Peter Doherty: Katia rettet mich immer noch jeden einzelnen Tag
Regisseurin Katia deVidas hat den Babyshambles- und The Libertines-Musiker Peter Doherty über ein Jahrzehnt sehr nahe begleitet und die Kamera auch in intimen und harten Momenten knallhart draufgehalten. So ist mit «Stranger in my own Skin» ein bemerkenswert ehrlicher Film entstanden. Am Zurich Film Festival wurde der Film gezeigt und Katia deVidas und Peter Doherty haben uns zum Interview empfangen.
Wie fühlt es sich für dich an, den Film zu sehen?
Peter Doherty: Es ist so viel drin. Es ist eine grosse Frage, weil ich viele komplizierte Gefühle damit verbinde. Du würdest wahrscheinlich ähnlich fühlen, wenn du die intensivsten Momente deines Lebens anschauen und nochmals erleben könntest. Verlegenheit, Stolz. Es gibt einige frustrierende Momente, jedes Mal, wenn ich ihn anschaue, bringt es andere Gefühle in mir hoch.
Wie kamst du dazu die Aufnahmen zu machen? Hattest du von Beginn weg die Idee mit der Doku im Kopf?
Katia deVidas: Es fühlte sich sehr natürlich an. Christian Fevret sprach mich an und fragte, ob ich Aufnahmen von Gigs machen wolle. Das war zu der Zeit, als Peter an seinem zweiten Babyshambles-Album arbeitete. Ich machte zuerst also Konzertaufnahmen. Peter und ich wurden mit der Zeit Freunde und er bot mir an, mehr abseits der Konzerte zu filmen. Es wurde zu unserem Brauch, dass mich Peter anrief, wenn etwas Spannendes bevorstand und gefilmt werden konnte. Je mehr Zeit verging, desto klarer wurde mir, dass sich hinter all den Aufnahmen ein Film verbarg. Aber ich filmte ohne Druck und ohne Hintergedanken. Es war toll, an einem Film ohne Deadlines zu arbeiten. Ich fing nach einiger Zeit mit dem Schneiden an und alles fügte sich natürlich zusammen. Es erinnerte mich an die Dokufilme in den 70er Jahren, wo man einfach eine Kamera hinstellte, alles aufsaugte und im Schnitt ergab sich dann die Story.
Du hast nicht nur gefilmt, sondern eben auch den Schnitt gemacht?
Katia deVidas: Ich fing an, alle guten Szenen zu schneiden und alles zu reduzieren und zu verdichten. Und manchmal bedeutet dies auch, einige gute Szenen zu verlieren.
Peter Doherty: Kill your Darlings.
Warst du vor den Konzertaufnahmen ein Libertines Fan?
Katia deVidas: Nein, ich kannte die Libertines zu der Zeit noch gar nicht. (lacht verschmitzt) Als ich mit den Aufnahmen anfing, war es die Zeit der Babyshambles. Danach erkundigte ich mich über die Libertines und selbstverständlich mag ich deren Musik auch so sehr, wie die der Babyshambles.
Gab es Szenen, die besondere Sorgfalt erforderten?
Peter Doherty: Ich denke nicht.
Es gab eine Szene in der du Katia gebeten hast nicht zu filmen.
Peter Doherty: Ich bat sie, es zu tun und normalerweise hörte sie dann auch auf zu filmen. Aber es gab auch Momente, in denen ich ihr vorschlug, etwas zu filmen und sie es dann ablehnte. Wir haben ein paar gute Momente verloren. (schmollt ironisch)
Hast du immer noch Respekt vor Peters dunklen Seiten?
Katia deVidas: Ja, klar habe ich die. Eine Drogensucht hat man ein Leben lang, die ist nach fünf Jahren Drogen-Abstinenz nicht einfach weggezaubert. Wir müssen immer sehr vorsichtig sein - immer. Es gibt gute Momente und solche voller Zerbrechlichkeit. Und dann musst du mit Family-Vibes kommen und Safe Space anbieten.
Welchen Rat würdest du Menschen geben, die eine suchterkrankte Person unterstützen wollen?
Katie deVidas: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Du musst liebevoll, verständnisvoll und präsent sein für diese Person. Sehr viel Geduld aufbringen. Wichtig ist es ebenfalls eine «safe Bubble» zu kreieren. Wechsle den Wohnort, wenn er nicht hilfreich ist und die Situation nur verschlimmert. Ändere das Umfeld und habe Geduld, dann wird es passieren. Es ist ein sehr langer Prozess, aber es ist möglich. Sieh dir Peter als Beispiel an.
Katia deVidas: Mit der Zeit gab es mehr Raum für uns, es waren weniger Menschen um uns herum während den Aufnahmen und unser Austausch wurde dann intimer. Wir wurden dann extrem gute Freunde. Und schliesslich Familie.
Wann wurde es zu einer Liebesgeschichte?
