Die Meeresgöttin und ihre Vermittlerin

Moviekritik: Mami Wata
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Zuerst fallen im Film «Mami Wata» die kunstvoll bemalten Gesichter der Figuren auf. Weisse Punkte und ästhetische Symbole zieren die Mitglieder der Gemeinschaft, unterstreichen die anatomischen Feinheiten. Durch den in Schwarz/Weiss gedrehten Film beginnen die Verzierungen richtiggehend zu leuchten. Rein künstlerisch betrachtet, wurde die Wahl des Stilmittels schlau getroffen. Der Film aus Nollywood, wie die nigerianische Filmindustrie gerne genannt wird, ist daneben bemerkenswert, weil er Traditionen, Spiritualität und Stammesrituale mit realer, menschlicher Grausamkeit verbindet.

 

Mami Wata ist eine westafrikanische Legende. Diese nutzt der Film geschickt als mystisches Element, um die Geschichte zu lancieren. Die Meeresgöttin kümmert sich um die Menschen, schenkt schon mal Kinder und nimmt sie bei Bedarf auch wieder. In einer kleinen Gemeinschaft, umgeben von Meer, lebt die Vermittlerin Efe. Sie wurde einst von Mami Wata mit einer späten zweiten Tochter, Zinwe, beschenkt und ist seither das Sprachrohr von Mami Wata. Die Menschen entlöhnen sie für die Dienste mit einem Teil der Ernte. Efes Töchter Zinwe und Prisca leben gut in die Gemeinschaft integriert und eine soll später die Vermittlerrolle übernehmen. Aber Zinwe fühlt sich in der Gemeinschaft nicht so richtig wohl, beginnt immer mehr den Glauben an Mami Wata zu hinterfragen. Als ein Junge stirbt, wird die Vermittlerin mit Vorwürfen konfrontiert. Wieso hat Mami Wata nicht geholfen? Hat Efe überhaut die versprochene Macht? Und wieso hat Efe keine Hilfe von Ausserhalb zugelassen? Als wenig später auch noch ein Fremder auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse und es kommt zum Blutvergiessen. Die beiden Schwestern müssen sich entscheiden, ob sich sich von der Gemeinschaft abwenden oder helfen.

 

Zwischentitel wie in der Stummfilmzeit

 

«Mami Wata» ist ein Film, wie er so oft nicht vorkommt. Einerseits wirkt er stilistisch zeitlos, verbindet optische Einflüsse aus dem frühen Hollywood der Stummfilmzeit, etwa die Tafeln mit Zwischentiteln, mit glasklaren Bildern und bringt narrativ urmenschliche und zeitlos-moderne Themen auf den Tisch. Abnabelung von der Familie, Hass, Eifersucht, Liebe und Sex, aber auch Mord. Aber man muss sich auf den Film einlassen, da er mit den Sehgewohnheiten sehr bewusst spielt. Da ist der heute etwas ungewohnte Bildausschnitt mit Seitenrändern. Aber auch die oft gezielt langsame Inszenierung mit bewusst ausgiebigen Einstellungen. Manchmal wirkt «Mami Wata» sehr alt, dann ziehen die glasklaren Bilder aber rasch wieder in die Realität. Dazu ist oft kaum Musik zu hören, manchmal nur rhythmisches Trommeln und das sanfte Rauschen des Meeres. Und doch merkt man durch den Aufbau des Films, dass etwas nicht stimmt.

 

Prisca ist zwischen Glauben und Familie gefangen. (© trigon-film.org)

 

Natürlich passiert das mit voller Absicht, denn die oft dunkel gehaltenen Bilder scheinen einen Zweck zu verfolgen. In der Filmgeschichte dienten Horror-, Grusel- oder Science Fiction-Filme oft als Spiegel für den Zeitgeist. Die Angst vor dem schleichenden Kommunismus wurde so beispielsweise im US-Kino gerne auf der Meta-Ebene behandelt. Zwar ist Regisseur C.J. «Fiery»  Obasi durchaus ein grosser Horrorfan, gerade die Hammer-Klassiker haben es ihm angetan. Daher dürfte das kein Zufall sein. Bei «Mami Wata» konzentriert er sich aber lieber auf die Bestie Mensch und nutzt nur die imaginäre Figur der Meeresgöttin als fantastisches Element. Ausserdem entwickelte der im Südosten Nigerias geborene Obasi schon als Kind ein Talent für das Zeichnen von Comics. Ein Gespür für plastische Bilder hat er also seit Kindertagen. Die Kameraführung von Lilis Soares bringt diese Vision final auf die Leinwand und dafür wurde sie am Sundance Filmfestival in Utah mit dem «World Cinema Dramatic»-Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.

 

Die Gezeiten der menschlichen Emotionen

 

Dass die Themen in einer immer radikaler werdenden Welt brandaktuell sind, unterstreicht den Eindruck, die Betrachtung des Films sei symbolisch durchaus möglich. Das kann man so sehen, entkräften lässt sich das nicht wirklich. Man kann «Mami Wata» aber ebenfalls als ein Drama über eine kulturelle Gruppe und ihren Glauben in Nigeria sehen, über Menschen, die sich in einer überschaubaren Umgebung ein soziales Gefüge aufgebaut haben, ohne sämtliche Handlungspunkte auf die Goldwaage der Weltgeschichte zu legen. Klar, dass ein zirkulierendes Virus verneint wird, serviert eine aktuelle Verbindung auf dem Silbertablett und korrupte Menschen, wie gewisse Figuren, ziehen sich durch Gesellschaften quer über den Globus. Aber man darf auch «nur» ein faszinierendes Stück Film mit feinem Fantasy-Einfluss sehen, das die Gezeiten der menschlichen Emotionen einfühlsam auf die Leinwand bringt. Interessant ist, dass «Mami Wata» letztlich auf beide Arten funktioniert. Das macht den Film faszinierend.

 

«Mami Wata» ist ein bemerkenswerter Film, ein Drama mit leichtem Fantasy-Einschlag und einer eleganten Bildsprache. Die Verbindung zur titelgebenden Legende ist eine clevere Idee.

 

  • Mami Wata (Nigeria / 2023)
  • Regie und Drehbuch: C. J. «Fiery» Obasi
  • Besetzung: Rita Edochie, Uzomaka Aniunoh, Evelyne Ily, Emeka Amakeze
  • Laufzeit: 107 Minuten
  • Kinostart: 21. September 2023

 

Bäckstage Redaktion / Di, 19. Sep 2023