In Extremo (fast) in Vollendung
Als ich am Freitag frühmorgens aufwachte, hatte ich sofort «Roter Stern» im Ohr. Ich bekam ihn auch unter der Dusche und beim Kaffee nicht aus dem Kopf. Jetzt, ein paar Stunden später, sind es «Sternhagelvoll» und «Störtebeker». Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht die einzige bin, die nach dem gestrigen «In Extremo»-Konzert unzerstörbare Ohrwürmer mit sich herumträgt.
Den Beginn machte an jenem Abend der Titelsong aus dem aktuellen Album «Quid pro quo». Somit war der kritische und antikapitalistische Teil auch schon durch, und man konnte textlich zu dem Teil übergehen, der dem Mittelalter am nächsten kommt: Sex, Alkohol und Spielmannslieder. Zum Beispiel «Vollmond», bei dem Dr. Pymonte als grosser und sehr kräftiger Mann ein etwas lustiges Bild an der kleinen Harfe abgab, was aber schnell von den schönen Klängen verdrängt wurde.
Entschuldigung für den Chef
Zu «Störtebeker», der Single aus «Quid pro quo», bildete sich der erste Moshpit inklusive Stage-Diving. «… denn wir sind Piraten, und das ist unser gutes Recht …» wird darin gesungen, und wahrscheinlich fühlten sich gerade tatsächlich alle ein bisschen wie rebellische und wilde Seeräuber, die am nächsten Tag sowieso nicht arbeiten müssen. Sänger «Das letzte Einhorn» versprach nämlich, den jeweiligen Chefs eine Entschuldigung zu schreiben. Meiner hat davon allerdings nichts gewusst.
Komplett unpolitisch blieb es dann doch nicht. «Roter Stern» haben In Extremo in Russland geschrieben, weil «nicht immer alles so ist, wie es die Medien sagen». Davon kann man halten was man will, der Song ist aber einfach ein Liebeslied an Russland, das gute Laune und ein bisschen Lust auf Vodka macht.
Bei «Spielmannsfluch» ist die Stimmung endgültig am Siedepunkt angelangt. Das ganze Publikum grölt mit – zumindest im Refrain. Der besteht ja im Grunde auch nur aus fünf Wörtern und macht ausserdem richtig Laune. Wie viele der Songs von In Extremo, stammt er übrigens nicht aus der Feder der Band, sondern ist eine leicht abgewandelte Form des Gedichts «Des Sängers Fluch» von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814.
Bilder von Patrick Holenstein
Mitsingen war überhaupt ein grosses Thema für das gut gelaunte Publikum, was einen grossen Teil der Stimmung ausmachte. Nie musste von Seiten der Band erst dazu aufgefordert werden. Auf Korrektheit wurde dabei keinen grossen Wert gelegt, besonders in Sachen Text. Sogar das lateinische «Ave Maria» wurde irgendwie mitgegrölt. Wobei auch bei Sänger Michael Rhein der deutsche Dialekt immer durchschlägt, was selbst bei den Sprachen zu hören ist, die man selbst nicht spricht. Ich bevorzuge deshalb – trotz aller Exotik – die deutschen Texte von In Extremo.
Noch einmal frönten die Berliner ihrer Russland-Liebe – auf Russisch. Im Stück, das auf «Quid pro quo» zu hören ist, wird vom schwarzen Raben gesungen. Nicht, dass es Raben auch noch in anderen Farben geben würde, aber da auch dieses Lied auf einer bestehenden Sage beruht, sei es verziehen.
«Oh Zürich»
Bei «Moonshiner» wurde der Text zum Schluss sogar noch etwas abgeändert: Aus «Oh Mondschein» wurde kurzerhand «Oh Zürich». Der Menge gefiel es. Die meisten waren ja auch «Sternhagelvoll» – ebenfalls ein Stück aus dem aktuellen Album.
Als Zugabe kamen «Himmel und Hölle», «Liam» in der gälischen Version und «Pikse Salve».
«Quid pro quo» nahm einen verhältnismässig sehr grossen Teil der Setlist ein. Trotzdem sorgten die eingeschobenen älteren Songs immer wieder für etwas «In Extremo»-Nostalgie.
Etwas enttäuscht dürften höchstens jene Zuschauer gewesen sein, die wegen der Support-Band Hämatom in den Komplex kamen. Da Sänger Nord wegen eines Virus‘ im Krankenhaus ist, fand dieser Auftritt leider nicht statt. Ersatz wurde kurzfristig aus Kroatien geholt: Manntra, eine befreundete Band In Extremos fuhr dafür extra in die Schweiz. Ganz überzeugen konnten sie dabei nicht. Potential ist zwar durchaus vorhanden, aber die Tonabmischung war nicht gut, und die kroatischen Texte klingen speziell, gerade für ungewöhnte Ohren. Angesichts der Kurzfristigkeit und Spontanität der Band kann man ihnen das aber kaum übel nehmen, und wahrscheinlich lohnt es sich, ihnen bei Gelegenheit bei einem richtigen Gig nochmals eine Chance zu geben.
In Extremo haben es wieder geschafft, den Komplex 457 in einen brodelnden Kessel zu verwandeln. Schade ist nur, dass das Lokal keine Pyro-Technik zulässt. Die berühmten Feuer-Einlagen hätten die Show noch spektakulärer gemacht.