Momentum mal

Lesung: Roger Willemsen im Kaufleuten
Bildquelle: 
fischerverlage.de

Die Stühle im «Klubsaal» des Kaufleuten sind fast alle besetzt. Auf der Bühne steht von einem Scheinwerfer erhellt ein kleiner Tisch mit einem Glas Wasser darauf. Pünktlich um 20 Uhr betritt Roger Willemsen in einem grauen Sakko gekleidet die Bühne. Er legt sogleich los, spricht unglaublich schnell und in einem Deutsch, bei dem wohl jeder Lehrer einen doppelten Rückwärtssalto vor Freude machen würde, wenn seine Schüler auch nur annährend in dieser Art formulieren könnten.  

 

Der Lebenshunger treibt uns an - lässt uns aber auch verpassen

 

Willemsen jongliert - in geschriebener wie auch in gesprochener Sprache - selbstverständlich und in Perfektion mit Wörtern. Seine Begrüssung enthält die Phrase: «mir fällt auf, wie festlich Sie sich heute kleiden  - hätten können.» Dann beginnt er auch schon – wie in seinem neuen Buch «Momentum» - von Erinnerungen zu erzählen.

 

Zum Beispiel wie er das erste Mal nach Zürich kam: im Auto, gemeinsam mit einem Freund. Sie wurden von der Stadtpolizei angehalten und gefragt, was Sie hier machen würden. «Wir kommen aus den Abruzzen und sind hier zum Wäsche waschen, danach fahren wir wieder zurück», hätten die Freunde geantwortet. Willemsen ist tatsächlich ein weitgereister Mann. Viele solcher Anekdoten, Erinnerungen oder eben Momente kommen im Buch vor. Willemsen betont, dass es der Lebenshunger sei, der uns antreibe – der uns aber auch verpassen lässt. Entschleunigung ist hier wohl das Stichwort. «Das Leben kann man in Momenten und Prozessen beschreiben. Die, die bleiben sind oft nicht die erlebten, sondern die, die einem selber gewählt haben. In Momenten erkennt man sich besser als in allem anderen», ist der 57-Jährige Deutsche überzeugt. 

 

Von der Entstehung bis zur Verblassung

 

Willemsen erzählt assoziativ, liest Stellen aus seinem Buch vor und bringt das Publikum immer wieder zum Lachen. Zum Beispielt damit: «Ein Lehrer hat mal zu mir gesagt: Bei dir ist die Haut zu kurz. Immer wenn du aufstreckst, geht der Mund auf.» Aber auch einer der liebsten Sprüche seiner Mutter ist dem Autor im Gedächtnis geblieben: «Zieh dir was an, mir ist kalt.» Das Buch enthält aber auch Szenen aus dem Leben anderer Menschen. «Sind wir achtsam genug, können solche Szenen auch zu unseren eigenen werden», sagt Willemsen. Und natürlich gibt es auch viele Momente, die vom Abschied nehmen handeln. Während der Autor solche Zeilen vorliest, wird es ganz still im Publikum.

 

Willemsen bietet seiner Zuhörer kurzweilige und inspirierende 90 Minuten. Damit verdient er sich lang anhaltenden Applaus, der ihn nochmals für eine letzte Anekdote auf die Bühne lockt. Seinem Publikum gibt der Autor drei Worte mit: «Das gehört verschwunden.» Die Zuhörer sind sich einig: weder das Buch «Momentum» noch Roger Willemsen gehören je verschwunden. Und Willemsen wäre sicherlich zufrieden, wenn er gehört hätte, wie sich die Leute nach der Lesung ganz nebenbei angefangen haben über Erinnerungen auszutauschen.

Linda von Euw / Do, 14. Feb 2013