«Wachstumsschmerz» oder die Anatomie einer Beziehung
Luise und Flo sind ein ziemlich durchschnittliches Paar. Im Grunde stehen sie für abertausende Paare auf der ganzen Welt. Sie ist Herrenschneiderin, nicht sehr ehrgeizig und gelangweiltes Gelegenheitsmodel. Er ist Kletterlehrer und Tagträumer. Nach vier Jahren beschliessen sie, dass ihre Beziehung reif für den nächsten Schritt sei: eine gemeinsame Wohnung. Doch so einfach ist das nicht. Luise hat bei jedem Besichtigungstermin etwas zu meckern und Flo geht jeder Konfrontation gekonnt aus dem Weg. So langsam wird klar, dass Luise nicht glücklich ist. Liegt es an ihrer Beziehung oder doch an ihrem Leben?
Memos zur Vertiefung der Geschichte
Die Erzählweise, die Sarah Kuttner für ihren zweiten Roman gewählt hat, erinnert im Ansatz an den Stil des Films «Der letzte schöne Herbsttag». Wie im Film – mit kommentierendem Videotagebuch als Stilmittel - arbeitet Kuttner mit zwei Ebenen. Man verfolgt Luise und Flo, bekommt mit, wie das Paar durch das Leben geht, nimmt teil an ihrer Zweisamkeit und schliesst sie wegen ihrer kleinen Macken ins Herz. Der andere Teil des Buchs sind Memos, die Luise an Flo schreibt. Mal witzig, mal traurig, mal böse. Meist vertiefen sie die Geschichte auf eine sehr persönliche Art und machen schon früh im Buch klar, dass die Beziehung auf eine Krise zusteuert.
Sarah nutzt ihre messerscharfe und treffend ironische Sprache, um den Kontext auf den Punkt zu bringen.
Um die Geschichte zu transportieren hat Kuttner die Perspektive von Luise gewählt. Wir bekommen die Geschichte direkt in der Ich-Form serviert. Das hat den grossen Nachteil, dass Flo etwas farblos bleibt, da seine Gedankenwelt nur an wenigen Stellen im Buch thematisiert wird und auch nur wenn er spricht. In seinen Kopf sehen wir nie, weil es der stilistische Ansatz verbietet. Was Luise nicht weiss, wissen auch wir nicht. Da Flo der Typ Frustschlucker ist, gerät seine Gefühlswelt innerhalb der Geschehnisse etwas ins Abseits. Kuttner lässt uns also nur eine Seite der Geschichte hautnah erleben. Legitim, schliesslich ist es ihr Buch. Dafür ist es amüsant zu verfolgen, wie Luise denkt und wie sie sich eigentlich im Kreis dreht. Im Grunde ist sie zufrieden mit ihrem Leben, jedoch passt ihr die eigene Antriebslosigkeit nicht. Könnte man aus dem Leben nicht noch mehr machen? Oft frustriert und unzufrieden über die eigenen geringen Ansprüche und die Stagnation ihrer sozialen Entwicklung, projiziert sie den Frust auf ihre Beziehung und beginnt diese immer mehr zu hinterfragen.
Wann wurde das Leben kompliziert?
Spass macht das Buch nicht zuletzt, weil Sarah Kuttner das Talent hat, die Popkultur in ihre Erzählung so zu verweben, dass es nicht aufgesetzt wirkt und Spass macht. Wenn sie beispielsweise eine Szene aus der TV-Serie Dexter als Vergleich hinzuzieht oder Manfred Krug als musikalische Konstante in der Beziehung von Luise und Flo verwendet. Daneben bewahrt sich Kuttner ihre Sprache, die man aus ihren Kolumnen oder TV-Shows gewohnt ist und schafft hin und wieder witzige, aber auch bitterböse Wortkreationen. Sarah nutzt ihre messerscharfe und treffend ironische Sprache, um den Kontext auf den Punkt zu bringen. Denn eigentlich ist die Frage, die Luise sich stellt: «Wann wurde das Leben so kompliziert?»
Sarah Kuttner gelingt mit «Wachstumsschmerz» eine kurzweilige Anatomie einer Beziehung und gleichzeitig eine sympathische und leicht auf manche Leser reflektierbare Hymne auf das Leben und die alltäglichen Sorgen.
Sarah Kuttner liest am 23. Februar im Komplex457 in Zürich aus «Wachstumsschmerz». Hier ist unsere Vorschau.
- Autor: Sarah Kuttner - «Wachstumsschmerz»
- Veröffentlichung: Seit 25. November im Handel
- Verlag: Fischer Verlage
- ISBN: 978-3-10-042206-4