Goya, Carrière and the Ghost of Buñuel
Francisco de Goya (1746-1828): Der Name verbirgt Mysteriöses. Zu Beginn seiner Karriere erstellt der Maler aus dem Norden Spaniens hauptsächlich Gemälde von Adligen und von der königlichen Familie. Bald beginnt Goya aber auch, gesellschaftskritische Drucke anzufertigen, in denen er Kleriker, Adlige, den verbreiteten Aberglauben und auch die aufklärerische Bewegung scharf und pointiert kritisiert. Der alternde und taube Goya zieht sich schlussendlich allein in sein Landhaus zurück, dessen Wände er mit seinen berühmten, auch heute noch erschrecken-den «schwarzen Gemälde» bedeckt.
Der Film «Goya, Carrière und der Geist von Buñuel» präsentiert uns das Verständnis des Schriftstellers und Drehbuchautors Jean-Claude Carrière der Bilder Goyas. Der alternde Carrière begibt sich auf seine letzte Reise nach Spanien, um das Leben und Werk des Malers mit sei-ner Perspektive zu beleuchten.
Thema des Films ist die Interpretation von Kunst durch einen Künstler, festgehalten in einem Dokumentarfilm. Grundsätzlich hängt der Wert einer Interpretation davon ab, ob eine Perspektive überzeugend dargelegt wird. Wo die Grenze zwischen nahe liegender Interpretation und weit hergeholter Projektion ist, entscheidet bis zu einem gewissen Punkt jede Person selbst. Einerseits überzeugt Carrière teilweise durch originelle, aber nachvollziehbare Interpretationen. So beispielsweise, wenn er in einer von Goya abgebildeten, scheinbar harmlosen Abbildung des Volks am Ende eines Arbeitstags eine subtile Klassenkritik entdeckt. Allerdings gibt es Momente, in denen tiefgründige Aspekte in eher unscheinbaren Werken gefunden werden, welche dem Zuschauer trotz der Erläuterungen Carrières verschlossen bleiben.
«Goya, Carrière und der Geist von Buñuel»: Die Vision von Goya wird mit der Interpretation von Carrière verbunden, dessen Perspektive wiederum von seinen Erfahrungen mit seinem Freund, dem Filmemacher Buñuel, beeinflusst ist. Die Parallelen zu Buñuel sind allerdings nicht ganz einleuchtend. Im Film wird dargelegt, ihr Stil sei ähnlich, ihre Herangehensweise kindlich. Während dies im Film nicht klar genug mit Beispielen belegt wird, teilen die beiden Künstler offensichtlich eine kritische Hinterfragung der Idee von Vernunft als Mittel, die Wahrheit zu erfassen. Dies ist auch in Carrières eigenem Werk sichtbar, zuletzt in seinem Drehbuch zu Vincent Van Goghs Leben, «At Eternity’s Gate».
Eingerahmt wird der Besuch in Spanien durch Gesprächsfetzen zwischen Carrière und einer Person hinter der Kamera. Dabei sitzt der Drehbuchautor jeweils im Zug und man sieht die spanische Landschaft an ihm vorbeiziehen. Dieses wiederkehrende Bild bietet einen interessanten Referenzpunkt. Einerseits ist man tatsächlich mit Carrière auf einer Art Reise unterwegs. Man besucht mit ihm verschiedene Schauplätze, die für Goya von grosser Wichtigkeit waren. Andererseits reist man auch durch die Zeit, die beschrieben wird, in die Zeit der Aufklärung, der Revolution und Napoleons, die Lebenszeit von Goya. Diese wird schliesslich auch übergeführt in die Lebenszeit Carrières, die mit diesem Film ihr Ende nahm. Tatsächlich ist der Denker, Kritiker und Buchautor wenige Monate nach dem Training dieses Dokumentarfilms verstorben.
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind. Wir sehen sie so, wie wir sind. Das stimmt für Interpretationen allgemein, aber besonders für diesen Film. Goya wurde von verschiedenen Strömungen der Kunst für sich beansprucht. Zuerst von den Aufklärern, dann den Romantikern, danach von Impressionisten und Expressionisten. Nun eben auch von den Surrealisten. Er war eine Figur, die beobachtend, taub, aus der Zeit gefallen war. Sieht man sich die Bilder heute an, steht fest: Auch ins 21. Jahrhundert gehört er noch. Der Titel veranschaulicht: Buñuel verweilt im Jenseits, Carrière ist auf dem Weg zu ihm; Goya aber lebt.
In Uneingeweihten wird dieser Film Begeisterung für die Kunst des spanischen Malers Francis-co de Goya wecken, in Kennern des Oeuvres wird er diese verstärken.
- GOYA, CARRIÈRE & THE GHOST OF BUÑUEL (Portugal, Spanien, Frankreich 2022)
- Regie: José Luis López-Linares
- Besetzung: Jean-Claude Carrière, Cristina Otero Roth
- Laufzeit: 90 Minuten
- Kinostart: 1. Dezember 2022