Zürcherin Nebno überzeugt mit zweitem Album
«Eyote» sticht beim ersten Hören von «Low Skies» schnell heraus, weil der Song vom lebendigen Hall auf der Stimme umgarnt wird, was dem Gesang eine zarte Mystik verleiht. Zusätzlich wird der glasklare Gesang durch pointiert eingesetzte Klangelemente geschickt unterstrichen und entfacht im Zusammenspiel mit der dicht komponierten, fast filmischen Umwelt, in der so viel passiert, ohne je zu überfordern, ein faszinierendes Universum. Dazu passt, dass Nebno selbst erklärt, die Single basiere auf einem emotionalen Chaos und würde das Gefühl beschreiben, mit einem kleinen Boot über stürmische Gewässer zu reisen. Dieses Gefühl vermittelt die erste Single aus dem Album hervorragend.
Doch schon der Opener «Distance» ist eine tiefgründige wie herzliche Einladung in die Welt der Zürcher Songwriterin Nebno. Wobei, Songwriterin trifft es nicht so ganz, auch wenn sie das zweifellos ist. Es sind mehr als «nur» Songs auf dem zweiten Album «Low Skies», eher ausgedehnte Epen, gekonnt in die Luft gemalt, elegant in die Gehörgänge der Menschen gezeichnet. «Ich habe grundsätzlich eine recht klare Vorstellung davon was mir gefällt, was dem Prozess natürlich hilft. An vielen Werken arbeite ich sehr offen, vieles ist improvisiert», erklärt Nebno zu ihrer Arbeitsweise. Dass sie eine relativ klare Vision vor Augen hat, kann man sehr gut hören. Die Songs klingen federleicht und wirken nie überladen. Das funktioniert nur, weil die Arrangements durchdacht sind.
Platte in Island aufgenommen
Aufgenommen wurde das Album 2020 in den Greenhouse Studios in Island. Mit einer kleinen, aber harmonischen Truppe. So waren Francesco Fabris, der das Album zusammen mit Nebno produziert hat, sowie Ásthildur Ákadóttir am Piano und Ingrid Loftgarden als Flötistin dabei. «Low Skies» klingt weit, irgendwie opulent in seiner kargen Schönheit, und breitet tiefe Soundschluchten und schier endlose Welten aus. Ein sanfter Eindruck von Aufbruch entsteht, es scheint in der Dramaturgie der Platte so als ob man auf eine Reise eingeladen wird, ein Trip durch raue Welten voller blühendem Leben, wenn man genau hinschaut. Island hat es Nebno angetan. Schon das Debüt hat sie dort aufgenommen und 2019 im Interview sagte sie auf die Frage nach dem Grund für die Wahl Islands: «Ich nehme dort den Wind und den Regen intensiver wahr als hier. Das ist noch speziell. Es ist alles sehr klar.» So war die Entscheidung für Island auch beim zweiten Album schnell gefallen. Ausschlaggeben war jedoch nicht Island selbst, sondern mehr das eingespielte Team, das bereits das Debüt «Streams» aufgenommen hat.
Beim Hören von «Low Skies» ertappt man sich bei ambivalenten Gedanken. Einerseits entwirft Nebo ihren völlig eigenen Sound, eine Welt, von Licht und Schatten, genährt durch Euphorie und Melancholie und mit einem wohligen Gefühl von Neugier gefüllt. Gleichzeitig blitzen Namen im Kopf auf, die eigentlich völlig bedeutungslos sind, da man einer eigenständigen Künstlerin zuhört. Aber wahrscheinlich ist aufmerksames Musikhören nach Jahrzehnten des globalen Konsums gar nicht mehr möglich, ohne Assoziationen auszulösen. Natürlich ist man beim Stichwort «Island» schnell bei Namen wie Sigur Ros oder Björk, die sicher eine Rolle für Nebno spielen, aber nicht unmittelbar prägend sind. Allerdings umwebt beispielsweise «Maze» gegen Ende durch die Flötengesänge ein sanfter orientalisch anmutender Hauch und plötzlich scheint Enya hinter einem imaginären Felsen hervorzuschauen. Wer filmaffin ist, könnte durchaus vermuten, einen unbekannten Score von «Herr der Ringe» zu hören. Aber das sind subjektive Empfindung und schmälern glücklicherweise nie die Musik von Nebno.
