Godard: «Was verboten war, machten wir»
Vor mehr als 50 Jahren, genau genommen am 17. August 1959, ging es los. Doch bereits nach etwa zwei Stunden Dreh meinte der Regisseur, es sei Schluss für heute, er habe keine Ideen mehr. Niemand ahnte damals, dass dieser Film Geschichte schreiben würde. Das sei Wahnsinn, war die allgemeine Meinung und der Film hatte schon früh in seiner Entstehungsphase einen schlechten Ruf. Nur Jean-Luc Godard gefielen seine eigenen Aufnahmen. Und er sollte auch recht behalten.
Michel umgarnt in Paris die hübsche Patricia.
«A bout de souffle» ist ein Gangsterfilm, der sich an die amerikanischen B-pictures und den film noir anlehnt. «Dieser Film ist den Monogram Pictures gewidmet», dies verweist bereits im Vorspann, was bezüglich des Inhalts und Produktionsweise zu erwarten ist. Denn Monogram Pictures war eine unabhängige Produktionsgesellschaft und produzierte von 1931 bis 1953 billige Gangsterfilme. Die Storyidee stammte von François Truffaut, der den Stoff aus einem Zeitungsartikel über einen Polizeimord entnahm. Doch er verwarf sein skizziertes Drehbuch und überliess es seinem noch unbekannten Schweizer Freund Jean-Luc Godard. Die Geschichte ist sehr simpel. Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo) ist ein Gauner, der die Atemlosigkeit der damaligen Jugend widerspiegelt. Mit Hut auf dem Kopf und Zigarette im Mundwinkel fährt er sanft mit dem Daumen über seine Lippen und steht mit gefühlslosem Blick und Zeitung in der Hand in der Gegend umher – eine Imitation von Humphrey Bogart. In Marseille stiehlt er ein Auto, um nach Paris zu fahren und geschuldetes Geld einzutreiben. Auf der Fahrt dorthin übersieht er eine Patrouille und erschiesst fast beiläufig einen Polizisten. Obwohl er nun auf der Flucht ist, nimmt er sich die Zeit, um die Amerikanerin Patricia Franchini (Jean Seberg) auf der Champs Elysees zu umgarnen. Die beiden diskutieren über Liebe, Schönheit, Frauen, Kunst, Angst und Tod. Sie streiten und lieben sich. Michel will mit Patricia nach Italien durchbrennen, denn die Polizei sitzt ihm bereits dicht auf den Fersen.
Godard ging seinen eigenen Weg
Die Machart und Ästhetik des Filmes waren für diese Zeit revolutionär. Zum einen lag es sicherlich an den finanziellen Mitteln, denn «A bout de souffle» wurde in 28 Tagen gedreht und verschlang nur etwa einen Drittel der sonst üblichen Kosten. Das Budget zwang die Filmcrew auch an Originalschauplätzen zu filmen, denn im Studio durften sie wegen gewerkschaftlichen und technischen Vorschriften nicht drehen. Zum anderen war es auch Godards Regieführung. Die Szenen schrieb er nach und nach und sprach die Dialoge am Set den Schauspielern vor. Hauptdarstellerin Jean Seberg hatte Gerüchten zufolge einige Probleme mit Godard und war sich solcher Drehmethoden überhaupt nicht gewöhnt. Auf das natürliche Licht setzte der junge Filmemacher nur, damit ihm wegen seines fehlenden technischen Know-Hows keine Weise der Beleuchtung aufgezwungen wurde. Kameramann Raoul Coutard benutzte ausschliesslich eine Handkamera, die womöglich nicht nur die Unruhen des Filmthemas verstärkte, sondern vielleicht auch die auf dem Filmset. Godard führte mit seinem ersten langen Spielfilm den Jump-Cut in die Filmgeschichte ein, der bis dahin als Schnittfehler bezeichnet wurde. Er machte damit den unsichtbaren Schnitt zu einem sichtbaren und er störte sich auch nicht an den harten Übergängen. Obwohl die Bilder keiner Kontinuität mehr folgten, passte er die Tonspur nicht an. Dadurch wurde auch die gewohnte Schuss-Gegenschuss-Methode für die Dialoge ausser Kraft gesetzt. Jean-Luc Godard brach mit diesem Film die Tradition der Qualität, der goldenen Regel des französischen Kinos, zu dieser Zeit. Vieles, was der Nouvelle Vague-Regisseur damals ausprobierte und womit er auf Widerstand stiess, ist heute normal für filmische Werke.
Godard inszenierte seinen Film stilsicher und sehr ästhetisch.
Neben dem neuen und damals gewagten Stil stecken in Godards Debütfilm einige symbolische Elemente. Seinen Figuren gab er oft Namen von Freunden aus seinem Leben in der Schweiz, über das der Regisseur nicht sprach. Ein weiteres schönes Beispiel: Michel trifft auf eine Verkäuferin des Cahiers du cinéma und das Mädchen sagt: «Sie haben doch nichts gegen die Jugend.» Worauf Michel antwortet: «Doch, ich habe alte Leute lieber.» Eine schöne Einflechtung der Ideologie der Schreiber des französischen Filmmagazins, wo die Filmbewegung Nouvelle Vague ihren Anfang nahm. Godard und Truffaut waren bei Cahiers du cinéma als Filmkritiker zuhause. Übrigens hatte die Redaktion ihren Sitz auf der Champs Elysees, wo auch der Film seinen Ursprung fand. Aus den wütenden Schreibenden wurden jungen Filmemacher, die gegen die Alteingesessenen kämpften und warben für die politique des auteurs. Diese Politik besagt, dass der Regisseur vom Drehbuch bis zum Schnitt sich beteiligen soll, um so seinen eigenen Stil zu entwickeln. «A bout de souffle» wurde sehr bald zum Kultfilm und hatte einen unerwarteten grossen Erfolg. Er wird heute oft als Aushängeschild dieser Bewegung benutzt. Godard wollte mit seinen frühen Filmen die aktive Teilnahme des Zuschauers nach Brechts Verfremdung wecken. «Ein Kriminalfilm, der ein Film über einen Kriminalfilm war», beschrieb Michael Hanisch den Film an der Berlinale 1960. Das schwarzweisse Werk gibt viel Filmisches zu entdecken und viele Anspielungen zu deuten und die Handlung bleibt spontan – definitiv ein interessantes Seherlebnis.
«A bout de souffle - Ausser Atem» ist als DVD und erstmals auch auf Blu-Ray in verschiedenen Versionen im Handel erhältlich. Zum Teil mit sehr viel Bonusmaterial zu den Dreharbeiten und Jean-Luc Godard. Details zu den Editionen gibt es bei Arthaus oder direkt bei Amazon.
- A bout de souffle (Ausser Atem), Frankreich 1960
- Regie: Jean-Luc Godard
- Drehbuch: Jean-Luc Godard nach einem Originalstoff von François Truffaut
- Darsteller: Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg, Henri-Jacques Huet, Jean-Pierre Melville, Daniel Boulanger
- Dauer: 90 Minuten
- Uraufführung: 16. März 1960 in Paris
- Preise: Prix Jean Vigo (1960), Silberner Bär für die beste Regie (Berlinale 1960), Deutscher Kritikerpreis für die Kamerarbeit von Raoul Coutard (1960)