«Steps»: Ohne Austausch findet keine Entwicklung statt

Interview mit Isabella Spirig
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© Caroline Minjolle

Isabella Spirig war lange Zeit als Tanzpädagogin, Tänzerin und Produktionsleiterin tätig. 1995 gründete sie die Frauentangogruppe Las Tangueras und tourte mit dieser in der Schweiz, Deutschland und Frankreich mit grossem Erfolg. 1993 ist sie als Sachbearbeiterin in das Kulturprozent des Migros-Genossenschafts-Bundes eingetreten. 1998 hat sie die Leitung des Fachbereiches Tanz und somit auch die künstlerische Leitung des Migros-Kulturprozent Tanzfestival «Steps» übernommen. 2005 hat sie das Projekt IntegrART gegründet. IntegrART engagiert sich für eine Erweiterung des Kulturbegriffes über die Grenzen der Norm und setzt sich für die Gleichstellung von Künstlerinnen und Künstlern mit einer Behinderung ein. Sie nimmt außerdem verschiedene Einsitze in Fachgremien und Jurys. Bäckstage hatte die Gelegenheit mit Isabella Spirig über das «Steps» zu sprechen. 

 

Dieses Jahr findet bereits die vierzehnte Ausgabe des Migros-Kulturprozent-Tanzfestivals «Steps» statt. Sie sind seit 1998 als künstlerische Leiterin dabei. Wenn Sie zurückdenken an das erste Festival – was hat sich seither verändert?

 

Seit der Gründung von «Steps» 1988 hat sich die nationale und internationale Tanzszene professionalisiert und die technischen Anforderungen sind höher geworden. Besonders die letzten fünfzehn Jahre waren sehr dynamisch und die Anerkennung des Tanzberufes hat sich stark verbessert. In der Schweiz ist dies zu einem grossen Teil der Arbeit des Tanznetzwerks Reso oder auch des Berufsverbandes der Schweizer Tanzschaffenden Danse Suisse zu verdanken. Das Interesse der Leute am zeitgenössischen Tanzschaffen wächst. 1998 erreichte «Steps» 24.000 Menschen, 2012 waren es bereits 31.000 und ich wage zu behaupten, dass sich dieses Jahr nochmals deutlich mehr Menschen die Vorstellungen ansehen werden. Und dennoch hat sich der Tanz in der Schweiz noch längst nicht etabliert, wie beispielsweise die klassische Musik oder das Theater. An der Grundidee des Festivals hat sich daher nichts verändert: Nach wie vor will es dem Publikum den zeitgenössischen Tanz näher bringen.

 

Welchen Bezug haben Sie persönlich zum Tanz?

 

Ich habe viele Jahre Tango getanzt. Auf der Bühne, ganz klassisch mit Partner einerseits, andererseits hatte ich auch eine eigene kleine Formation. Es waren vier Frauen, die Tango-Klischees auf die Schippe nahmen. Wir hatten mit unseren Auftritten in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich grossen Erfolg. Ich hörte auf zu tanzen, da mir die Stelle als Fachbereichsleiterin Tanz angeboten wurde. Dann musste ich mich entscheiden, beides ging nicht, zumal ich auch einen Sohn habe. Wenn ich mir gelegentlich ein Zeitfenster frei schaufeln kann, dann tanze ich immer noch gerne. Aber schon lange nicht mehr auf der Bühne, sondern zum Vergnügen. Und weil ich nicht mehr so viel zum Tanzen komme, praktiziere ich intensiv Yoga.

 

Bei der künstlerischen Leitung laufen alle Fäden zusammen. Wie wird denn ein Tanzfestival programmiert?

 

Die Arbeit verteilt sich auf mehrere Projekt-Teams. Das Kernteam im Office setzt sich aus sieben Personen zusammen. Ausserdem sind während des Festivals Tanzpädagogen, Tourenbegleiter und PR-Leute unterwegs. Das Programm muss bereits fünfzehn Monate vor Festivalbeginn erstellt sein, da die Veranstaltungspartner es im vorherigen Saisonprogramm erwähnen wollen. Für das nächste Festival im April 2016 ist also bereits im Februar 2015 Redaktionsschluss. Das ist die intensivste Zeit für mich als künstlerische Leiterin. Die Phase der Ideenfindung für das nächste Festival ist jetzt bereits abgeschlossen. Meine Inspirationsquelle sind die Kunstschaffenden selbst. Wann habe ich sonst hundertfünfzig Künstler in der Schweiz, mit denen ich mich über Tanz austauschen kann? Anschliessend folgt die Disponierung der Companys, die eingeladen werden. Das mache aber nicht ich; ich programmiere in der Zwischenzeit ein anderes Festival.

