Bittersüsse Weihnachten
Das Haus ist festlich geschmückt, der Weihnachtsbaum leuchtet fast etwas zu hell, die Tafel ist gedeckt und das Essen beginnt schon seinen feinen Geruch zu verbreiten. Nell (Keira Knightly) und Simon (Matthew Goode) bereiten mit den drei Kindern das Landhaus für eine besondere Weihnachtsfeier vor und übertreiben ganz dezent. Sie haben eine Gruppe alter Freunde mit Partnerinnen und Partner sowie den Kindern zum Fest eingeladen und wollen sich entsprechend gut zeigen. Ein morbides Geschenk ist allerdings schon vor der Bescherung bekannt. Am Morgen werden alle tot sein.
Mehr kann man mit gutem Gewissen nicht über «Silent Night» verraten. Aber das Wissen um den sicheren Tod ist keineswegs ein Spoiler und verdirbt den Spass nicht, sondern verleiht der Parade der Egos einen herrlich sarkastischen Unterton. Die lange gepflegte Rivalität unter den Freunden wird kaum versteckt, die altklugen bzw. völlig verzogenen Kinder sind für die jeweiligen Eltern sowieso Heilige - egal, was sie anstellen - und die Partnerinnern und Partner sind im Grunde nur Beiwerk. Der Kern der Gruppe um Nell ist so eingeschworen, dass kaum jemand eine wirkliche Chance hat, in diese Blase zu dringen. Das wird am deutlichsten über die Figur der blutjungen Sophie (Lily-Rose Depp), die mit dem Arzt James (Sope Dirisu) zusammen ist. Die anderen Frauen fühlen sich von ihrer Jugend bedroht und geben sich kaum Mühe, diese Abneigung zu verstecken. «Die ist ja erst 15!», wird in Hörweite trocken-sarkastisch gelästert, während sich Sophie immer mehr dem cleveren Art (stark: Roman Griffin David, «Jojo Rabbit») widmet.
Schwarze Wolke der Angst
So nimmt der Abend seinen Lauf, pendelt zwischen übertriebenen Festigkeiten inklusive der Überdosis Weihnachtssongs und unterschiedlich starken Streitigkeiten, während Nell akribisch versucht, das Fest zu retten. Immer wieder fallen nämlich für kurze Momente sämtliche Masken. Es werden Vorwürfe in den Raum geschmettert, Zickereien obsessiv gepflegt, sexuelle Frustration ohne Rücksicht auf Gefühle im Gremium rausgekotzt und im Grunde doch nur versucht, die Angst zu verbergen. Diese ist während des gesamten Films als imaginäre schwarze Wolke zu spüren und verleiht der Geschichte eine bedrohliche Ebene. Allerdings ohne den rabenschwarzen Humor zu unterdrücken. Hier halten sich Drama/Horror und Humor elegant die Waage.
Wie ein Weihnachtsengel: Nell versucht das Fest zu retten. (© 2021 Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.)
Kalt lässt einen die etwas gar überspitzte Schar nämlich nie. Das liegt einerseits am clever konstruierten Drehbuch inklusive des narrativen Damoklesschwertes über den Köpfen. Aber auch an der hervorragenden Schauspielriege. Neben Knightley stechen Matthew Goode als Filmehemann, der stets versucht die Contenance zu wahren, Annabelle Wallis als unglückliche, sexuell frustrierte Mutter, die von der Tochter nur mit Verachtung bestraft wird, und Lily-Rose Depp, die einen unvoreingenommenen und menschlichen Aspekt in die Geschichte bringt, deutlich heraus. Gerade Lily-Rose beweist, dass sie inzwischen nicht mehr «nur» die Tochter von Johnny Depp ist, sondern eifrig an ihrer eigenen Karriere werkelt.
Weihnächtlich glänzt das eine oder andere Klischee
Der Film funktioniert als unblutiges Horrordrama nur, weil alle Anwesenden genau wissen, was es geschlagen hat. Daran gibt es nach 15 Filmminuten keinen Zweifel. Das ist clever, weil man sich ab diesem Moment vom Rätsel direkt auf das Verhalten der Menschen fokussieren kann. So wird eine Gruppe von unterschiedlichen Leuten schön säuberlich und geduldig filetiert bis in die feinen Zwischentöne. Dies inszeniert Regisseurin Camille Griffin in ihrem Langfilmdebüt mit einem sehr trockenen britischen Humor, der wunderbar zur Geschichte passt. Zudem gelingt es ihr mit der zeitlich losgelösten Parabel geschickt, feine Bezüge zur Aktualität zu schaffen. Dass natürlich das eine oder andere Klischee weihnächtlich glänzt, ist sehr bewusst und bringt einen leicht satirischen Aspekt in den Film. Und heisst es nicht, dass an manchem Klischee oft ein Hauch Wahrheit hängt? Oder wer hat sich an Weihnachten noch nie gestritten? Wieso soll das bei einem bittersüssen Fest, wie jenem im Film, anders sein? Immerhin wird es mit ewiger Stille enden …
«Silent Night» ist ein konsequenter Genuss für Fans von vorweihnächtlichen Dramen mit einem feinen Hauch Horror, aber auch für alle, die emotionale Ensemble-Filme mit hervorragenden Besetzungen lieben.
- Silent Night (UK, 2021)
- Regie und Drehbuch: Camille Griffin
- Besetzung: Keira Knightley, Matthew Goode, Annabelle Wallis, Roman Griffin David, Lily-Rose Depp
- Laufzeit: ca. 92 Minuten
- Im Handel: ab 16. Dezember (Digital oder als DVD/Blu Ray)