«Ich habe eine riesige Sammlung Horrorbücher zu Hause»
Das «Züri Littéraire» ist keine klassische Lesung. Was die Veranstaltung so besonders macht? Jung und alt haben hier die Möglichkeit während einer Diskussionsrunde Autorinnen und Autoren näher kennenzulernen. Mona Vetsch moderiert den Live-Literaturclub gemeinsam mit Röbi Koller. Bäckstage wollte von ihr wissen, was den Zauber des «Züri Littéraire» ausmacht.
Das «Züri Littéraire» gibt es seit 1985. Was ist der Grund dafür, dass sich die Veranstaltung über so viele Jahre hinweg gehalten hat?
Bücher gibt es ja nicht erst seit 1985, sondern schon viel länger. Ebenso die Menschen, die diese Bücher lesen. Beim «Züri Littéraire» bringen wir diesen Menschen die Bücher durch Gespräche mit den Autoren näher. Das ist unser Rezept, so simpel das auch klingen mag. Der Unterschied zwischen dem «Züri Littéraire» und anderen Lesungen ist, dass wir Menschen miteinander in Kontakt bringen. So entsteht ein Austausch zwischen den Autoren.
Wie hat sich das «Züri Littéraire» seither weiterentwickelt?
Am Anfang moderierte Peter Zeindler das «Züri Littéraire» und Ruth Binde gestaltete mit ihren hervorragenden Kontakten das Programm. Sie lud jeweils drei Gäste pro Abend ein, die nacheinander auf die Bühne kamen. Später gab es den Event in den unterschiedlichsten Varianten. Eine Zeit lang waren sogar drei Gäste gleichzeitig auf der Bühne. Entweder wurde dazu ein für die Autoren gemeinsames Thema gewählt oder dann wurden einfach drei Autoren eingeladen, die zwar nichts gemeinsam hatten, aber allesamt spannende Persönlichkeiten waren. Dass wir zu zweit moderieren und uns auf zwei Gäste konzentrieren, ist unsere neuste Weiterentwicklung seit Beginn dieser Saison.
Weshalb habt ihr jetzt zwei Gäste und nicht einen oder drei?
Bei zwei Gästen entstehen ein Austausch und eine Chemie, die man nicht voraussehen kann. Wenn nur eine Person anwesend wäre, käme das ja einem Interview gleich. Da es nun aber noch einen zweiten Gast gibt und so auch eine Art Diskussionsrunde entsteht, werden beide plötzlich auf eine andere Weise gefordert. Das ist auch für uns Moderatoren die grosse Herausforderung, weil der Ablauf solcher Abende nicht planbar ist.
Du moderierst auch die Sendung Club auf SRF1. Worin besteht der Unterschied zwischen dem Moderieren eines Talks am Fernsehen und dem «Züri Littéraire»?
Im Club haben wir kein Publikum. Beim «Züri Littéraire» spüren wir Moderatoren sämtliche Reaktionen der Zuschauer sehr stark. Wir hören zum Beispiel die Lacher, wenn etwas Lustiges gesagt wird - so wie heute bei Manfred Lütz. Oder wir merken - und das sind die ganz schönen Momente - wenn es still wird im Zuschauerraum. Als Klara Obermüller von ihrer Adoption erzählte, hätte man eine Nadel fallen hören können. Die Kombination aus unseren Emotionen auf der Bühne mit denen unserer Zuschauer ist einfach wunderbar. (Anm. d. Red.: Manfred Lütz und Klara Obermüller waren am «Züri Littéraire» im März zu Gast.)
Lesen scheint heutzutage gerade bei jüngeren Menschen nicht mehr so populär. Was könnte man tun, um dies wieder attraktiver zu machen?
Das halte ich für ein Gerücht. Bisher konnte mir noch niemand schlüssig beweisen, dass jüngere Menschen heute weniger lesen als früher. Jene, die nur für die Schule gelesen haben, wenn überhaupt, die gab es schon immer. Und dann eben die, zu denen ich mich selber zähle, die schon ihr ganzes Leben lang wie die Vergifteten gelesen haben. Gewisse Menschen finden früh zu den Büchern und kommen nicht mehr los von ihnen. Andere haben gar keinen Bezug dazu und Dritte lesen ein Leben lang nur die Schweizer Illustrierte und sind glücklich damit. Keine dieser Möglichkeiten empfinde ich als falsch.
Was macht ihr beim «Züri Littéraire», um die jüngeren Menschen zu erreichen?
