Es ist die Möglichkeit!
Bei der siebten Ausgabe einer Filmreihe würde man erwarten, dass man genau weiss, was man zu erwarten hat. Dennoch gilt gerade für diese Iteration; je weniger man vorab weiss, desto besser. Das sehr aktuelle Thema, das der Streifen verhandelt, wird zwar in allen Trailern angeschnitten, offenbart sich aber erst im Kino. So viel sei gesagt; Ethan Hunt wird von seiner Vergangenheit eingeholt und muss sich mit seinem Team einem unsterblichen Endgegner stellen.
Führ’ mich zum Schotteeer!
Natürlich wurde wieder mit den üblichen Elementen gekocht. Mit den Masken, den exotischen Austragungsorten und atemberaubenden Stunts. Aber während vergleichbare Projekte in jüngsten Jahren ihre Budgets für Gagen und schwerelose Pixelkreationen in geschützten Greenscreen-Werkstätten verbrieten, ist hier das viele Geld zu einer jeden Zeit sichtbar. Es regnet buchstäblich in den Saal. Hier werden Motorräder und ganze Züge – in echt! – über Klippen gejagt und nur am Rande mit CGI geschmückt. Die Autoverfolgungsjagd in Rom lässt jene von «Fast & Furious 10», die notabene in derselben Stadt spielt, wie eine Nickelodeon-Produktion aussehen. Kurzum: Cruise lässt kaum eine Gelegenheit aus, um seinen Beruf zum Hobby zu machen.
Frauenpower – und zwar auf Dauer
Wie schon bei «Top Gun: Maverick» handelt es sich auch bei diesem Film um ein Ensemble-Stück, nicht um einen Männerclub und auch nicht um die Tom-Cruise-Show. Stammspielerinnen Rebecca Ferguson und Vanessa Kirby bekommen wieder richtig was zu tun, unter anderem mit Pom Klementieff («Guardians of the Galaxy»), die eine total irre Terminatrix verkörpert. Eine sagenhafte Selektion! Weder sind ihre Figuren Burgfräulein in Nöten, noch kommen sie stark und unabhängig oder anderweitig unerträglich perfekt aus der Versandhandelspackung. Besonders hervorzuheben ist Neuzugang Haylay Atwell, die unwiderstehlichen Charme, Elan und perfektes komödiantisches Timing an den Tag legt. Allein ihre Faxen in brenzligen Situationen sind den Eintritt wert.
Hirn mitnehmen und eingeschaltet lassen
In Interviews betonte die Cast, dass die pandemiebedingten Restriktionen am Set sie enger zusammengeschweisst hätten, und genau diese Nähe kommt zur Geltung. Selten hat man eine solche Chemie zwischen Figuren einer derart gigantischen Produktion gesehen. «Mission Impossible – Dead Reckoning Teil eins» ist rasant, überlebensgross, schillernd und clever. Stellenweise sogar brillant. Eine Besinnung auf das, was klassische Sommer-Blockbuster einst klassisch machte, während gleichzeitig an den Grenzen des technisch Machbaren gerüttelt wird. Weder biedert er sich an, noch spricht er vom Pferd herab, sondern packt sein Publikum und zieht sie in eine Abenteuerwelt. Eine fesselnde Mischung aus Realismus, Gefahr und Selbstironie. Dagegen ist selbst mancher Freizeitpark ein Drei-Franken-Ritt im halbtoten Einkaufszentrum.
Aber: Ist er besser als der Vorgänger «Fallout?». Nun, die beiden sind sich ungefähr ebenbürtig. Genaueres lässt sich allerdings erst sagen, wenn der zweite Teil draussen ist. Aber mittlerweile vertraue ich McQuarrie und Cruise derart, dass ich schon jetzt zum Vorverkaufsschalter rennen würde. Ihr versteht? Rennen?
Man muss dieses Werk unbedingt auf der grossen Leinwand erleben. Denn in Punkto Aufregung und Spektakel steht er auf einer Stufe mit «Jurassic Park» und «Terminator 2», wenngleich ihm deren Kultstatus abgeht. Das bedeutet dann gleichzeitig, dass Wolfang M. Schmitt diesen Film samt Anzug erbost in der Luft zerreissen dürfte – und ein wertvolleres, ein heiligeres Gütesiegel könnte man sich eigentlich kaum vorstellen.
Tom Cruise ist und bleibt verrückt. Weil er dem Publikum gibt, was es verlangt. Weil er – entgegen aller Risiken und seines Jahrgangs – praktische Effekte Computerspielereien vorzieht. Und weil er trotz seiner Starpower lieber auf ein hochkarätiges Ensemble setzt, statt den allmächtigen Superhelden zu mimen. Nur so konnte ein fast makelloser Actionfilm entstehen, der einen – und eine – mit einem Hochgefühl entlässt.
- «Mission Impossible – Dead Reckoning Teil eins» / USA 2023
- Regie: Christopher McQuarrie
- Besetzung: Tom Cruise, Haylay Atwell, Vanessa Kirby, Pom Klementieff, Rebecca Ferguson, Simon Pegg u.v.a.
- Laufzeit: 2h 42min
- Kinostart: 13. Juli 2023