«Hältst Du Ewan McGregor für zu alt, um Renton zu spielen?»
Die Galapremieren am diesjährigen Zürich Film Festival lockten viele Stars in die Limmatstadt. So reiste auch Schottlands heissester Export seit Ewan McGregor nach Zürich, um seinen neusten Film zu präsentieren. Bäckstage traf James McAvoy am Nachmittag vor der Schweizer «Filth»-Premiere und erfuhr, wie sich James psychisch und physisch auf die Rolle eines korrupten, bipolaren Detektivs vorbereitete und ob wir uns auf die langersehnte «Trainspotting»-Fortsetzung freuen dürfen.
In «Filth» verkörperst Du den manisch depressiven, rassistischen, homophoben und chauvinistischen Detektiv Bruce Robertson. Wie hast Du dich psychologisch auf die Rolle vorbereitet?
Ich konnte mich mit dem Teil seines Charakters, der ihn dazu zwingt, sich wie ein Arschloch zu verhalten, identifizieren. In meinen Augen ist es die Angst vor seinen Mitmenschen, die ihn dazu antreibt diese fiktive, bösartige Person zu erschaffen, hinter der sich der wahre Bruce verstecken kann. Sein Verhalten ist ein Symptom seiner geistigen Erkrankung. Zugleich sind seine negativen Eigenarten, wie der Sexismus, Rassismus und die Homophobie, auch alles allseits bekannte gesellschaftliche Krankheiten, die durch ihn personifiziert werden.
Du warst während der Dreharbeiten junge 32 Jahre alt, spielst aber sehr überzeugend einen abgefuckten 40-Jährigen mit Drogenproblemen. Nun bist Du erneut der jugendliche Adonis. Was hast Du während der Dreharbeiten getan, um derart rasant zu altern?
Ich habe mich während einer relativ langen Zeit zu viel von schlechtem Essen ernährt. Die Gewichtszunahme stand im Vordergrund, aber auch die tägliche halbe Flasche Whiskey durfte nicht fehlen (lacht). Durch den Alkohol bekam mein Gesicht diese schöne blasse, ungesunde Komplexion, meine Poren öffneten sich, meine Lippen wurden rissig. All diese schönen Sachen, die uns nur der Alkohol geben kann (lacht).
Obwohl wir in einer Welt mit täglichen Gewaltexzessen in den Nachrichten leben und überall dem Sexismus begegnen, empfinden die Leute «Filth» immer noch als schockierend. Warum denkst Du ist das so?
Für mich ist «Filth» nicht zwangsläufig schockierend. Aber es gab Leute - und es wird sie immer geben - die über den Inhalt erbost waren und wütend den Kinosaal verlassen haben. Denn die Menschen finden immer irgendetwas, an dem sie sich brüskieren können. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel wird mancherorts sogar Harry Potter als erschreckend empfunden, weil ihn bestimmte Personen als anti-christlich wahrnehmen. Ich denke, was die Menschen bei «Filth» wirklich stört, ist, dass wir sie dazu auffordern Emotionen für eine grausame Person zu entwickeln. Grundsätzlich zeigen wir ein bisschen Pornographie, und ich meine hier nicht körperliche, sexuelle Pornographie, sondern soziale, voyeuristische Pornographie, durch welche eine gewisse Verbindung zum Hauptcharakter erzeugt wird. Wir zeigen euch Dinge, die nicht wirklich lustig sind, aber über die ihr dann doch verschmitzt lacht. Und damit kommen nicht alle klar. Aber genau das wollen wir ja. Wir möchten euch dabei ertappen, wie ihr euch fragt, warum ihr das Gezeigte lustig findet, denn es ist eigentlich sehr traurig. Wir nehmen euch mit auf eine Reise durch den Kopf von Bruce und bitten euch für ihn und seine Mitmenschen Empathie zu empfinden. Dies irritiert die Menschen dann sehr und sie empfinden es als schockierend. Aber eigentlich ist unser primäres Ziel sowieso euch zu unterhalten. Wenn einige von euch dann noch in der Lage sind, durch unseren Film eine Art Selbstreflexion zu betreiben, dann haben wir auf ganzer Linie reüssiert. Ich weiss nicht recht, ob Dramen genau dafür geschaffen wurden, aber ich bin sicherlich deswegen auch Schauspieler geworden.
Zwischen der Romanvorlage von Filth (die von «Trainspotting»-Autor Irvine Welsh geschrieben wurde, Anm.d.R.) und eurem Film gibt es doch einige Unterschiede. Was kannst Du dazu erzählen?
