Geschichte zu erleichtern. Wäre das Duo dem Roman penibel treu geblieben, hätte das den Rahmen des Films gesprengt.
Parabel um Rachedurst und Vergeltung
Die Geschichte um universelle Themen wie Rache, Vergeltung, aber auch Vergebung entfaltet durch die zugängliche Erzählweise bald ihre volle Pracht. Das liegt an der gradlinigen Inszenierung, die auf unnötige Nebenschauplätze verzichtet und sich mehrheitlich auf Edmond konzentriert. Um diesen wichtigen Teil des Films zu nutzen, musste ein passender Hauptdarsteller her. Gefunden wurde er in Pierre Niney, der bereits in «Frantz» oder «Yves Saint Laurent» zu sehen war. Sein Spiel verleiht sowohl Dante als auch dem Grafen Profil. Aber bis in die kleinsten Nebenrollen wurde clever gecastet, gerade weil die Darstellerinnen und Darsteller neben der dominanten Hauptfigur etwas zurückstecken müssen. Schliesslich wird die Parabel um Rachedurst und Vergeltung, aber auch Einsicht, Reue und Vergebung über die Titelfigur transportiert.
Langsam schleicht sich der Graf (in der Mitte) in die High Society von Paris ein. (© Pathé Films AG)
Interessant ist das inszenatorische Wechselspiel. Wähnt man sich zu Beginn noch in einem Liebesfilm, wandelt sich die Geschichte rasch zum Drama und schliesslich zum Thriller - immer mit einem fein dosierten Humor. Besonders schön ist die Referenz an Heist Movies wie «Ocean’s Eleven», indem die einzelnen Stufen des Plans sukzessive vorher besprochen werden, um danach die Ausführung zu zeigen. Das verleiht dem Stoff eine moderne Aura. Dazu kommen grosszügige und stilvolle Kulissen wie Landsitze oder Schlösser oder die Gefängnisinsel, unterstrichen durch opulente Szenenbilder in satten Farben. Der jederzeit stilvolle Score von Jérôme Rebotier bildet das letzte Puzzleteil. Er ist dynamisch, aber zurückhaltend, wenn es nötig ist und findet im richtigen Moment das Gaspedal, um die Geschichte zu unterstreichen. So steht die Musik jederzeit im Dienst der Narration.
Dreistündiges Epos, das durchaus zündet
Wer jetzt puristisch unterwegs ist und bei Abweichungen vom Originalstoff in Schnappatmung verfällt, muss hin und wieder stark sein. Wie bereits erwähnt, sind manche Elemente der Story schon frei interpretiert. So tauchen Figuren aus dem Roman gar nicht auf oder in abgeänderter Form und die Art wie der Brief auftaucht, der die Hingabe zu Napoleon belegen soll und die Ereignisse auslöst, ist im Roman anders aufgegleist. Im Grunde wäre die Lösung im Film so gar nicht nötigt, dient aber wohl dazu, eine Frauenrolle in die Geschichte zu schreiben. Dazu bedient der Storybogen etwas gar viele Zufälle, aber das schadet weder der Geschichte noch dem Film. Denn über die durchaus epischen drei Stunden zündet «Der Graf von Monte Christo», ist keine Sekunde langweilig und bietet grosses Kino. Dass der Film der erfolgreichste Film des letzten Jahres in Frankreich wurde, erstaunt da kaum. Dass er für die Oscars auf der französischen Shortlist stand, aber dann doch «Emilia Perez» den Vorzug geben musste, ist da nur ein kleiner Wermutstropfen.
«Der Graf von Monte Christo» ist handwerklich sauber inszeniert, spannend erzählt und bietet sowohl Kennern der Geschichte als auch Neulingen eine packende Geschichte.
- Der Graf von Monte Christo (Frankreich 2024)
- Regie & Drehbuch: Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière
- Besetzung: Pierre Niney, Bastien Bouillon, Anaïs Demoustier, Anamaria Vartolomeï, Laurent Lafitte, Pierfrancesco Favino, Patrick Mille u.a.
- Laufzeit: ca. 178 Minuten
- Kinostart: 23. Januar 2025