Ein Trumpf, der sticht. Das Debüt von Der elektrische Mann

Kritik: Debüt von Der elektrische Mann
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Cover / zVg

Besser kann man ein Album wohl nicht eröffnen. «Ich brauche keine Millionen. Mir fehlt kein Pfennig zum Glück. Ich brauche nichts mehr als Musik, Musik, Musik», heisst es im Opener «Musik Musik Musik» - ein Cover von Johannes Heesters - und exakt so liesse sich das Werk beschreiben. Die Passion für die Musik steht klar im Fokus oder anders formuliert: Der elektrische Mann liebt und lebt Musik in allen Variationen. Die pulsierende Aorta des Projekts sind die elektronische Energiezweige, die aus dem Kopfhörer ausgebreitet werden. So wird eine kreative Welt aufgetürmt, die stilistische unfassbar breit ist, einen bemerkenswert schnell gänzlich erfasst und erreicht, sodass man sich gar bei eigenen Vorurteilen erwischt, weil elektronische Musik gegenwärtig leider viel zu oft grässlich banal und eintönig ist.

 

Auf dem Debüt von Der elektrische Mann ist davon nichts zu spüren. Diese Welt funktioniert nach anderen Regeln – es gibt nämlich keine. Die Band sprudelt über vor Kreativität, verpulvert stellenweise Ideen, die bei manch anderer Band für drei Alben reichen würden und behält dabei eine Aura der ungewollten Coolness. Zudem ist die stilistische Breite umwerfen, alles scheint erlaubt. Man denkt mal an Grauzone oder Kraftwerk, fühlt sich an manche Namen aus dem New Wave erinnert und in ganz seltenen Momenten scheint ein gewisser Jean-Michel Jarre leicht durchzuschimmern. Letztlich ist egal, welches Label das Geschehen im Ohr hat, Hauptsache ist, der Sound macht Spass.

 

Ein Hauch von süffiger Selbstironie

 

Jedenfalls funktioniert das Spiel mit den Ebenen. Wenn bei «Ohne Gewähr» plötzlich auf dem Kopfhörer ein hibbeliges Brummen von links nach rechts springt und später eine Art Bienenschwarmgedröhne aufbrandet, unterstreicht dies die Spielfreude bzw. die Detailverliebtheit, die in den Songs steckt, noch zusätzlich. Gleichzeitig ist die Leichtigkeit, die Der elektrische Mann in der Musik lebt, sommerlich erfrischend. Wer will, findet sogar einen Hauch von süffiger Selbstironie.

 

Auf der sprachlichen Ebene sind knackige Beispiele für Wortwitz zu finden. Beispielsweise in Zeilen wie «Auf deinem T-Shirt steht «I am a Gothic Punk». Und dein Musikgeschmack beruht bloss auf Halbwissen.» oder «„Rette mich“ steht auf dem Spritzbeton. Bin mir fast sicher dass du das warst.» Diese passt wunderbar zum Spielplatz des Schweizer Trios und zeigt, je länger man sich mit dem Debüt beschäftigt, desto mehr Kleinigkeiten entdeckt man. Das ist als Qualitätsmerkmal ein Trumpf, der sticht.

 

Der elektrische Mann - «Sag mir was du denkst»

 

 

Das Trio besteht aus Ane H, der sich schon seit den 80ern und 90ern mit elektronischer Musik beschäftigt und für den Gesang sowie die elektronischen Geräte zuständig ist. An den Saiten zaubert Christian Sommerhalder, der breite Erfahrung als Komponist im Theater- und Filmbereich besitzt. Die Backing Vocals übernimmt Mariana da Cruz. Die brasilianische Bossanova-Sängerin lebt seit 2003 in der Schweiz und versteht es elegant, Akzente zu setzen. So passiert genau das, was man sich wünscht. Alle drei Ebenen greifen harmonisch und bilden zusammen Musik, die – so altbacken das klingt – einige Ohrwürmer kreiert.

 

Handwerklich präzise und langlebig interessant

 

Das intellektuelle Tüpfelchen auf dem klangweltlichen I sind kulturelle Zitate wie etwa die Zeile «Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst» im letzten Song «sosolala». Je nach Perspektive bzw. dem eigenen Alter fühlt man sich an Fanta 4 oder an Juliane Werding erinnert. Das passt ideal zum Eindruck, dass die Band vor allem Spass haben möchte. Solche versteckten Hinweise sind gleich doppelt clever. Einerseits zeigen sie die kreativen Einfälle einer Band und andererseits fühlt man sich beim Hören gebauchpinselt, wenn man die Zitate erkennt. «Gegenwind im Herzen» triggert unter Umständen kurz die eigene Kindheit, wenn ein Beat im Hintergrund an Trickfilmserien wie «Captain Future» erinnert. Ob dies Absicht ist oder Zufall, sei mal dahingestellt, spielt auch gar keine Rolle, sondern flirtet mit den Assoziationen und verdichtet letztendlich das Gesamtbild der Platte.

 

Als letzter Punkt sind da noch die Videos, die narrativ mal mit Bildern aus der frühen Filmgeschichte spielen und diese mit pop-artigen Eindrücken mischt, wie im Video zu «Sag mir was du denkst». So ist Der elektrische Mann auf allen Ebenen völlig verspielt und kreativ, aber handwerklich präzise, was das ganze Album spannend und unvorhersehbar, vor allem aber langlebig interessant macht.

 

Der elektrische Mann schafft es, Elektro mit Retro-Flair durch die Jahrzehnte bis heute zu bringen, überall kleine Anleihen einzusammeln und mit modernen Mitteln letztlich zeitlose Elektro/Popsongs zu erschaffen. Diese Fähigkeit unterstreicht das Debüt eindrücklich.

 

 

Bäckstage Redaktion / Do, 11. Mär 2021