Nebno - «Eyote»
Das Album lebt dafür von den Gegensätzen. Das ist leicht hörbar der helle, positiv anmutende Gesang, der die teils dunkleren Textpassagen ideal kontrastiert. Aber auch die instrumentalen Kontraste. Beispielweise die helle Flöte, die von dumpfen Drums gespiegelt wird, was durchaus plastisch Licht und Schatten symbolisieren dürfte. Oder die fast unendliche wabernden Synth-Teppiche über die ausgelassen irrlichtende Töne tanzen. Diese Gegensätze machen viel Spass und werden nie langweilig. Und gerade, wenn man sich in der Welt von Nebno akklimatisiert hat, überrascht sie mit «January Song», einem relativ leicht zugängigen Popsong mit einem filigranen Ethno-Touch.
Im Vergleich zum ersten Album scheint die leidenschaftliche Musikerin ihre Stimme nochmals geschliffen zu haben. Egal ob in Höhen oder Tiefen, ob in verhältnismässig poppigen Intros, wie bei «Maze», oder in langen Passagen mit einem Hauch von Esoterik; die Stimme sitzt felsenfest und bildet klar den roten Faden auf «Low Skies». Es ist nicht so, dass Nebno auf der ersten Platte unsicher gewirkt hätte, eher im Gegenteil, aber umso beeindruckender ist, was sie aus ihrer Stimme noch herausholen kann. Nebno ergänzt: «Der Wunsch nach Entwicklung ist stets präsent. Hoffentlich habe ich mich zwischen dem ersten und dem zweiten Werk weiterentwickelt. Schön, wenn das auch in der Stimme erkennbar ist. Ich wollte aber nicht bewusst neue oder andere Facetten zeigen. Das ist einfach das, was mir gerade gefällt, was ich gerade fühle, womit ich mich identifizieren kann.»
Songs, die atmen dürfen
In «Low Skies» darf man dich so richtig verlieren, teils hypnotisch repetitiven Momenten lauschen und eine Welt entdecken, die mit jedem Hören noch neue Details preisgibt. Es sind die filigranen Dynamiken, die geschickt aufgebauten Melodiefäden und das Gespür für eine Atmosphäre, in der die Songs atmen dürfen. Gleichzeitig erlauben die Songs einen konzentrieren Ansatz, ein genaues Betrachten des Mosaiks, das sich Song für Song ausbreitet und wenn man so will, über das Album hinweg ein grosses Ganzes bildet. Schliesslich ist «Low Skies» nicht unbedingt ein Album für zwischendurch, es bestünde die Gefahr, viel zu viel zu verpassen. Oder anders gesagt: Nebno erlaubt es sich, von den Zuhörerinnen und Zuhörern eine gewisse Aufmerksamkeit zu fordern. Das soll in keinster Weise abgehoben klingen, sondern schlicht den Eindruck unterstreichen, dass die Zürcher Musikerin hohe Ansprüche an sich selbst hat und die Songs so konzipiert, wie sie es für richtig hält. Den Kreis zu diesen Eindrücken schliesst die Art, wie sich Nebno als Künstlerin sieht. So steht der Name Nebno für das «Klanguniversum», welches durch die Musik erzeugt wird. Er nimmt mehr Bezug auf das, was kreiert wird, als auf Nebno als Person.
Nebno zeigt sich auf «Low Skies» emotional und tiefgründig und mit klarer Vision. Wer sich die Zeit nimmt und aufmerksam zuhört, kann ein wunderschönes und vielschichtiges Sounduniversum entdecken.
- Künstlerin: Nebno
- Album: «Low Skies»
- Genre: Songwriter, Synth, Indie, Dreampop
- Mehr Infos auf der Website von Nebno
- Das Album ist digital überall erhältlich. Zudem sind über die Website von Nebno Postcard Sets mit Download Code erhältlich.