Zwetschgenjoghurt kann alles

Buchautor und Rapper Andri Perl im Interview
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Andri Perl

Andri Perl ist sprachgewandt. Sei es als Rapper der Hip-Hop-Band Breitbild oder aber als Buchautor. Sein Erstling trägt den Titel «Die fünfte, letzte und wichtigste Reiseregel» (erschienen 2010 im Salis-Verlag).

 

Das Buch: Christoph Roth kommt frisch von der Universität. Im für ihn «so wichtigen Sommer» reist er vom Bündnerland aus über Italien nach Frankreich. Seine Grossmutter hat vor ihrem Tod ein Geheimnis mit ihm geteilt. Es sind Gedichte, die Roths seit langem verschollener Grossonkel geschickt hat. Der junge Mann beschliesst diesen hinterlassenen Schriftstücken zu folgen. Dabei entwirft er fünf Reiseregeln. Die fünfte, letzte und wichtigste Regel heisst: Folge den Gedichten. Denn etwas zu verfolgen erscheint dem unglücklich verliebten Roth einfacher als vor etwas davonzulaufen. Vor seiner Abreise gab es nämlich nicht nur einen Vorfall mit seiner Angebeteten, sondern auch noch einen mit der Verlobten seines Bruders.

Das Buch liest sich leicht und flüssig. Andri Perl schafft es, den Spannungsbogen zu halten. Seine ausdrucksstarke Sprache lässt einen immer wieder von Neuem neugierig umblättern. Ausserdem ist sein Roman gut gegen Fernweh. Roths Reise ist so schön beschrieben, dass man das Gefühl hat, ihn an jeden Ort zu begleiten. Und nicht unwichtig: Der Autor lässt den Fussball-Weltmeisterschafts-Sommer 2006 nochmals aufleben.

 

 

 

Verlag: Salis
ISBN: 978-3-905801-31-6

 

 

Reist du selber oft und gerne?Ja, aber ich muss gestehen, dass ich da ein bisschen eurozentrisch ticke und ganz gerne auch mal die Nähe suche. Mich zieht’s bis anhin nicht auf die andere Seite der Welt.
Stellst du dann jeweils auch Regeln auf?Eigentlich nicht, höchstens eine Route, an die ich mich dann auch nicht halte. Wobei, letzthin unternahm ich mit meiner Freundin einen Spaziergang und wir bestimmten Routenänderungen per Münzwurf. Ist ja auch eine Art Regel für eine Art Reise. Wir schafften es immerhin von Wiedikon auf den Üetliberg.

 

Wenn du eine Regel aufstellen müsstest, welche wäre das?Lerne wenigstens, was ja, nein, danke, eins, zwei, drei und Bier in der Landessprache heisst. Das konnte ich weder auf Malta noch auf Zypern … Englisch verleitet zu Bequemlichkeit.
Was bedeutet dein Buch für dich persönlich?Einen Fuss über der Schwelle zum Literaturbetrieb zu haben. Und die Gewissheit, dass meine Selbstdisziplin größer ist als ich manchmal denke, jedenfalls gross genug um anderthalb Jahre auf eigene Faust zu arbeiten.
Wie kam die Idee zu diesem Buch?Ich studiere (leider immer noch und wahrscheinlich noch eine Weile) Germanistik. Während der Zwischenprüfung in neuerer deutscher Literatur, dem sogenannten literarischen Akzess, der verlangt, hundertfünfzig Werke zu lesen, stellte ich mir die Frage: Könnte ich das auch? Wenigstens ansatzweise? Die Begeisterung für den kreativen Umgang mit Sprache kommt aber sicher auch vom Rap.
Wie viel von der ersten Vorstellung, wie das Buch werden könnte, ist schlussendlich darin zu finden? Oder anders gefragt: Hast du dir vor Beginn des Schreibens eine Vorgehens-Strategie zurechtgelegt?

