Sherlock ermittelt im 21. Jahrhundert

DVD-Kritik: Sherlock Staffel 2
Sherlock Staffel 2
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BBCGermany

Es scheint, als ob das englische Fernsehen gegenwärtig ein sehr gutes Händchen für klassische Figuren der Kulturgeschichte hat. Die Serie «Whitechapel» zum Beispiel brachte bereits Jack the Ripper in die heutige Zeit und liess ihn wenigstens in der ersten von bisher drei Staffeln sein Unwesen treiben. Aber den wirklich grossen Coup hat BBC gelandet, indem sie den wohl bekanntesten Detektiv der Literaturgeschichte plötzlich mit Instrumenten wie Handy und Internet ermitteln und durch das moderne London hetzen liess. Sherlock Holmes’ Transfer in die Moderne zählt zum Besten, was das internationale Fernsehen in den letzten Jahren ausgestrahlt hat. Endlich ist die zweite Staffel der preisgekrönten Serie «Sherlock“ zu kaufen.

 

Sherlock vs. Dr. Moriarty

 

Mit einem groben Cliffhanger endete die erste Staffel. Konsequenterweise steigt der erste Fall der zweiten Staffel, «Ein Skandal in Belgravia», dann auch genau in jenem Schlussmoment wieder ein und löst die Spannung. Wider Erwarten, aber absolut logisch, wird der rote Faden, die Storyline um Sherlocks Erzfeind Dr. Moriarty, wieder aufgenommen. In der Folge wird Sherlock aber erst mit der Wiederbeschaffung diskreditierender Fotos eines Mitglieds des Königshauses beauftragt und gerät dadurch an eine weitere Figur aus den klassischen Sherlock-Holmes-Büchern von Sir Arthur Conan Doyle: Irene Adler. Sherlock und Dr. Watson bekommen es mit den «Hunden von Baskerville» zu tun und entlarven, was hinter den Monsterhunden steckt. Durch jede der 90-minütigen Folgen steigert sich die Spannung und gipfelt schliesslich im erneuten Aufeinandertreffen zwischen Sherlock und Dr. Moriarty im «Reichenbachfall», der von Sherlock radikale Schritte und viel Emotionen fordert und den Zuschauer erneut foltert, indem die Fortsetzung kaum mehr zu erwarten ist. Nicht etwa, weil der Schluss offen wäre, sondern weil man sofort wissen will, wieso der Schluss so möglich ist. 

 

Serie lebt von der Chemie der Darsteller

 

Sherlock Holmes ist auch in der Neuzeit eine Nervensäge, besserwisserisch, arrogant und kalt wie Stein, interessiert sich nur für seine Fälle und nicht für die Menschen dahinter und ist vielleicht gerade deswegen der brillianteste Privatermittler auf der Welt. Benedict Cumberbatch verleiht durch sein hibbeliges Spiel und seiner im einen Moment minimalistischen und im nächsten vor Leben sprudelnden Mimik der Hauptfigur viel Tiefe. Zwar ist der zynische Sherlock durchaus eine Art Antiheld, der keine Grenzen kennt und menschliche Umgangsformen grösstenteils verweigert, aber als Zuschauer sympathisiert man trotzdem schnell mit ihm. Anders Dr. Watson. Der verschlossene Arzt und ehemalige Afghanistan-Veteran, der die Abgründe der Welt gesehen hat und mit diesen abgeschlossen zu haben scheint, nimmt die Tage wie sie kommen. Ihn schockt so leicht nichts. Martin Freeman ist als Sidekick von Sherlock schlicht perfekt besetzt und bildet den ruhigen Pol, selbst dann, wenn sich der Detektiv mal wieder vor Euphorie sinnbildlich im Kreis dreht. Durch die ruhige und pragmatische Art Watons dauert es etwas länger, bis sich sein Charme offenbart. Er lebt mit Sherlock in einer schrägen Wohngemeinschaft, ist dadurch den Maroden des Meisterdetektivs ausgeliefert und verlässt mehr als einmal genervt das Haus. Das Zusammenspiel der beiden Darsteller trägt viel zur Chemie der Serie bei. 

 

Hommage an Pink Floyd

 

Watson beginnt einen Blog über die Fälle von Sherlock zu schreiben und löst damit mehr aus, als er eigentlich will. Plötzlich steht der Detektiv im Zentrum der Öffentlichkeit und wird zum Internetphänomen. Das behindert nicht nur seine Ermittlungen, sondern bringt ihn gar unter Verdacht, selbst ein Verbrecher zu sein. Zudem postet Watson einen Schnappschuss von Sherlock mit dem berühmten karierten Hut, der aus früheren Verfilmungen bekannt ist. Sherlock is not amused. Diese augenzwinkernden Spielereien mit Elementen der literarischen Vorlage sind ein grosser Bestandteil der Serie und eine Liebeserklärung an das Werk Conan Doyles. Sowohl die Hunde von Baskerville als auch der Reichenbachfall – der nicht im Berner Oberland stattfindet - sind bekannte Namen aus dem Universum Conan Doyles und Fans der Detektivgeschichten dürften noch so einige Hinweise auf die Bücher finden. Fans von Pink Floyd dürften sich über eine kleine Hommage in der ersten Folge freuen, findet doch eine Schlüsselszene in der berühmten Battersea Power Station statt, die das Cover von «Animals» ziert.

 

Elementar für die Serie ist der rabenschwarze und trockene Humor, jene Art von Witz, wie ihn halt nur die Engländer kreieren können, gepaart mit einer kräftigen Portion Sarkasmus. Die Gesamtheit dieser Elemente machen «Sherlock» zu einem diebisch-schönen Vergnügen und wenn die letzten Credits über den Bildschirm laufen, sehnt man sich bereits nach mehr. «Sherlock» ist wahrscheinlich jetzt schon ein moderner Klassiker – Kult ist die Serie definitiv bereits nach «nur“ zwei Staffeln. 

Patrick Holenstein / Di, 05. Jun 2012