Für uns war es in der Tat wichtig, nicht akribisch die Delikte eines Mannes gegen die Menschlichkeit wiederzugeben, sondern der Kernbotschaft der Vorlage gerecht zu werden. Mit der Überführung vom Buch-Medium ins Film-Medium ändern sich die Gesetzte der Erzählweise. Wenn Du das Buch liest und Dir einige Gewaltszenen zu brutal erscheinen, hast Du mehrere Möglichkeiten damit fertig zu werden. Du kannst Dir die Gewalt weniger schlimm vorstellen, also das Geschriebene verharmlosen. Oder Du klappst das Buch zu. Einfach so. Für eine Stunde, einen Tag, einen Monat oder für immer. Im Kino hast Du diese Möglichkeiten nicht. Zwar kannst Du das Kino verlassen, aber dann verlässt Du auch die Geschichte. Das Buch kannst Du wieder aufklappen, aber ins Kino kommst Du nicht so einfach wieder. Du überlegst Dir also genauer, ob Du nun aus der Geschichte im Kino aussteigen möchtest oder nicht. Deine Vorstellungskraft ist im Kino nämlich schwächer, weil nicht deine Vorstellungskraft bestimmt wie es weitergeht, sondern wir, die den Film gemacht haben. Wir sagen Dir, was Du siehst, wie oft Du es siehst und mit welcher Musik. Damit geben wir Dir auch vor, wie Du etwas empfinden sollst, ob es traurig oder doch eher lustig ist. Der Film ist das perfekte Medium um in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Aber wenn wir zu hart und zu brutal reingehen, und damit meine ich nicht nur die Gewalt, sondern auch die Explizität, dann gehen wir die Gefahr ein, dass die Zuschauer dicht machen. Und das wollen wir um alle Fälle verhindern. Aber versteh mich nicht falsch, wir haben definitiv einen sehr expliziten Film gemacht, doch wir haben versucht das nicht rein durch eine physische Art und Weise zu tun, sondern auch durch eine psychologische, indem wir eine etwas andere Reise als im Buch unternehmen. Ich möchte nicht immer Trainspotting rezensieren, aber es ist ein verdammt gutes Beispiel. Der Film unterscheidet sich aus den genau gleichen Gründen stark von der Romanvorlage. Er setzt die Erzählung über ehemalige Schulkameraden, die sich als Erwachsene auseinanderleben, in den Vordergrund.
«Filth» kommt sowieso nicht umhin, in der einen oder anderen Art und Weise mit «Trainspotting» verglichen zu werden. Wie ent- oder belastend ist die Tatsache, dass «Trainspotting» zu einem Kultfilm avanciert ist?
Uns war es in der Tat sehr wichtig, so wenig wie nur möglich über Trainspotting nachzudenken, genau aus diesem Grund. Zum anderen ist es schon eine ganze Weile her seit ich den Film gesehen habe, das war noch zu meiner Teenagerzeit (lacht). Jon (S. Baird, Regisseur von «Filth», Anm. d. R.) wollte sich auch, so weit wie nur möglich von «Trainspotting» distanzieren, damit keine falschen Erwartungen aufkommen und uns in unserer kreativen Arbeit einschränken. Wir waren einmal gar so weit, uns zu überlegen ob «Trainspotting» auf dem Filmplakat erwähnt werden sollte oder nicht. Jon wollte auch niemanden von «Trainspotting» in diesem Film haben. Gut, dies ist ihm nicht ganz gelungen, Shirley Henderson, die in «Filth» Bunty, die Frau von Bruce‘ bestem Freund verkörpert, spielte auch Gail in «Trainspotting». Aber eben, ich lobe Jon dafür, einen eigenständigen Weg gehen zu wollen statt an «Trainspotting» anzuknüpfen. Beide Filme ähneln sich dadurch, dass sie beide in Edinburgh spielen, aus Welsh‘ Feder stammen und somit über einen pechschwarzen Humor verfügen und über ungezügelte Dialoge. Es sind unterschiedliche Filme, aber sie haben eine ähnliche Stimme. «Trainspotting» ist ein Film über die Jungend. Vergebung verbinden wir automatisch mit Jugend, deshalb verzeihen wir den Protagonisten aus «Trainspotting» praktisch auch alles. «Filth“ hingegen dreht sich um das Erwachsenendasein. Für die Fehler, die wir als Erwachsene machen gibt es bekanntlich aber keine Vergebung. Wir vergeben Erwachsenen nicht in der gleichen Art und Weise wie wir Jugendlichen vergeben, deshalb kommen die Jugendlichen in «Trainspotting» sowieso leichter weg als Bruce in «Filth». «Trainspotting» zeigte zudem den kleinen Mikrokosmos einer bestimmten britischen Subkultur jener Zeit, es war ein Film über den damaligen Zeitgeist, während «Filth» ein Drama um den Zerfall eines Geistes darstellt, jenen von Bruce nämlich. Seine Reise in die Hölle … (schweigt und lacht dann auf nach ein paar Sekunden).