Ich bin sehr konzeptionell vorgegangen. Habe vom Gesamten ins Detail gedacht, mir Gedanken zu Erzählinstanz, Handlungszeiten, Figurenkonstellationen gemacht. Letztlich habe ich Kapitel für Kapitel ein Schema erarbeitet, das es mir erlaubte während der eigentlichen Schreibphasen „reine“ Spracharbeit zu leisten. Das ist allerdings kein Patentrezept. Meinen zweiten Roman, an dem ich gerade schreibe, musste ich nach acht Monaten Konzeptarbeit über den Haufen werfen. Jetzt schreibe ich meinen zweiten zweiten Roman, diesmal freier, mit weniger starkem Rahmen.
Mit welchen Schwierigkeiten hast du dich während des Schreibens konfrontiert gesehen?Ich liess mich zu gerne von anderen Projekten ablenken. Wenn ich mich nicht zu hundert Prozent aufs Schreiben konzentrierte, kam ich ungemein langsam oder überhaupt nicht mehr voran.
Wie viel Andri Perl steckt in Christoph Roth?Ich warne wie jeder anständige Germanist davor, vom Protagonisten auf den Schreibenden zu schliessen. Doch ich habe Roth ein Alter, eine gesellschaftliche und geografische Umgebung sowie einen Bildungsstand verliehen, die meinen Lebensumständen ähnlich sind, weil ich auch eine Handlungsebene haben wollte, die im Gegensatz zur Story rund um Lorenz Steiner im Jahre 1948 kaum Recherche voraussetzte.
An wem orientiert sich die Figur Christoph Roth sonst noch?An vielen und doch auch wieder an niemand Bestimmtem. Ausserdem habe ich bewusst darauf verzichtet, ihn vom Äusserlichen her zu genau zu beschreiben. Jede Leserin, jeder Leser darf sich einen eigenen Christoph zusammenfügen und dabei etwas von sich selbst einfliessen lassen. Das ist der Trick des Ich-Erzählers: Die Figuren nisten sich unweigerlich in der Leserschaft ein.
Viele Menschen schreiben Bücher. Viele klagen über die Schwierigkeit, einen Verlag zu finden. Was hast du hier für Erfahrungen gemacht?Die Verlagssuche gestaltete sich tatsächlich als Geduldsspiel, denn in dieser Branche wartet niemand auf dich. Die Lektorate sind bis unter die Decke angefüllt mit unaufgefordert eingesandten Manuskripten. Ich habe dafür nun eine Schublade voller Standard-Absagen. Aber der Mut, unaufgefordert ein Manuskript einzureichen, hat sich ausgezahlt. Es genügt ja, wenn ein Verlag an dich glaubt und Kapazitäten für dich freischaufelt. Mein Tipp: Ein Blick ins Profil des Verlags schadet nicht. Fantasy-Romane sind schlecht aufgehoben bei einem Sachbuchverlag.
Du hattest - ganz anders als für einen Songtext - fast endlos Seiten zur Verfügung. Was ist nebst dieser Tatsache für dich der bedeutendste Unterschied zwischen Songtext schreiben und dem Schreiben eines Buches?Die formalen Einschränkungen, oder sagen wir besser Anhaltspunkte, sind bedeutsamer im Rap: Rhyhtmus und Tempo, nur schon die Tatsache, dass die Leute den Text hören, anstatt ihn zu lesen. Andererseits prägt die Musik auch. Für mich haben auch gedruckte Texte akustische Qualität! Ich denke, das liest man schon auf der ersten Seite des Buches heraus.
Wie unterscheidet sich die Schweizer Autoren-Szene von der Musik-Szene?Sie funktioniert weniger als Szene. Klar gibt es die Messen und Literaturtage, wo man sich trifft, oder Gruppen, die gemeinsame Projekte hegen. Doch das Bewusstsein, sich als Bestandteil einer spezifischen Szene oder gar Kultur zu betrachten, ist sicher schwächer. Gerade als im Hiphop. Man gibt sich gerne emanzipiert und unabhängig von Strömungen.

 

Du hast schon dein nächstes Buch erwähnt. Wann wird es in der Bücherregalen stehen?Nächstes Jahr sollte der zweite Roman im zweiten Anlauf fertig werden und erscheinen.
Was (und warum) ist einfacher: Vom Schreiben leben oder von der Musik?Beides ist sehr schwierig. Mich beunruhigen die Diskussionen um eine Lockerung des Urheberrechtsschutzes oder der Glaube, von Tantiemen würden nur Plattenmultis oder Megaverlage profitieren. Für mich sind diese Einkünfte, so klein sie sind, nach wie vor überlebenswichtig. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die fehlenden Einnahmen würden dank Promoeffekten der illegalen Downloads oder Streamings über steigende Konzertgagen kompensiert. Das Gegenteil ist der Fall. Der Verkaufseinbruch zwingt die Musikschaffenden verstärkt auf den Konzertmarkt, die Veranstalter können die Gagen drücken. Der Literaturbetrieb funktioniert natürlich anders. Aber auch hier geht es darum, Kultur vor reinen Marktmechanismen und Konsumverherrlichung zu schützen. Ich befürworte deshalb eine Wiedereinführung der Buchpreisbindung. So, ein kulturpolitischer Ausflug … Alles in allem läppert sich mein Lebensunterhalt dank Tantiemen, Urheberrechtsentschädigungen, Gagen, Projekthonoraren und Kulturförderung irgendwie zusammen.
Wie unterscheidet sich das Publikum bei deinen Lesungen von demjenigen bei Breitbild-Konzerten?Die Bandbreite des Alters und die Art der Aufmerksamkeit sind ziemlich unterschiedlich. Ich geniesse es, wie viel Energie unser Band-Publikum hat, andererseits finde ich es toll, wenn an einer Lesung eine Grossmutter ein Erlebnis mit ihrer Enkelin teilen kann. Während Konzerte eher euphorisieren versetzt sich das Lesepublikum manchmal geradezu in Meditation. Ich mag beide Stimmungen.
 Wen möchtest du mit deinem Buch ansprechen?Alle für die Sprache mehr ist als reiner Informationsaustausch.
Welches Buch liest du gerade/hast du zuletzt gelesen?Ich lese gerade Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“, das den Alltag im Nationalsozialismus am Beispiel von stark an der Wirklichkeit angelehnten Figuren erzählt. Eine bedrückende Lektüre, aber fesselnd.

 

….falls du sonst noch etwas sagen möchtest, nur zu :-)Was ich immer schon mal sagen wollte: Konsequenz wird überschätzt! Und noch etwas: Zwetschgenjoghurt kann alles!

 

Hier gehts zur Internetseite von Andri Perl.

Linda von Euw / Mo, 20. Feb 2012