Katia deVias: Erst gegen Ende der Aufnahmen. (schaut zu Peter)
Peter Doherty: OK. (verdutzt, traurig)
(Grosses Lachen im Interviewraum)
Peter Doherty: Vom Moment an als ich zum ersten Mal ihre grossen, blauen Augen sah, was etwa drei Jahre nach Start der Aufnahmen war. Zuvor verdeckte die Kamera immer ihr Gesicht und ich dachte, es sei einfach ein Dude mit langen Haaren, der mich filmt. (lacht) Schwer zu sagen, wann es mit den Gefühlen anfing. Vielleicht müssten wir durch all die Aufnahmen gehen und würden es evtl. finden.
Katia deVidas: Dein Leben war damals so chaotisch, es waren immer Leute dabei. Es gab gar keinen Raum für Intimität.
Peter Doherty: Ich würde es nicht chaotisch nennen … es war … einfach … chaotisch. (lacht)
Katia deVidas: Mit der Zeit gab es mehr Raum für uns, es waren weniger Menschen um uns herum während den Aufnahmen und unser Austausch wurde dann intimer. Wir wurden dann extrem gute Freunde. Und schliesslich Familie.
Peter Doherty: Und als wir mal zusammen kamen hast du nicht mehr gefilmt.
Katia deVidas: Ich habe dann zwar nicht mehr gefilmt, aber ich fing dann mit dem Schnitt an. Ich sah so viele Filme, in die sich der Regisseur hineinschmuggelte und ich fand dies immer superpeinlich. Ich weigerte mich, in diese Richtung zu gehen. Sobald wir zusammenkamen, habe ich aufgehört neues Material zu drehen. Dann ging es nur noch um das Schneiden, Schneiden, Schneiden.
Und die Objektivität geht dann doch auch verloren. Es ist schon schwierig, wenn man befreundet ist, aber als Paar ist es vermutlich noch schwieriger, objektiv zu bleiben.
Katia deVidas: Nein, für mich war das kein Problem, denke ich. Ich liebe Filme, sie sind meine Leidenschaft. Ich schaue mir unheimlich viele Filme an. Und ich denke, ich behalte mir immer mein «Film-Auge» bei. Für mich war es klar, dass ich diese Linie der Objektivität nie verlieren werde.
Peter Doherty: Ich denke, es machte auch keinen Unterschied als wir befreundet waren. Ausser dass ich dich an vielen Stellen Einblick gewährte, wo andere sich schon abgewendet hätten. Der einzige Moment, in der unsere Beziehung ersichtlich wird, ist, als wir uns in der Rehaklinik in Thailand an den Händen halten. Allein schon die Idee, dass Katia mitkommen durfte, war schon bahnbrechend. Ich glaube, wir hatten eine spezielle Abmachung mit der Klinik. In gewisser Weise machte es keinen Unterschied, dass wir Gefühle entwickelten und in gewisser Weise, machte genau dies den Film dann aus.
Im Film sehen wir viele Union Jack-Flaggen, aber als letztes hältst du die französische Flagge in den Händen.
Katia deVidas: (zu Peter) Du magst Flaggen.
Peter Doherty: Ja, und ich mag sie nicht aus nationalistischen Gründen, dass muss ich den Leuten immer erklären. Auch eine chinesische Flagge kommt im Film vor. (lacht) Aber Flaggen waren schon immer problematisch für mich. Ich war in Peru auf der Bühne mit der Flagge und dann kamen Indigene zu mir und haben mir gesagt, ich solle dies ja nicht tun. Aber ich mag historische Artefakte und Flaggen gehören halt dazu.
Katia deVidas: Ich weiss noch, wie du früher die französische Flagge herumgeredet hast und ich dich gewarnt habe, es nicht zu tun, weil es ein nationalistisches Ding sei und wir damit nicht verbunden sein möchten. Du hast mir gesagt, dass wir die Flagge wieder von den Nationalisten zurückerobern müssten.
Im Film sprichst du über deine Bühnenangst, die aufkommt vor grossen Shows. War es je ein Gedanke von dir komplett auf die Bühne zu verzichten?
Peter Doherty: Ja, aber es ist keine langfristige Strategie. Manchmal sagte ich in letzter Minute ab, wenn ich merkte, dass es gar nicht geht, aber dies führte dann immer zu grossen Problemen mit den Veranstaltern und anderen Musikern oder Festivals. Aber ich könnte nicht komplett auf die Bühne verzichten, da mir Auftritte zugleich auch grosse Freude bereiten. Heutzutage könnte ich es mir nicht mehr vorstellen ein Konzert abzusagen, ausser ich wäre sehr krank. Heute kommt es mir vor als wäre es eine notwendige Angst, wie wenn man in den Krieg ziehen muss. Und ich weiss, dass dies grad ein unschöner Vergleich ist angesichts laufender Kriege wie in der Ukraine.
Und malst du immer noch?