Apropos Trainspotting. Du hast für «Trance» mit Danny Boyle gearbeitet und nun mit Irvine Welsh für «Filth». Wie sieht es mit «Porno», der «Trainspotting»-Fortsetzung aus? Gibt es hierzu irgendwelche Neuigkeiten? Die Darsteller werden schliesslich langsam alt. Kelly MacDonald zum Beispiel wird nicht mehr lange eine junge Studentin verkörpern können.
(James, der bis hierhin sichtlich amüsiert zugehört hat, unterbricht) WAAAAS? (Lacht).
(James spielte mit MacDonald in der 6-teiligen Miniserie «State of Play», Anm. d. R.)
Denkst Du etwa, dass Ewan McGregor zu alt ist um Renton zu spielen?
Nein, er ist nicht zu alt, aber alt genug, um Renton wieder zu verkörpern. Nicht?
Doch. Ah … ich weiss es nicht. Sie scheinen zumindest alle viel positiver darüber zu reden, das ist zumindest alles, was ich weiss. Aber das ist nicht meine Sache, deshalb kann ich nicht wirklich viel darüber sagen. Sorry.
Zum Thema Fortsetzungen: Es gibt ein relativ neues Buch von Welsh namens «Crime», in welchem Ray Lennox die Hauptfigur ist (Jamie Bells Charakter in «Filth»). Wird es Crime als eine Art «Filth»-Spin-off in Filmform mit Jamie Bell geben? Und natürlich mit Dir als Produzenten?
Jon hat gerade heute im Flieger nach Zürich zu mir gemeint, dass das eine interessante Idee wäre (lacht). Ich kann mir das in fünf bis zehn Jahren sehr gut vorstellen, aber momentan fände ich es noch zu früh. Es wäre natürlich wunderbar für Jamie, da er einen brillanten Lennox abgibt. Wie gesagt, in meinen Augen wäre es nicht optimal das jetzt sofort zu machen, aber in ein paar Jahren, ja doch, alles in allem wär das sicher keine so schlechte Idee (lacht). Das wäre sicher eine sehr schöne Sache.
Du warst zu Beginn deiner Karriere eher daran gewöhnt den lieblichen Lover zu mimen und hast dich erst in letzter Zeit auch auf die dunkle Seite der Macht geschlagen, mit Rollen wie eben in «Filth» oder auch in «Trance». Was fällt Dir leichter zu spielen, den netten Typen von nebenan oder doch den kaputten Psycho?
Da ich bereits zwei Wochen über meine Rolle in «Filth» spreche, habe ich mittlerweile auch endlich eine Antwort darauf (lacht). Die drei Rollen, die mir bis jetzt am leichtesten vielen, waren Mr. Tumnus aus den «Narnia»-Filmen, Robbie Turner in «Atonement» und Bruce Robertson in «Filth“. Bei diesen drei Charakteren musste ich mir – aus welchen Gründen auch immer – am wenigsten Gedanken darüber machen, wie ich sie verkörpern sollte und könnte. Sie kamen ganz einfach und ungezwungen. Bei allen anderen Rollen benötigte ich grössere Überlegungen und mehr Arbeit. Und trotzdem. Diese drei Parts sind völlig verschieden von mir. Ich bin kein 400 Jahre alter geiler Faun (lacht). Auf einer wundersamen Art und Weise konnte ich zu diesen drei Charakteren eine seelische Verbindung herstellen. Wenn ich anstelle von Bruce einen anderen schlechten Typen spielen musste, kam meistens nichts von selbst. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich Bruce im tiefsten Inneren auch nicht als einen bösen Charakter ansehe, sondern als einen kranken Geist. Ich glaube, es ist ein Trick des Films, die Zuschauer für eine gewisse Zeit im Glauben zu lassen, dass er bloss ein gemeiner Fiesling wäre, weil dadurch die Tragweite der Tragik seiner Figur ignoriert werden kann. Doch dann beginnt die Fassade langsam zu bröckeln und die Frage bleibt, wie lange jeder einzelne braucht, um allmählich so etwas wie Menschlichkeit für Bruce zu empfinden.
Die Filmkritik zu FILTH findet ihr hier.