Backstage Unplugged

Vorbericht: Zermatt Unplugged
Das Hotel Backstage in Zermatt
Bildquelle: 
Hotel Backstage

Die Anreise nach Zermatt ist nicht gerade unkompliziert. Das Dorf im Wallis ist autofrei – bzw. hier sind lediglich kleine Elektrofahrzeuge erlaubt. Ist man erst einmal in Zermatt, geniesst man einen fantastischen Blick auf´s Matterhorn. Überhaupt ist das Wallis eine Sonnenstube: «Wir haben über 300 Sonnentage im Jahr», erzählt mir der Taxifahrer, der die Gäste von Täsch aus bis an den Dorfeingang von Zermatt «embrüf» (für Nicht-Walliser: hinauf) fährt. Auf Wunsch kann man vom Dorfeingang ohne eine Minute zu warten ins Elektro-Taxi umsteigen. Günstig ist der Spass allerdings nicht: Gute 30 Franken zahlt man von Täsch bis in den Zermatter Dorfkern. Wer weniger ausgeben will, nimmt den Zug.

Zermatt bietet nicht nur eine Märchenkulisse, sondern auch das im April zum fünften Mal stattfindende Musikfestival «Zermatt Unplugged». Die Bühne der ersten Stunde war diejenige des Multi-Eventlokals «Vernissage». Seit letztem Jahr ist dem «Vernissage» ein Hotel namens «Backstage» angebaut. Da versteht es sich von allein, dass Bäckstage sich das näher anschauen musste. Besitzer und Erbauer des «Backstage» ist der in der ganzen Schweiz bekannte Walliser Künstler Heinz Julen.

 

Der Künstler Heinz Julen

 

 

Auf Knopfdruck wird das Kino zur Konzerthalle


Der gebürtige Zermatter empfängt mich abends gut gelaunt in der Lobby seines Hotels im 2. Stock. Überhaupt ist das Hotel «Backstage» eher unscheinbar. Julen ist das aber ganz recht: «So laufen hier nicht Kreti und Pleti mit Einkaufstüten beladen herein. Wir sind zwar mitten im Zentrum, man muss uns aber schon selber finden und entdecken», erzählt er schmunzelnd. Mit dem vor knapp einem Jahr eröffneten Hotel hat sich Julen einen Traum erfüllt. Während des «Zermatt Unplugged» ist das Hotel mit seinen 19 Zimmern Zufluchtsstätte für auftretende Künstler, deren Manager und für sonstige VIPs. Gemeinsam mit seiner Frau Evelyne lebt Julen in einer Wohnung im obersten Stock des Hauses. «Die Gäste kommen also quasi alle zu mir nach Hause. Ich habe hier mein eigenes kleines Universum: World Wide Open Zermatt mit internationalem Publikum. Das finde ich schön.» Den im Keller liegenden Club Vernissage gibt es im Gegensatz zum Hotel seit 20 Jahren.

 

 

Frühstücksraum und Lobby des Hotels Backstage. Während des Festivals treffen sich hier die Künstler.

 

«Das Vernissage ist eine Mischung aus Kino, Konzerthalle, Restaurant, Ausstellungsraum und Club. Mir war klar, dass ein Kino in Zermatt kaum Überlebenschancen hat. Deshalb habe ich es so gebaut, dass das Kino auf Knopfdruck zur Konzerthalle umfunktioniert werden kann.» Und tatsächlich: Die  Julen-typischen grossen und mit allerlei Alltags-Dingen bestückten Kronleuchter (z.B. Badewannen-Kettchen inkl. Stöpseln)  fahren auf Knopfdruck zur Seite. Leinwand und Sessel verschwinden ebenso –  und fertig ist die perfekte Konzerthalle für 650 Leute.

 

Per Lift direkt auf die Bühne

 

Von der Rezeption aus gelangen die Musiker per Lift direkt auf die Bühne. Das ist auch der Hauptgrund, warum das Hotel den Namen «Backstage» trägt. Überhaupt ist Heinz Julen sehr technikbegeistert. In einem Seitenraum des Club-Theaters stellt Julen ganzjährig Kunst aus. Zurzeit sind dort seine neusten Werke zu sehen – eine Adaption seiner Bergwürfel. Mein Blick fällt aber auf den Tisch, der prominent in der Mitte des Raumes steht. Auf Knopfdruck schwebt die gedeckte Tafel ruhig an Stahlwinden bis an die Decke. «Ich mag Multifunktionalität, so kann man den Raum ständig verändern», erklärt mir der symphatische Künstler, der schon als Junge gerne gebastelt hat. «In den Anfängen meiner Karriere habe ich das Matterhorn gemalt und die Zeichnungen an Touristen verkauft», sagt er lachend. Heute ist Julen ein gefragter Innenarchitekt. Prominente Beispiele seiner Arbeit: Die «Baracca Zermatt» am Flughafen Kloten und das Restaurant «Rüsterei» im Zürcher Einkaufszentrum Sihlcity.

