Ästhetik im Schnee

Movie-Kritik: One World
Bildquelle: 
© Gabel Heureux
  • 39 Rider
  • 72 Tage
  • 999 Ideen
  • 693844 Turns

 

Das sind die harten Eckdaten zum neuen Snowbard-Projekt von Burton, der in der Schweiz ab 17. November über Vimeo zu sehen ist. Offenbar ist das Ziel, eine atemberaubende Plattform in bestechend scharfem 4K zu bieten, aber gleichzeitig zu zeigen, dass Menschen jeglicher Couleur und Herkunft auf dem Snowboard die gleiche Leidenschaft, denselben Spass entfachen, quasi «One World» sind. Diesen Anspruch erfüllt der knapp 45-minütige Film mühelos.

 

Die österreichische Big Air-Olympiasiegerin Anna Gasser, die neuseeländische Weltmeisterin und mehrfache X-Games-Gewinnerin Zoi Sadowski-Synnott, der us-amerikanische Slopestyle-Olympiasieger Red Gerard oder der Schweizer Christian Haller seien stellvertretend für das fast vierzigköpfige Team genannt, das pure Ästhetik in den Schnee zaubert. Diese vier Namen unterstreichen zudem wunderbar die globale Idee und wie verbindend der Film wirkt. Die Snowboard-Family ist eingeschworen, egal auf welchem Kontinent man sich in die Symbiose zwischen Mensch und Schnee begibt.

 

 

Stahlblauer Himmel, leuchtend weisser Schnee, mächtige Berge. Glasklare Aufnahmen, die oft atemberaubend wirken. Visuell ist «One World» imposant, oft sind die Bilder regelrecht poetisch. Wenn das Snowboard von Schneeflocken wie Konfetti begleitet wird, während ein Snowboarder durch die Landschaft surft als wären ihm keine Grenzen gesetzt. Wenn das Snowbard von starkem Schneefall begleitet die Pipe verlässt und es einen Moment schwerelos zu sein scheint, wirkt die Strahlkraft der Bilder bestechend schön und ist gleichzeitig wie ein Plädoyer für den Sport. Nicht, dass Snowboarding das 2020 noch nötig hätte. Längst ist der Sport weltweit etabliert und olympisch sowieso. So stellt dich dann schon die Frage, wieso es «One World» braucht? Bei den hochwertig eingefangenen Bildern verblasst sie letztlich schnell wieder. Der Film zeigt Snowboarding in seiner ganzen Breite, von der Planung über die Rides bis zu einzelnen Stürzen und vergisst dabei den Spass nie. Dazu sind die Bilder sehr genau choreografiert und die Sprünge so geplant, dass sich immer wieder fast künstlerische gestaltete Sequenzen ergeben. «One World» braucht es, weil er nicht nur perfekt choreografierte Bilder aneinandergereiht, sondern Menschen ins Zentrum stellt, die lieben, was sie tun. Selbst wenn mal ein Trick in die Hose geht, bleibt ein sympathisches Lachen.

 

Auffällig ist, dass die Anstrengungen nicht ausgeklammert werden. Da wird mühsam durch den Schnee gestapft, um einen Hot Spot zu erreichen und sich die anschliessende Abfahrt regelrecht zu verdienen. Das zeigt wunderbar, mit welcher tiefen Leidenschaft die Gruppen in den verschiedenen Locations auf der ganzen Welt bei der Sache waren. Aber natürlich soll ein Snowboardfilm stylische und atemberaubende Aufnahmen zeigen. Das tut der Film praktisch durchgehend. Zu Beginn des Film wird ein Kreis zu den Anfängen des Sports geschlossen, indem Videos aus frühen Tagen mit hochaktuellen Clips montiert werden.

 

Trailer zu «One World»

 

Eine amüsante Episode spielt sich auf Neufundland ab. Während die Nachrichten im TV von «Snowargeddon» sprechen, baut sich eine Gruppe in der (flachen) Stadt geschickt Rampen und fährt mit den Boards über Dächer, nutzt Treppengeländer, kleine Vordächer vor Häusern oder schlicht Wände und Zäune auf derart kreative Weise, dass man mehr als einmal denkt «Das ist jetzt nicht dein Ernst!». Auch, weil einzelne Aktionen recht halsbrecherisch wirken. Es scheint aber, dass die Sportlerinnen und Sportler genau wissen, was sie tun, schliesslich zählen sie zu den besten ihres Fachs.

 

«One World» legt ein hohes Tempo vor, die Frequenz an eindrücklichen Bildern im Schnee ist beeindruckend und macht viel Spass. Was nicht zuletzt daran liegt, dass auf allzu hektische Schnitte bewusst verzichtet wird und ein Snowboardprofi auch mal richtig schön elegant durchs Bild fliegen darf. Da sind die ganz am Anfang versprochenen 693844 Turns nicht zu viel versprochen. Aber fast noch spannender sind die 999 Ideen, die wohl auch realistisch gezählt und teilweise schlicht ein Genuss sind.

 

Gewidmet ist der Film Jake Burton Carpenter, der im November 2019 an einer Komplikation durch eine Krebserkrankung verstorben ist. Er hat die Marke Burton einst aufgebaut und gilt als einer der Pioniere des modernen Snowboarding. Mit der optischen Wucht der Bilder und der entspannten Faszination, die «One World» aufbaut, könnte man kein besseres Vermächtnis verliehen bekommen. Der Film zeigt bestens, was heute fahrerisch und filmisch schon möglich ist und lässt nur vermuten, was in Zukunft noch kommen wird.

 

«One World» ist in einziger Bildrausch, der dem Snowboarden ein kristallklares und leuchtendes Gemälde schenkt.

 

 

Bäckstage Redaktion / Mo, 16. Nov 2020