 

«Steps» ist ein Netzwerkprojekt. Wenn sich die rund 700 bis 800 Menschen, die organisatorisch miteinander zu tun haben, nicht austauschen, sind wir verloren!

 

Wie wird das Festival finanziert?

 

Das Migros-Kulturprozent finanziert den grössten Teil. Wir machen die Verträge mit den Companys, kaufen ihre Produktion ein und geben sie quasi subventioniert an die Veranstalter weiter. Die Veranstalter können also die Produktionen im Rahmen des Festivals günstiger einkaufen als auf dem freien Markt. Ausserdem werden die Workshops, welche wir für die Jugendlichen organisieren, von den jeweiligen kantonalen Erziehungsdepartementen finanziert. Zusammenfassend kann man also sagen: Die Kosten werden vom Migros-Kulturprozent, den Veranstaltern und von den verschiedenen Erziehungsdepartementen getragen.

 

Am diesjährigen Festival zeigen zwölf Companys aus Grossbritannien, Indien, Frankreich, Taiwan, Südafrika, Kuba, Israel, Japan, Indien, Belgien, Argentinien und aus der Schweiz ihre Werke. Weshalb haben Sie sich für diese Companys entschieden?

 

Normalerweise lade ich Companys, die mir gefallen, einmal ein, um sie in der Schweiz zu präsentieren. Wenn ich an eine Künstlerperson glaube und sie fördern will, kann es auch vorkommen, dass ich jemanden erneut einlade. Sharon Eyal beispielsweise ist das zweite Mal am Festival vertreten. Sie war Hauschoreographin der Batsheva Dance Company. 2011 hat sie das erste abendfüllende Auftragswerk für die Carte Blanche aus Norwegen choreographiert, mit welchem ich sie dann auch ans «Steps» eingeladen habe. In der Zwischenzeit hat sie ihre eigene Company LEV gegründet. Ich bin mir sicher, dass sie mit ihrer Company Zukunft schreiben wird, da sie eine ganz eigene Handschrift entwickelt hat. Akram Khans Werk passt wunderbar zum diesjährigen Leitmotiv. In Desh setzt sich der in London geborene und aufgewachsene Künstler mit seinen bengalischen Wurzeln auseinander. Ich freue mich sehr, ihn am Festival dabei zu haben. Im Jahr 2000 habe ich die damals noch unbekannt Künstlerin Inbal Pinto erstmals eingeladen. Ich glaube an sie, deshalb ist sie dieses Jahr zusammen mit der Avshalom Pollak Dance Company auch wieder dabei.

 

Das diesjährige Festival-Leitmotiv lautet «Exchange». Wie kam es dazu?

 

Ganz grundsätzlich lässt sich sagen – ohne Austausch findet keine Erneuerung statt und somit auch keine Entwicklung. Was mich als Motiv für die diesjährige Ausgabe vor allem interessiert hat, ist der Austausch zwischen den verschiedenen Tanzstilen. Alle Choreographen, die mit einer Produktion eingeladen wurden, haben ihre Wurzeln in einer populären Kunstform wie Breakdance, Argentinischer Tango, African Dance oder Ballroom Dance. Sie haben alle auch eine professionelle Tanzausbildung absolviert und bringen nun ihre Wurzeln in ihren zeitgenössischen Choreographien auf der Bühne zum Ausdruck. Persönlich interessiert mich auch der Austausch zwischen der freien und der etablierten Tanzszene brennend, weil er dem Tanzschaffen Inspiration und Befruchtung ermöglicht. Ich behaupte, darin liegt die Zukunft. Und dazu kommt natürlich – «Steps» ist ein Netzwerkprojekt. Wenn sich die rund 700 bis 800 Menschen, die organisatorisch miteinander zu tun haben, nicht austauschen, sind wir verloren!