 

Der Tisch, der gedeckt an die Decke versorgt werden kann.


Der 48-Jährige arbeitet hauptsächlich mit Holz und Stahl. Wie sich das für einen Künstler gehört, verbringt er viel Zeit in seinem Atelier. Mit einem Freund betreibt er zusätzlich ein Architekturbüro in Zürich. «Auch meine Zeit ist beschränkt, deshalb hatte ich das «Vernissage» für einige Jahre verpachtet.» Die Pächter sind keine Unbekannten: Erster Betreiber war Martin Schorno, Mitgründer der Streetparade. Fünf Jahre später kam Thomas Sterchi – Vater des «Zermatt Unplugged» – zum Zug. Seit Eröffnung des «Backstage» ist das «Vernissage» wieder unter den Fittichen von Heinz Julen und seinem Team.

 

In den ersten Jahren veranstalteten Sterchi und Julen in der Wintersaison fünf bis sechs Konzerte. Züri West, Polo Hofer und auch Konstantin Wecker standen schon auf der «Vernissage»-Bühne. Aber die beiden Veranstalter sahen sich mit den Problemen einer ausgereiften Promotion konfrontiert. Deshalb beschlossen sie, dass sie viele einzelne Konzerte einfach in einen grossen Event umgestalten könnten. Die Idee zum «Zermatt Unplugged» war geboren. Namensgeber war übrigens Chris von Rohr, ein guter Freund von Julen. «Als ich mit Chris über die Idee sprach, meinte er, wir sollten mit dem Festival back to the Roots. Das taten wir.» Im ersten Jahr engagierten sie Chris de Burgh. Er kam nur mit seiner Gitarre als Begleitung. «Wir hatten Mühe, den Club zu füllen.»

 

Chris von Rohr als Namensgeber

 

Nach diesem Konzert sagten sich die Festival-Gründer: Entweder jetzt richtig oder wir lassen es. Sterchi stellte das nötige Kapital zur Verfügung. Im folgenden Jahr gab es dadurch die Zeltbühne. Julen gründete den Verein «Zermatt Festival Friends», die ihrerseits Kapital einbringen. Und in Zermatt erwachte plötzlich der Musik-Groove. Mit jedem Jahr wurde das Line-Up grösser und das Festival in der Schweiz bekannter. Das Festival wird heute von den wichtigsten Leitstungsträgern vor Ort getragen - ohne sie könnte der Event nicht in dieser Dimension über die Bühne gehen. So engagiern die Verantwortlichen auch heute vor allem Künstler, die perfekt ins Konzept passen. Julen schwärmt: «Vor zwei Jahren hatten wir Stefan Eicher mit seinem Streich-Ensemble. Das war super.» Hauptanspruch des Festivals: Die Musik soll echt und unverfälscht sein.

 


Eins der Zimmer im Hotel «Backstage».


Musik und visuelle Kunst passen für den Walliser einfach gut zusammen: «Beides sind Kunstformen, die Stimmungen transportieren.» Julen lässt sich gerne von Musik inspirieren. Während der Arbeit hört er ständig Musik – und zwar die, die gerade im Radio läuft. «Privat ist mein Musikgeschmack vielleicht etwas veraltet. Ich höre gerne Sting, U2, Grönemeyer, aber auch Unheilig gefällt mir gut.» Veraltet wirkt Julen auf jeden Fall nicht. Und das Hotel «Backstage» samt Club «Vernissage» ist mit so vielen innovativen Details gespickt, dass man aus dem Staunen fast nicht mehr herauskommt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich entdecke erst beim Verlassen des Hotels, dass die Türgriffe zwei Teekannen aus Porzellan sind.

 

Fotos: Hotel Backstage

 

Linda von Euw / Mo, 26. Mär 2012