Eingängige Melodien, schlagkräftige Texte

Plattenkritik: Zwischen den Runden
Bildquelle: 
www.kettcar.net

Mit ihrem vierten Album «Zwischen den Runden» festigen Kettcar ihre Position als Stimme einer Generation, die sich mit dem Erwachsenwerden nicht ganz leicht tut. Die Hamburger kämpfen an forderster Front gegen all die Enttäuschungen, die das Leben so zu bieten hat. «Im Club» zum Beispiel versammeln sich alle, die in einer Sackgasse gelandet sind: «An die trostlosen Helden, die stolzen Versager, die verkannten Genies, kommt alle kurz zusammen / An die verpassten Chancen, das letzte Aufbäumen, die verlorene Liebe, die platzenden Träume, kommt alle kurz zusammen.»

Ein bisschen älter geworden ist die Truppe um Sänger Marcus Wiebusch schon. Auf «Zwischen den Runden» sind die ruhigen Nummern den rockigen zahlenmässig überlegen. Das ist nicht weiter schlimm, denn bei Kettcar sind die leisen nicht die schlimmsten, sondern die besten. Und auch die Perspektive, die Wiebusch in seinen Songs über das Leben, die Liebe und das Älterwerden einnimmt, kann man kaum als jugendlich bezeichnen. «Der apokalyptische Reiter und das besorgte Pferd» handelt von einer Zeit, die definitiv vorbei scheint: «Ich wette, du dachtest wirklich, wir wären auf der Suche. Wir waren auf der Flucht.» Die Worte an einen Jugendfreund – oder an einen Teil der eigenen Persönlichkeit, der schon lange nicht mehr das Sagen hat.

 

Viel Originalität, ein bisschen Gejammer


Kettcar-Songs gehen einem wohlig unter die Haut, denn Wiebusch hat wie kaum jemand sonst die Fähigkeit, Dinge auf seine ganz eigene Art ungemein treffend zu besingen. Dazu gehört der Opener «Rettung», der davon handelt, seiner grossen Liebe nach einer durchzechten Nacht tapfer die Kotze aus den Haaren zu putzen. Mit einem Pragmatismus, auf seine Art unwahrscheinlich romantisch, wird da resümiert: «Liebe ist nicht nur das, was man fühlt. Liebe ist was man tut.
» Mit demselben Thema beschäftigen sich auch «In deinen Armen» und «Weil ich es niemals so oft sagen werde.»


Neben ein paar tollen Liedern gibt es einige unscheinbare, und dann wäre da noch «Schrilles, buntes Hamburg». Und das ist, wie soll man das jetzt ausdrücken? Sagen wir es so: Würde mir jemand sagen, es ist der schlechteste Kettcar-Song aller Zeiten, würde ich nicht allzu heftig protestieren. Hier wird gegen die Touristen und Yuppies gewettert, die Hamburg überfluten. Hey Jungs, wenn ihr eure Stadt in Kult-Hymne so preist («Landungsbrücken raus», 2003), dann müsst ihr auch damit rechnen, dass ihr dazu beiträgt, dass die Massen sie entdecken. Und, obwohl ein bisschen Verständnis angebracht ist (Gentrifizierung ist nichts Schönes), jammernd macht einfach niemand eine gute Figur.

 

Ein Schlag in die Magengrube


Auf der anderen Seite des Spektrums findet sich «Zurück aus Ohlsdorf», ein Stück über den Tod eines entfernten Bekannten. Der Song fährt so richtig ein, obwohl, oder vielleicht eben gerade weil, Wiebusch gänzlich auf Pathos verzichtet. Es ist die Art von Song, der einen den Bus verpassen lässt, auf den man 15 Minuten gewartet hat, weil man wie gelähmt und mit einem Kloss im Hals an der Haltestelle steht und die Welt um einen herum für einen Moment vergisst.

«Zwischen den Runden» ist ein starkes Album. Die zwei, drei Stücke zum Vergessen und der eine Ausrutscher tun niemandem weh, und dass Kettcar einen Preis für innovative musikalische Arrangements gewinnt, wird auch nicht erwartet. Kettcar spielen auch hier ihre Trümpfe aus: eingängige Melodien und geniale Texte, die einen mitten in die Magengrube treffen. Und das sitzt!

Roman Rey / Mo, 20. Feb 2012