Schweisstreibender Tour-Endspurt

Konzertkritik: Frank Turner im Abart

Frank Turner hat sich vom holzfällerhemdsärmeligen Ex-Punker zum kleinen Rockstar gemausert. Seine Show war routiniert, aber keineswegs leidenschaftslos.

Der Engländer ist – mit kurzen Unterbrechungen – seit sieben Jahren auf Tour. Eine Wohnung hat er keine, seine Siebensachen liegen in einem Lager in London. Über tausend Shows hat Frank Turner, der Ex-Sänger der Hardcore-Band Million Dead, auf dem Buckel, seit er damals seine Solokarriere als Folk/Rock-Sänger startete. Dreizehn davon spielte er in der Schweiz. Zum ersten Mal vor drei Jahren, nur mit seiner Gitarre, als Support von Heidi Happy in Luzern – und nun als Headliner im Zürcher Abart, mit seiner Band, den Sleeping Souls.

Doch vorher versucht seine Vorband, die schottische Rockcombo „the Xcerts“, den früh anwesenden Fans mit ihren melodiösen Emo-Rock-Nummern einzuheizen. Diese wippen mit den Füssen, nicken im Takt mit den Köpfen und geben zwischen den Nummern freundlich Applaus. Was reicht um die jungen Schotten in Entzückung zu versetzen, denn am Vorabend haben sie in Italien gemäss eigenen Aussagen ein „schreckliches Publikum“ gehabt.

 

 

„Einzige Regel: Mitsingen!“

Um Punkt 21.00 Uhr betreten Frank Turner und seine Sleeping Souls die Bühne, alle mit weissen Hemden; dem Einheitslook, mit dem sie seit einiger Zeit auftreten. Los geht es mit dem pathetischen Song „Eulogy“, dem Opener der aktuellen CD „England Keep My Bones“, gefolgt von der fetzigen Punkrock-Nummer „Try This At Home“ – die Fans stimmen lautstark mit ein. Dazu werden sie vom Sänger während des Abends auch immer wieder ermuntert: „Es gibt hier nur eine Regel: Wenn ihr die Worte kennt, dann singt mit!“

Obwohl die Show energiegeladen beginnt und das Publikum bei bester Laune ist, braucht Turner ein paar Lieder, um in Fahrt zu kommen. Zuvor schrieb er auf Twitter: „Auf dem Endspurt dieser Tour“ und wer genau hinsieht, kann bei den Musikern auf der Bühne eine gewisse Müdigkeit erkennen. Doch Turner wäre nicht Turner, wenn er nicht trotzdem 110% geben würde, und so wird auch dieses Konzert für den Sänger zur schweisstreibenden, sichtlich spassigen Angelegenheit.

Turner spielt viele Songs seines neuen Albums, doch es sind Klassiker wie „The Road“, „Substitute“ oder „Long Live The Queen“, die am meisten Anklang finden – was man an der Mitsing-Lautstärke des Publikums gut messen kann. Zwischen den Liedern unterhält Turner das Publikum mit launigen Kommentaren und bezieht es immer wieder in die Lieder mit ein. Bei „Dan’s Song“ zum Beispiel weist er die Leute an, mit ihren Händen vor dem Mund „Luft-Harmonika-Solo“ zu spielen und stichelt gegen die, die sich weigern: „Wenn ihr zu cool seid, euch in einem Raum voller Leute, die ihr nicht kennt, zum Affen zu machen, dann seid ihr am falschen fucking Gig.“

 

 

Langsam aber sicher ein Profi

Turner hat als Entertainer im Laufe der Jahre einiges an Routine gewonnen. Das Timing der Witze ist perfekt, die Pointen sitzen, doch spontan ist wenig, all die Sprüche gab es schon vor einer Woche in Luzern zu hören. Eine der wenigen freien Ansagen gilt dem verstorbenen prominenten Atheisten Christopher Hitchens – ihm widmet Turner den Song „Glory Halleluja“ („There is no god, so clap your hands together“). Und im Zusammenhang mit dem neuen Song „Polaroid Picture“ bedauert er das Schicksal des Abarts, das in einem Jahr abgerissen wird, und vergleicht es mit dem Londoner Club Astoria, dem es ähnlich erging.

Nach dem wunderbaren Queen-Cover „Somebody to love“ verlassen Turner und die Band die Bühne, um für zwei Zugaben wieder  zurück zu kommen. Im letzten Lied, dem Hit „Photosynthesis“, animiert Frank Turner das Publikum mit einer Ansprache, die sinnbildlich für den ganzen Abend ist. Sie ist zwar einstudiert und ein kleines bisschen pathetisch, deswegen aber keineswegs uninspiriert und leidenschaftslos: „Wenn jeder einzelne im Raum mitsingt, dann verschwinden die Grenzen zwischen Musiker und Publikum, und es entsteht etwas Grosses, Transzendentes.“

Nach dem Konzert mischt sich der erschöpfte Turner tapfer unters Publikum, wie er es praktisch immer tut, lässt sich zu Shots einladen, schüttelte Hände und posiert für Fotos. Er zeigt damit, dass ihm die Nähe zu seinen Fans nach wie vor wichtig ist. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen er mit Holzfällerhemd auf der Bühne stand und zwischen den Songs über Politik oder was ihm sonst gerade einfiel quasselte.

 

Bilder: Bäckstage.ch / © Patrick Holenstein

Roman Rey / Mo, 19. Dez 2011