Peter Doherty: Ja, unbedingt. Grad gestern Abend war ich wieder an der Leinwand. Für mich ist es eine enorm wichtige Form, mich so auszudrücken, dass es Sinn macht. Nicht grad wie jetzt. (lacht) Manchmal habe ich das Gefühl, meine Gedanken kommen nicht an, aber mit einer Gitarre oder mit einer Leinwand, kann ich erforschen, was ich sagen möchte, was ich in mir trage. Die Kunst ist eine enorm wichtige Form für mich, um zu kommunizieren, weil ich weniger die Gefahr eingehe, falsch verstanden zu werden.
Peter Doherty: Als ich Drogen nahm, spürte ich diese Dringlichkeit, allen - Bandkollegen und dem Management - beweisen zu müssen, dass ich trotz der Drogen schreiben konnte, dass ich also immer noch leistungsfähig bin und mit den Drogen meine Zeit nicht verschwende.
Spürt du einen Unterschied im Komponieren und Schreiben seit du clean geworden bist?
Peter Doherty: Ja, ich bin viel weniger hektisch. Ich würde nicht sagen weniger kreativ, aber ich spüre weniger Dringlichkeit. Als ich Drogen nahm, spürte ich diese Dringlichkeit, allen - Bandkollegen und dem Management - beweisen zu müssen, dass ich trotz der Drogen schreiben konnte, dass ich also immer noch leistungsfähig bin und mit den Drogen meine Zeit nicht verschwende. Diesen Druck bin ich nun losgeworden. Es ist vielmehr ein künstlerisches Abenteuer und weniger ein Drang und Notwendigkeit. Ich dachte früher, ich müsse alles kompensieren, alle Zeit die ich verlor für das Suchen von Drogen, Drogen finden, Drogen nehmen, mich vom Drogenkonsum erholen. Aber schon bevor ich Drogen nahm, war ich sehr produktiv. Vielleicht liegt es auch am Älterwerden, aber ich nehme mir mehr Zeit und gehe es langsamer an. Mit den Drogen war ich häufig 4-5 Tage wach, in einer in sich geschlossenen Welt, ich hatte alles, was ich brauchte. Aber dies ist jetzt anders, wir haben ein Baby, das gefüttert werden muss, oder dessen Windeln gewechselt werden müssen. Oder Geschirr, dass abgewaschen werden muss. Früher gab es das Geschirr auch, aber man konnte es einfach durchs Fenster werfen und weg war es. (lacht)
Ihr habt mit The Puta Madres auch eine gemeinsame Band. Wie hat sich eure Kollaboration dadurch verändert?
Peter Doherty: Als wir im Camper wohnten, waren wir immer zusammen. Also war es hilfreich, dass sie ein Instrument der Band spielen konnte.
Katia deVidas: Ich fand es irrsinnig, als er kam und sagte: «du kannst doch Piano spielen, lerne mal «Waterloo» zu spielen». Kennst du «Waterloo»?
Ja klar.
Katia deVidas: Er fragte mich, ob ich es lernen könnte. Und dann kam er mit mehr Songs und sagte mir, dass ich sie alle lernen sollte und morgen sei schon unser Auftritt. Und ich dachte: «Was ist hier los?» (lacht) So fing es an und schliesslich schrieben wir auch einige Songs zusammen.
Peter Doherty: Katia ist eine sehr kreative Musikerin. Wir schreiben bis heute tolle Songs zusammen. Es war sehr schöne Zeit mit den Puta Madres.
Was sind eure liebsten Musikdokumentationen?
Katia deVidas: Die Bob Dylan-Doku «Don’t Look Back» von Pennebaker. Und obwohl ich die Musik von Metallica gar nicht höre, liebe ich «Some Kind of Monster».
Peter Doherty: Ich spare mir noch die 6-stündige Doku über die Beatles von Peter Jackson auf. «Get Back» heisst sie. Ich bin emotional noch nicht dazu bereit im Moment. Als ich 19 Jahre alt war sah ich «Westway to the world», den Clash-Dokfilm. Der Film veränderte mein Leben. Am gleichen Abend sah ich auch «The Filth and the Fury», das war schon recht hart, grad beide Filme am selben Abend. Danach lief ich auf der London Bridge und spürte eine neu aufkommende Liebe für London und Gitarrenmusik.
Kannst du uns vielleicht noch was zu deiner Faszination für Oscar Wilde sagen? Er kommt in «Stranger in my down skin» prominent vor.
Peter Doherty: Ja, er wird in unserem Film genannt. Er war ein unglaublich einfallsreicher, kreativer und eloquenter Künstler. Wir werden immer wieder auf ihn zurückkommen, weil vieles immer noch so viel Gültigkeit besitzt. Seine Werke haben mich seit meiner Jugend stark in den Sog gezogen und die Faszination nahm seither nie ab.
Letzte Frage: Die Literatur und Musik gehören zu deinen grossen Leidenschaften, aber wer es schlussendlich nicht der Film, in Form von einer Künstlerin wie Katia, der dein Leben gerettet hat?
Peter Doherty: Ja, das stimmt. Und Film oder besser gesagt Katia rettet mich immer noch jeden einzelnen Tag.
Unsere Peter Doherty: Stranger in my own skin Kritik findest du hier.