Durst nach einem anderen Leben
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Verliebte Teenager, feindliche Gangs und bissige Vampire: Seit dem Millionenerfolg von «The Twilight»-Saga ist klar, dass dieser Plot funktioniert. Doch Regisseur Michael O’Shea zeigt, dass sich eine solche Geschichte auch anders erzählen lässt, und schlägt mit «The Transfiguration» ein neues Kapitel auf in puncto Vampire im Film.
Vom Kind zum Teenager
Die Eltern des 14-jährigen Milo (Eric Ruffin) sind tot, sein Alltag ist geprägt von der Gewalt und Trostlosigkeit in der Betontristesse New Yorks. In der Schule wird er gemobbt, Zuhause liegt sein älterer Bruder Lewis (Aaron Moten) auf der Couch, traumatisiert vom Tod der Mutter. Angesichts dieser harten Realität scheint es nur logisch, dass sich der Teenager in die Fantasiewelt des Vampirismus flüchtet. Doch Milo geht einen Schritt weiter: Akribisch schaut er sich alles an, was seit «Nosferatu» an Vampirfilmen über die Leinwand geflattert ist, liest Vampirbücher, macht sich Notizen – und tötet jeden Monat bei Vollmond Menschen mit einem als Kugelschreiber getarnten Messer, um ihr Blut zu trinken. Als er Sophie (Chloe Levine) im Treppenhaus trifft und klar wird, dass sie Nachbarn sind, entsteht zwischen den beiden Jugendlichen eine zarte Verliebtheit, die stark genug ist, um Milo für eine Weile seinen Blutdurst vergessen zu lassen.
Vom Sohn zum Waisen
Doch sowohl Sophie als auch Milo sind bereits arg gezeichnet vom Leben: Sie wohnt bei ihrem gewalttätigen Grossvater; er hat im Alter von acht Jahren den Vater verloren und später seine Mutter mit aufgeschnittenen Pulsadern im Schlafzimmer gefunden. Überdeutlich wird die Verlorenheit dieses kindlich-erwachsenen Paares, als Sophie nach einem gemeinsamen Tag im Vergnügungspark mit einem riesigen Teddybären und einer weissen Plastiktüte voller Dollarscheinen dasteht: Das Geld gehörte Milos Opfern, für Sophie ist es das Ticket zu einer Cousine in Alabama und damit einem besseren Leben. Denn der ernste und schweigsame Milo hat einen Entschluss gefasst. Die letzten Zeilen in seinem Tagebuch zeigen in aller Deutlichkeit, wie reflektiert dieser 14-Jährige ist: «If you can only exist to hurt people, and you know better, then maybe i’ts better to decide not to exist at all».
Vom Menschen zum Vampir
Vom surrealistischen Schwarzweiss-Drama in Teheran («A Girl Walks Home Alone at Night») bis zur urkomischen Vampir-WG («What We Do in the Shadows»): Der Überbegriff «Vampirfilm» beherbergt eine schillernde Vielfalt an Filmen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Entsprechend ist «The Transfiguration» in erster Linie Sozialdrama und Coming-of-Age-Film, der die Verwandlungen von Milo und deren Konsequenzen zeigt. Der Vampirismus ist hierbei Ausdruck der schweren psychischen Belastungen, denen der Junge ausgesetzt ist. «The Transfiguration» ist ein stiller und doch wuchtiger Film, der lange nachhallt. Dass Milos Geschichte nicht gut ausgehen kann, ist von Anfang an klar. Während er sich minutiös und gefühllos wie Dexter Morgan an seine Opfer herantastet, wird dank Eric Ruffins Schauspieltalent auch der sensible, von Schicksalsschlägen und Pubertät gebeutelte Milo sichtbar, der seiner tristen Welt nicht entkommen kann. In ruhigen, latent bedrohlichen Bilder erzählt Michael O’Shea diese tragische Geschichte, begleitet von einem klug ausgewählten Soundtrack (Margaret Chardiet).
Ein rührender und gleichzeitig niederschmetternder Film, der einmal mehr zeigt, dass das echte Leben grausamer sein kann als jedes Horrormärchen.
- Transfiguration (USA 2016)
- Regie: Michael O’Shea
- Besetzung: Eric Ruffin, Chloe Levine, Aaron Clifton Moten
- Laufzeit: 97 Minuten
- Kinostart: 13. Juli 2017