Viva Helvetica
Zürich, ein posturbanisiertes Ödland. Aus der Vogelperspektive erinnert die Stadt an ein Organ aus Beton, inmitten lebendigen Grüns; von der Position her am ehesten einem Herzen. Doch dieses Herz aus Stein kontrahiert, pumpt organisches Leben durch die Arterien unseres Landes; kulturelles Leben - Existenzen des Ausdrucks und der Individualität, mannigfaltig in ihrer Erscheinung. Die Grafik 14 fand mittlerweile zum dritten Mal in der Maag-Halle statt und versucht dieses Leben als Veranstaltung zu konzentrieren. Ziel ist es, zur wichtigsten Schweizer Werkschau für Ausdrucksformen zu werden und somit Künstlern auf nationaler sowie internationaler Ebene eine Plattform zu bieten, um Arbeiten auszustellen, zu verkaufen oder neue Aufträge zu ergattern.
Die Werke von Incubus-Sänger Branden Boyd waren sehr begehrt.
So war dieses Jahr unter anderem Brandon Boyd, bekannt als Leadsänger der kalifornischen Alt-Rock-Band Incubus, mit seinen Werken als Sonderausstellung, mit von der Partie. Erstmalig stellte er seine Arbeit in Europa aus und promotete gleichzeitig sein Artbook «So the echo». Am Freitag hatten 350 Besucher im Plaza, im Rahmen eines interaktiven Referates zu seiner «My Life»-Tour mit der anschließenden Vernissage die Gelegenheit, ihn zu Musik, Kunst und Person zu befragen. Der gesamte Anlass hatte eine entspannte Atmosphäre, aber auch etwas «Selbstbeweihräucherndes». Während auf den Projektoren seine Artworks eingeblendet wurden, liefen seine Soloaufnahmen im Hintergrund - diese wiederholten sich auch irgendwann, als ob Incubus nicht genügend Songs hätten.
Brandon selbst war ganz der coole «Surferman», immerhin 42, deshalb nicht mehr «Boy», und gab humorvolle Antworten auf Fragen wie: «Hallo Brandon, hörst du deine eigene Musik während du malst?» Antwort: «Ja, ich höre meine Musik, während ich in meinem Badezimmer mit meiner Hand eine Zeichnung von meinem Gesicht mache. (Lacht) Nein, das würde sich seltsam anfühlen.» Die anwesenden Künstler im Publikum, erhofften sich offensichtlich auch Tipps zu hören, wie sie ihr Schaffen verbessern könnten, doch seine Antworten ließen eher darauf schliessen, dass es keinen einheitlichen Weg gibt innerhalb kreativer Prozesse, und dass jedes Kunstwerk einen individuellen Ansatz verdient, wobei sich auch diese Annahme nicht auf alle Aspekte übertragen liesse. Er persönlich habe sich, während der Grafik 14, sehr von den Schweizer Künstlern inspirieren lassen und viel gelernt.
An der Grafik 14 konnte man einigen Künstlern direkt bei der Arbeit zusehen.
«Kunst ist Individualität» hätte in der Tat einen passenden Slogan abgegeben, denn unterschiedlicher hätten die Ausstellungsstücke nicht sein können. Auf über 500 m2 waren ziemlich alle modernen und bewährten Formen und Techniken vertreten. Fotografien, Gemälde, Plakate, 3D Druck mit computer-generierten Modellen, Collagen, einige Skulpturen. In der Eingangshalle hatte man beinahe das Gefühl, einen Apple-Store zu betreten, denn dort waren die moderneren Grafik-Arbeiten ausgestellt, audiovisuelle Sinnesbetörer, in die man mittels Kopfhörer vollends eintauchen konnte. Kombinationen aus Kunst und moderner Technologie, teilweise auch Dokumentationen über die Entstehung einer Arbeit. Im Zwischenraum waren Brandon Boyds Werke ausgestellt, danach kamen in der Haupthalle die traditionelleren Künste. Vertreter der Schweizer Szene, wie Linus Von Moos oder Malik Furer, der einen Teil seines Projekts «4661 m2» ausstellte, in dem ein Schweizer Gefängnis in Streetart gehüllt wird, malten während des Yoo-Tea Live Paintings bunte Sujets auf recycelte Holztafeln.
Bunt gemischt waren ebenso die Besucher - Beweis für ein gemeinsames Interesse unserer vielschichtigen Gesellschaft. Von Kunstnerds, Skatern, Hippies, Yuppies, bärtigen Hipstern bis hin zu Rentnern, ein Kunstwerk. Es wurde gestaunt, gelacht, geflucht und es wurden Köpfe und Hände geschüttelt. Jeder müsste eigentlich etwas gefunden haben, das er mag und etwas, das ihn abgrundtief abstösst. Gute Typografien, für den Laien ein einfacherer Sehtest, für den Kenner ein Augenschmaus, Popart, teilweise sicherlich zutreffend, wenn es um Marilyn Monroe oder Suppendosen geht, sonst eher ein vager Begriff, viel Industrie Design. Manche mögen behaupten, es sei falsch, Streetart an solchen Anlässen zu promoten und somit zu kommerzialisieren, da es dem Kerngedanken widerspricht, doch wäre seine Abwesenheit ein Verlust. Bilder besprayter Wände sind spätestens seit Banksy nicht mehr aus dem modernen Kunstverständnis wegzudenken.
Schon in der Eingangshalle der Ausstellung wurden die Besucher mit Werken aus Grafik und Design empfangen.
Fest steht, die Schweiz kann sich im internationalen Vergleich in Sachen Grafikdesign durchaus sehen lassen. Die typografischen Grafiker sind ebenso talentiert wie unsere Streetartists und die kreative Energie zeigt sich an solchen Events in vollem Masse. Ein Brandon Boyd wäre gar nicht nötig, doch ist jeder internationale Künstler eine Bereicherung - Kontakte werden geknüpft und Netzwerke erweitern sich. Alle profitieren.
Bilder von Alexander Schenker