 

Suchen Sie sich die Choreographien anhand des Leitmotivs aus oder wurden die Produktionen als Auftragsarbeiten eigens für das Festival choreographiert?

 

Beides. Arushi Mudgal und Roland Auzet beispielsweis wurden durch «Steps» zusammen gebracht. Roland hat eine indische Tänzerin gesucht und die indische Tänzerin Arushi hat sich gewünscht, einmal aus ihren Mustern auszubrechen und etwas Neues zu probieren. Am 2. Mai 2014 fand die Welturaufführung von «SAMA – I can try» statt. Das Zürcher Ballett hat mit drei Welturaufführungen gestartet. Sie sind ein Geschenk an «Steps». Christian Spuck sagte, er würde gerne bei «Steps» dabei sein und fragte mich, welchen Choreographen ich mir denn noch wünschen würde, welcher mich fasziniere. Als ich Wayne McGregor nannte, meinte er: «Das trifft sich gut, denn er choreographiert ein Auftragswerk für das Zürcher Ballett.» Christian Spuck hat darauf bestanden, dass der dritte Choreograph im Bunde Marco Goecke sein soll. Zum Glück – er ist eine spannende Neuentdeckung für mich. Milonga ist ebenfalls eine Koproduktion und Sidi Larbi Cherkaoui bereits zum zweiten Mal am Festival mit dabei.

 

Das «Tanzfest», «Zürich tanzt» und «Steps» setzen sich Hand in Hand dafür ein, dass sich die Menschen vom Tanz bezaubern und verführen lassen. Wir verstehen uns also als eine Ergänzung und arbeiten zusammen.

 

Inwiefern wird das Festival von den Künstlern auch als Begegnungs- und Vernetzungs-Plattform genutzt?

 

Die Choreographen versuchen natürlich, möglichst viele Vorstellungen zu sehen. Sie fragen bei mir nach, wenn ihnen etwas gefallen hat. Ich mache sie dann miteinander bekannt. Viele spätere Zusammenarbeiten sind im Festival «Steps» begründet. Leider findet zeitgleich zu «Steps» kein anderes Tanzfestival statt. Denn dann sinken auch immer die Reisekosten und es findet noch mehr Austausch statt. Die internationale Tanzszene ist nicht riesig, man kennt sich und weiss, wann und wo etwas Neues entsteht. Man steht in einem regen Austausch und pflegt einen respektvollen Umgang. Zudem besteht ein grosses Netzwerk von Menschen, die viel reisen und sich überall auf der Welt Tanzvorstellungen ansehen und sich gegenseitig Tipps geben. Zu denen zähle ich mich auch. Länder-Plattformen, andere Festivals und ein grosses Netzwerk sind die wichtigsten Austauschmöglichkeiten für die Künstler.

 

Ist «Steps» ins Tanzfest Schweiz eingebettet oder steht man in einem konkurrenzierenden Verhältnis zu einander?

 

Das «Tanzfest», «Zürich tanzt» und «Steps» setzen sich Hand in Hand dafür ein, dass sich die Menschen vom Tanz bezaubern und verführen lassen. Wir verstehen uns also als eine Ergänzung und arbeiten zusammen. Das Tanzfest findet vom 2. bis 4. Mai statt. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, einmal wieder selbst das Tanzbein zu schwingen. Das Programm ist sehr vielfältig, sicherlich beeindruckend ist die Eröffnung in der Bahnhofshalle des Zürcher Hauptbahnhofs. Einige der «Steps» Künstler geben während dieser Zeit Workshops, schmeissen eine Bollywood-Party oder sind andersweitig im Einsatz. Auch da ergeben sich, wenn immer möglich und erwünscht, Synergien.

 

Die Veranstalter des Tanzfest 2014 wollen Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu auffordern, überall zu tanzen – in Bibliotheken, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und natürlich auch in den privaten Wohnzimmern. Wo sind Sie selbst am Tanzfest anzutreffen?

 

Ich selbst tanze an diesem Wochenende nicht in Zürich, sondern in einer anderen Stadt. Das Tanzfest findet ja in der ganzen Schweiz statt.

 

Liebe Frau Spirig, herzlichen Dank für Ihre Zeit und die Beantwortung meiner Fragen.

 

Yolanda Gil / Mo, 05. Mai 2014