Mitmach-Zirkus
Unzählige Hände schweben in der Luft, und Stimmen singen mehr oder weniger korrekt mit Jörg Roth (alias «Alea, der Bescheidene») den Text mit. Das Publikum wird erfolgreich animiert.
Animation gibt es reichlich, während die deutsche Mittelalter-Rock-Band Saltatio Mortis im Zürcher X-Tra ihren Zirkus Zeitgeist aufführt. Immer wieder fordert Alea die Fans auf, ihre Hände zu heben, zu hüpfen, zu singen. Letzteres funktioniert teilweise sogar ganz gut - nachdem die ersten Schweizer Hemmungen besiegt sind.
Saltatio Mortis beherrschen - ganz die Spielleute - die Kommunikation perfekt. Um dabei die Stimme des Sängers nicht die ganze Zeit zu strapazieren, kommt hier Schlagzeuger und Haupttexter «Lasterbalk, der Lästerliche» sehr oft zu Wort. Und wie es sich für Spielleute gehört, ist die Wortwahl dabei nicht gerade fein. Und gelästert wird - der Lästerliche ist Programm - auch. Zum Beispiel gegen Bassist «Bludel Flank» (eigentlich Bruder Frank), den «Quotenchinesen». Der nimmts erwartungsgemäss mit Humor.
Sex gehört zum Mittelalter wie Clowns zum Zirkus
Die vielen Witze, Mono- und Dialoge wirken leider teilweise etwas zu einstudiert. Das Publikum findet es trotzdem lustig. Und an ein paar Stellen wird es dann doch noch individuell - so nutzt Lasterbalk ein Interview, welches Blick am Abend mit ihm führte, als Einstieg zur Vorstellung der neusten Band-Initiative - ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Blasen gegen Rechts» - gefolgt von der Aufforderung, die Männer können sich dafür an «Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein» (seines Zeichens vorwiegend Drehleier-Spieler) wenden, die Frauen an den Rest der Band. Was das jetzt genau hilft gegen Rechts, weiss wahrscheinlich niemand so genau. Aber Hauptsache das Statement steht, und Sex gehört schliesslich zum Mittelalter wie die Clowns zum Zirkus.
Um den politischen Einschub zu untermauern, wird danach gleich «Augen zu» gespielt, der wohl einer der besten und vor allem wahrsten Songs auf dem aktuellen Album «Zirkus Zeitgeist» ist. Auch live überzeugt das Stück, so wie die anderen Songs aus verschiedenen Alben auch. Die Musikanten beherrschen ihre Instrumente allesamt sehr gut, und die Stimme sitzt trotz schon fast hyperaktivem Springen, Rennen und Hüpfen. Diese Aktivität scheint sich auszuzahlen - Alea zeigt einen sehr ansehnlichen Oberkörper.
Stagediving auf Spitzenniveau
Noch vor 21:30 Uhr verlassen die Spielleute das erste Mal die Bühne. Wegen der «More Than Mode»-Party im Anschluss muss das Konzert um 22 Uhr bereits beendet sein. Dafür kommt die Zugabe mit umso mehr Power und einem ersten Gitarren-Solo. Es werden gleich vier Zugabe-Songs geboten, und zu «Ode an die Feindschaft» treibt Alea den Publikumskontakt mit Stagediving auf die Spitze. Bemerkenswert, wie klar die Töne noch aus seinem Mund kommen, während er an wahrscheinlich fast allen Körperteilen betatscht wird.
Zum Abschluss bringen Saltatio Mortis den «Spielmannsschwur» und die Textzeile «Wir sind geboren um Spielmann zu sein» kauft man jedem einzelnen von ihnen sofort ab.
Mit «Zirkus Zeitgeist» haben Saltatio Mortis nicht nur ein grossartiges und kritisches Album kreiert, sondern gleich eine ganze Show, die das Publikum für zwei Stunden in eine andere Welt entführt.