Wir haben beim «Züri Littéraire» bereits ein sehr junges Publikum. Und es kommt auch etwas darauf an, was für Gäste wir eigeladen haben. Ich denke, allein der Veranstaltungsort macht schon sehr viel aus. Im Kaufleuten geht man an tolle Partys, da kann man auch mal ans «Züri Littéraire» gehen. Die Hemmschwelle für die jüngeren Leute, eine Literaturveranstaltung zu besuchen, ist hier viel niedriger als in anderen, etablierten Kulturveranstaltungshäusern. Aber eigentlich ist es überhaupt nicht unser Ziel, die Menschen nach ihren Alterskategorien unterteilt zu erreichen. Wir wollen Leute ansprechen, die sich für Bücher interessieren.
Nach welchen Kriterien wählt ihr eure Gäste aus?
Die Gäste als Personen und natürlich auch ihre Bücher müssen interessant sein. Die einzig wirkliche Einschränkung ist, dass gewisse Autoren keine Lust auf ein spontanes, freies Gespräch haben und sich auch nicht mit anderen Autoren auseinandersetzen wollen. Aber sonst gibt es da kaum Restriktionen bei der Auswahl. Es können Sachbuch-oder Belletristik-Autoren sein oder auch mal Poetry Slam-Künstler. Nächsten Monat kommt beispielsweise Endo Anaconda (Anm. d. Red.: Sänger der Band «Stiller Has»), der Songtexte und Kolumnen schreibt.
Bestimmt ihr das Thema und wählt die Gäste danach aus oder wählt ihr die Gäste und sucht dann nach einem passenden Thema?
Beides kommt vor. Aber inzwischen gehen wir mehr von den Gästen aus. Wenn wir jemanden im Auge haben, dann überlegen wir uns, welches Thema spannend sein könnte und mit wem man diese Person kombinieren könnte. Mit einem Autor kann man meistens viele verschiedene Themen besprechen und je nach zweitem Gast wird dann eines dieser Themen im «Züri Littéraire» umgesetzt.
Hat sich für euch als Moderatoren etwas verändert, seit die Programmleitung des «Züri Littéraire» beim Kaufleuten liegt und nicht mehr bei Urs Heinz Aerni?
Ja, Urs Heinz als literaturliebender Ansprechpartner ist natürlich nicht mehr da, die Gespräche mit ihm fehlen. Aber inzwischen ist es so, dass Röbi Koller und ich das Programm für das «Züri Littéraire» machen. Das Kaufleuten lässt uns da ziemlich freie Hand, was toll ist. So können wir viel experimentieren. Wir sind jetzt in der ersten Saison mit dieser neuen Art des «Züri Littéraire» und bis jetzt sind die Feedbacks sehr positiv. Auch die Zuschauerzahlen stimmen. Das zeigt, dass es sinnvoll ist, wenn wir das Programm gestalten. Wir müssen uns für unsere Gäste interessieren und eine Begeisterung für deren Bücher haben. So prägen wir die Veranstaltung mit.
Du bist Mutter zweier Kinder. Probierst du zu fördern, dass deine Kinder später auch lesen werden?
Beim Ausdruck «Fördern» bekomme ich jeweils ein bisschen Angst. Meine Kinder wachsen in einem Haushalt auf, in dem sich Bücher überall stapeln. Geschichten erzählen gehört zu unserem Alltag. Mein Sohn ist jetzt dreieinhalb und Spazieren findet er grässlich. Die einzige Methode, mit der ich ihn zum Gehen animieren kann, ist, ihm eine Geschichte zu erzählen. Das funktioniert immer. Daher mache ich mir überhaupt keine Sorgen, was ihn und das Lesen betrifft. Ich finde die mündliche Art Geschichten zu erzählen oder auch über Poetry Slam oder in Songtexten mindestens so wertvoll, wie wenn sich einer bereits mit 12 Jahren an Tolstoi wagt.
Was war dein Lieblingsbuch als Kind?
Als kleines Kind «Ronja Räubertochter» von Astrid Lindgren. Das hat mich so berührt und ich fand es super. Später, als Teenager, war ich ein totaler Fan von Vampirgeschichten. Da war ich wohl etwas vor meiner Zeit, denn heute sind diese Geschichten ja überall im Kino. Aber damals war jeder, der Bram Stokers «Dracula» las, der komplette Freak. Ich habe eine riesige Sammlung von Horrorbüchern zuhause. Zwar kann ich keine Horrorfilme schauen, weil ich kein Blut sehen kann. Aber es ist sowieso viel grusliger, wenn man ein Buch von Stephen King liest statt sich den Film anzuschauen.