Im Rap-Rausch durch den tristen Alltag Nordirlands
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Sprache ist immens wichtig. Sie dient der Verständigung oder zur Überlieferung von Geschichten, drückt Emotionen aus, ist unverzichtbarer Teil der Kultur, Teil der Identität und wichtige Ausdrucksform für Menschen jeglichen Alters. Am Ende des Films «Kneecap» ist zu lesen, dass alle 40 Tage irgendwo eine indigene Sprache ausstirbt. Das ist traurig, hat aber direkt mit der Handlung des irischen Films zu tun.
Die Freunde Naoise und Liam Og surfen im nordirischen Belfast durch den Alltag, der von Drogen, Langeweile und Perspektivlosigkeit geprägt ist. Dazu kommt eine tiefgreifende Abscheu gegen den Staat, besonders in Form der Polizei. Der Lehrer JJ ist dagegen im Alltagstrott gefangen und hat kein Interesse an den politischen Ambitionen seiner Frau, die dafür kämpft, eine Akzeptanz der irischen Sprache zu erreichen. Selbst erste Erfolge interessieren ihn nicht. Dafür nutzt Naoise diese, um nach einer Verhaftung bei einer Party kategorisch irisch zu sprechen, um die Polizei zu ärgern. Sein verstorbener Vater hat ihm den zivilen Ungehorsam schliesslich seit der Kindheit eingeimpft. Hier kreuzen sich zwei Leben, denn JJ wird als Dolmetscher hinzugezogen und hilft dem Jungen widerwillig.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion werden Songs aufgenommen.
Später bringt sich Naoise in eine bedrohliche Situation, indem er eine Marschkappelle ärgert und fliehen muss. JJ beobachtet die Szene zufällig im Rückspiegel, hilft Naoise spontan und so lernen sie sich besser kennen. Bei gemeinsamen Drogentrips formieren sie sich als das Hip Hop-Trio Kneecap. Der Name bezieht sich auf eine Bestrafung der Official Irish Republican Army, bei der den Bestraften in die Kniescheibe geschossen wird. Erste Gigs sind rasch geplant, Songs fehlen hingegen noch. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion brechen sie in die Schule ein und nutzen das Equipment, um Songs zu produzieren. Weil Kneecap Raps in der irischen Sprache performen, werden sie rasch zum Internethype. Als ein Radiosender ihre Songs nicht spielen will, weil sie Bezug auf Sex und Drogen nehmen, werden sie ungewollt zu Ikonen der Bürgerbewegung stilisiert, die eine Diskriminierung der irischen Sprache erleben. Aber die expliziten Texte bringen auch Ärger mit der Polizei, Paramilitärs, Kämpferinnen für Familienwerte und der Politik, die das Trio allesamt zum Schweigen bringen wollen. Trotz des Erfolgs ist das Leben von Kneecap noch immer turbulent.
Bemerkenswert ist, dass sich die drei Hip Hopper selbst spielen und ihre Bandgeschichte - teils fiktiv angereichert - erzählen. Dabei agieren sie mit etablierten Darstellern wie Michael Fassbender auf Augenhöre. Natürlich ist dessen Rolle markant kleiner und Fassbender liefert als übertrieben nationalistischer Patriot, der sich völlig im Kampf gegen die Polizei verrannt hat, eine herrlich schrullige Darstellung. Aber die drei Newcomer zeigen neben dem Oscar-nominierten Schauspieler saugute Arbeit. Dazu kommt Regisseur Rich Peppiatt, der zuvor Kurzfilme und Videos gedreht hat und mit «Kneecap» einen Streifen mit Potential zum Kultfilm abliefert. Das brachte den Film auf die Short List für die Oscars als «Bester fremdsprachiger Film», aber dann doch keine Nominierung. Dafür hat es bei den BAFTAS geklappt und es reicht für den Preis für «Bestes Britisches Debüt». Darüber hinaus wurde der Film am Sundance Festival mit dem Audience Award ausgezeichnet.
Was ist also der Reiz am Film? Es ist diese anarchistische Atmosphäre, die Attitüde von «Nach mir die Sintflut», dieser leise Hauch von «Trainspotting» und der Feine Alltagssarkasmus, der aus jedem Frame schreit. Aber genau diese gnadenlose Zuspitzung der tatsächlichen Ereignisse treibt die Geschichte voran und macht richtig viel Spass. Und es ist der bitterböse Humor. Wenn etwa Naoise von bereits erwähnter Marschkapelle verfolgt wird, jaulen im Hintergrund The Prodigy «Smack My Bitch up» oder wenn er sein Auto parkiert, ist an der Wand dahinter zu lesen, man soll sein Auto hier nicht parken, da es sonst in Brand gesteckt wird. In solchen kleinen Details steckt viel Alltags-Sarkasmus und natürlich eine Art Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts, als die Strassenunruhen dominierten.
2022 wurde die irische Sprache in Nordirland offiziell anerkannt.
Dazu ist die visuelle Sprache spannend. Textzeilen erscheinen in passenden Momenten als Comic-Popup und in einer Szene wandelt sich die Umgebung in eine Welt aus Knete. Oder es sind kleine grafische Einschübe im Bild. Nichts, was man nicht schon gesehen hat, aber der gut getimte Einsatz passt perfekt und lockert den Flow des Films zusätzlich auf.
«Kneecap» erzählt aber auch von drei Menschen auf ihren jeweiligen Kreuzzug für ihre Überzeugung. Da ist die Polizeichefin, die auf Recht und Ordnung beharrt und dabei sogar ihre Nichte am liebsten einsperren möchte und so weit geht, Leute blutig zu prügeln. Aber auch Naoises Vater auf seinem konsequent radikalen Kampf gegen das Establishment, der hinter jeder Ecke eine mehr oder weniger reale Bedrohung sieht und vor grausamen Schritten nicht stoppt. Aber auch die Ehefrau mit ihrem Kampf für die Sprache und die damit verbundene Identität bzw. der Kultur Nordirlands. Alle drei Stränge zeigen grundverschiedene Menschen, die sich für ihre Sache einsetzen und dabei Grenzen überschreiten. Irgendwo dazwischen surfen Kneecp durch den Tag, pflegen ihren Platz zwischen den sozialen Netzen und hangeln geschickt von Moment zu Moment. Das macht den Film tief menschlich, glaubwürdig und es verleiht ihm – trotz semi-dokumentarischem Ansatz – eine coole Aura.
Abschliessend ein Details zur Sprache, immerhin ein wichtiges Treibmittel im Film: 2022 wurde die irische Sprache in Nordirland offiziell anerkannt.
«Kneecap» ist einerseits die Geschichte eines Hip-Hop-Trios, aber auch ein Blick auf das Trauma einer Nation. Die Art, wie geschickt und unterhaltsam die beiden Punkte verwebt werden, erzeugt einen veritablen Rausch. Kneecap hätten viel Freude daran.
- Kneecap (IR 2024)
- Regie: Rich Peppiatt
- Besetzung: Mo Chara(II), DJ Próvai, Móglaí Bap, Michael Fassbender
- Laufzeit: 105 Minuten
- Kinostart: 20. Februar 2025