Mia und ihre Dämonen

Moviekritik: Talk To Me
Bildquelle: 
© 2023 by Praesens-Film. All rights reserved

Horrorfilme sind fast so alt wie die Filmgeschichte. Entsprechend schwierig ist es, neue Stoffe zu finden und noch zu überraschen. Der Film «Talk To Me» versucht gar nicht erst, völlig neue narrative Wege zu geben. Die Zutaten sind bekannt. Junge Menschen, die naiv-neugierig Grenzen überschreiten und arrogant genug sind, mit fremden Mächten zu spielen. Entscheidend ist viel mehr, dass die Inszenierung stimmt. Hier trumpft «Talk To Me» durchaus und wirkt erfreulich frisch.

 

Mia ist eine Art Eigenbrötlerin, seit ihre Mutter sich das Leben genommen hat. Sie hat nur wenige Freunde, klammert sogar leicht, und tut sich schwer mit sozialem Umgang. Als sie im Netz ein Video einer schrägen Beschwörung findet, ist sie Feuer und Flamme. Gut, dass ihre beste Freundin Jade die Gruppe aus dem Video kennt. Mia kann sich der Gruppe anschliessen und macht eine besondere Erfahrung. Eine mumifizierte Hand soll Verbindungen zur Totenwelt ermöglichen. Man reicht ihr die Hand, ruft «Talk To Me» und schon erscheint ein toter Mensch. Sagt man darauf: «Ich lasse dich rein», übernimmt der oder die Tote den eigenen Körper. Dabei beträgt die maximale Zeitspanne für den «Besuch» 90 Sekunden. Danach wird man den Gast nicht mehr los.

 

Riley schüttelt die Hand und wird von einem Besucher gequält. (©Matthew Thorne /Quelle: Praesens Film)

 

Die Erfahrung ist für Mia wie eine Droge. Bei einer Seance erscheint nämlich Mias Mutter, was Mia förmlich aus der Bahn wirft. Fast manisch lässt sie gemeinsam mit der Gruppe einen Gast nach dem anderen in die Körper, immer mit der Hoffnung, ihre Mutter erneut zu treffen - bis ein Besuch fürchterlich schief geht. Als Riley, der kleine Bruder von Jade, einen Geist reinlässt, öffnet er eine fiese Büchse der Pandora und setzt dadurch eine Spirale im Gang, in deren Folge er von einem Toten schwer verletzt wird, wodurch die 90 Sekunden deutlich überschritten werden. Die Schuld fällt Mia zu, immerhin ist sie ein leichtes Opfer und jemand muss schliesslich die Schuld bekommen. Aber Mia wird weiter von Visionen geplagt, die Wirklichkeit verschwimmt immer mehr. Ist jemand in ihre Welt eingedrungen? Wurde die Tür nicht verschlossen?

 

Die goldrichtige Entscheidung

 

«Talk To Me» baut die Story mit bekannten Elementen auf, vermischt diese aber mit einer Art Urban Legend. Die Beschwörung von dunklen Mächten. Die kleinen Machtkämpfe unter Jugendlichen. Der Druck von Teenagern in der Findungsphase. Die Ausblendung von Konsequenzen. Die Ausgrenzung aus Furcht. Die australischen Brüder Danny und Michael Philippou kümmern sich aber herzlich wenig um bekannte Elemente, sondern nutzen sie geschickt nur als emotionale Trigger. Das ist die goldrichtige Entscheidung. Die Brüder bauen lieber die Geschichte um Mia und ihrer Trauer auf. Dieser Kniff erlaubt rasch die Frage, ob wirklich eine fremde Macht ihr Unwesen treibt oder vielleicht doch Mia von ihren eigenen Dämonen bzw. der Trauer geplagt wird. Diese fragil wirkende junge Frau steht als Symbol für sozialen Druck und die Auswirkungen auf die Psyche. Zumal sie Sachen beobachtet, die von aussenstehender Perspektive betrachtet, sie selbst macht. Schleichend, aber fies baut sich so eine Metaebene auf, die fasziniert, Raum für Interpretationen lässt und «Talk To Me» von ähnlichen Filmen wohltuend abhebt. Bis zum grossen Plus des Films, dem richtig schlauen Schluss. 

 

Was passiert gerade mit Mia? (©Courtesy of A 24 / Quelle: Praesens Film)

 

Die Idee mit der Urban Legend und der geheimnisvollen Hand im Mittelpunkt ist spannend inszeniert, irgendwo zwischen Coming of Age und naiver Neugier. Man glaubt schnell zu ahnen, wohin die Geschichte führt, und fühlt sich gut aufgehoben. So einfach gestrickt ist «Talk To Me» aber nicht. Die Story spinnt ein feines Netz, entwickelt sich immer wieder neu, zumindest auf gewissen Ebenen, und man lässt sich am besten fallen und geniesst den atmosphärisch beklemmend umgesetzten Film.

 

Hier kommen die Regie-Brüder ins Spiel, die in Australien gefeierte Youtuber sind und für ihren Mix aus Comedy und Horror bekannt sind. In ihren Spielfilmdebüt klammern sie den Comedy-Aspekt jedoch mehrheitlich aus. Die Sequenzen mit Seancen sind düster und stimmungsvoll kreiiert und der Verlauf der Geschichte bietet auch sonst kaum Platz für Jokes. Vermutlich sind Danny und Michael selbst grosse Horrorfans und haben die Mechanismen des Genres verstanden. Durch Erfahrungen in der Kameracrew beim sehr sehenswerten «Der Bbabadook» konnten die Brüder zudem erste Erfahrungen sammeln, was man gerade auf der psychologischen Ebene gut merkt. 

 

Nicht zuletzt funktioniert der Film dank des Casts. Besonders stechen Joe Bird als gebeutelter Riley und Sophie Wilde als Mia heraus. Letztere ist sowieso gerade dabei, als kleiner Stern aufzugehen. Neben «Talk To Me» überzeugt die Australierin in der Netflix-Serie «Everything Now» als junge Frau mit Essstörungen und es dürfte spannend sein, welches Projekt sie als nächstes annimmt. Wie sie die zunehmend unsicher werdene Mia spielt, die sich selbst hinterfragt, an den Dingen, die sie sieht, zu verzweifeln beginnt und sich zwischen Unsicherheit und Angst bewegt, lässt nicht kalt. Man beginnt mit Mia zu fiebern und stellt sich hinter sie, was letztlich zu grossen Teilen an der Mimik von Wilde liegt. 

 

«Talk To Me» erfindet das Genre nicht neu, baut aber aus bekannten Elementen geschickt eine spannende und innovative Geschichte auf, die selbst erfahrene Horrorfans überzeugen kann. Ein Sequel soll in Planung sein. Hoffen wir es. 

 

  • Talk To Me (Australien 2023)
  • Regie und Drehbuch: Danny und Michael Philippou
  • Besetzung: Sophie Wilde, Joe Bird, Alexandra Jensen
  • Laufzeit: 95 Minuten
  • Auf DVD und Bluray sowie zum Streamen erhältlich

 

 

Patrick Holenstein / Mo, 18. Dez 2023