Die raue Schönheit der Meeresküste im musikalischen Herzen

CD-Kritik: Debüt von Tobias Jensen
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Pressefoto / ©Pascal Berger

 

Manchmal klingen die Anfänge der Entstehung neuer Musik nach cineastischer Inszenierung. Das kühle Meer, das schäumend Wellen auftürmt, während der Sand sich um die Füsse schmiegt, vorlaute Möwen kreischen, der Wind sanft ins Gesicht weht und hin und wieder ein Krebs vorbeizieht. Diese Umgebung, die durchaus einen Hauch von Romantik verströmt, hat den kreativen Prozess zum Debütalbum von Tobias Jensen begleitet. «Während der Pandemie fühlte ich mich in meiner Wohnung gefangen. Auch meine Standbeine als Live-Musiker und Live-Techniker waren sozusagen auf dem Abstellgleis. Deswegen zog es mich in den Norden nach Dänemark, wo meine Familie wohnt», erzählt Tobias Jensen. Der schweizerisch-dänische Songwriter hatte ein klares Ziel. Er zog sich in ein Strandhaus an der Ostsee zurück, feuerte den Kamin an und brachte sein Studio auf Betriebstemperatur. Das Knistern des Feuers, das langsam wärmer werdende Haus, aber auch die besondere, kühle Atmosphäre am Meer, sorgten für die richtige Stimmung. «Dank dem willkommenen Tapetenwechsel und der inspirierenden Umgebung am Meer folgten bald auch neue Ideen», unterstreicht er.  So wagte Tobias Jensen die ersten Schritte zu dem, was später «Whats Need To be Said» werden sollte.

 

Gut möglich also, dass diese Umstände dem Album anzuhören sind. Versuchen wir, den Spuren im imaginären Sand zu folgen. Tobias Jensen konnte zuvor schon einige Erfahrungen mit Musik machen. Nach der Matur jobbte er in einem Tonstudio und hat mit der ersten Band Karavann ein Album aufgenommen. Irgendwann grätschte das Leben dazwischen und um finanzielle Sicherheit zu bekommen, begann Tobias nebenberuflich als Maskottchen zu arbeiten und schrieb Songs für andere Künstlerinnen und Künstler. Aber die Musik war ihm immer wichtig und so reifte die Zeit für eine Solokarriere. Selbstständig produzierte er seine Debüt-EP und setzte damit ein erstes Lebenszeichen. Das erfreulich gute Echo unterstrich sein Talent. So wurde er unter anderem zum «SRF 3 Best Talent» gekürt und unterschrieb beim bekannten Schweizer Label muve, was folgerichtig zum Debütalbum führte.

 

 

Mit «Rejsen» zollt Tobias seiner dänischen Seite zurückhaltend, fast zärtlich Tribut.

 

 

Sofort fällt auf, dass die Songs auf dem Album allesamt poppig kurz und knackig sind, was total den Zeitgeist trifft. «High Times» mit einer so cleveren wie singenden Gitarre zeugt bald davon, dass Tobias genau weiss, was er macht und gleichzeitig unterstreicht es seine Erfahrung als Songwriter. Minimalismus scheint ihm fremd zu sein. Der Song ist gemeinsam mit dem renommierten franko-kanadischen Musiker Bobby Bazini entstanden. Zwar nicht am Meer, dafür in den Schweizer Bergen, im Rahmen des Zermatt Unplugged Festivals. Es ist jene Art Song, die bereits beim ersten Hören hängenbleiben. «Different Eyes» zeigt wunderbar, wie Tobias Jensen die Songs mit Leben füllt. Er verlässt sich zwar auf Melodie und Stimme, streut aber gleichzeitig kleine Akzente in den Hintergrund, legt feine Klangstrukturen, die dem Song Breite verleihen. «Steady As The Wind» ist vordergründig ruhig, konzentriert sich hauptsächlich auf Gitarre und Gesang. Je weiter der Song aber voranschreitet, umso mehr passiert, beispielsweise tauchen Streicher auf, die einen geschickten Teppich legen. So ist der Song zwar immer noch reduziert, bleibt aber interessant. Mit «Rejsen» zollt Tobias schliesslich seiner dänischen Seite zurückhaltend, fast zärtlich Tribut. Zwar ist Dänisch schwieriger zu verstehen, also Englisch, aber die Emotionalität der Reise glaubt man durchaus zu erfassen – auch ohne den Text zu verstehen. Ein starker Moment im Album.

 

Tobias Jensen - «Fall Into My Arms»

 

Neben den doch klaren Strukturen und dem Verzicht auf zu überbordende Instrumentalisierung, überzeugt das Album durch die Tatsache, dass Tobias zwar über Themen in seinem Leben singt – vom Hinterfragen von Freundschaften bis zu Themen wie Verlust -, aber trotzdem universell anzusprechen vermag. Dazu sucht er schon Emotionen wie Sehnsucht und Melancholie, verliert aber nie die Lebensfreude aus den Augen. Dazu kommt sein variabler Gesang. Mühelos wechselt er mit seiner warmen Stimme zwischen Brust- und Kopfstimme, schafft so eine emotionale Stimmung und bringt Abwechslung in die Musik.

 

 

Man glaubt zu hören, dass Tobias sich einen Teil der rauen Schönheit der Meeresküste im musikalischen Herzen erhalten hat.

 

 

Der Gesang erinnert zwar gelegentlich an Namen im poppigen Kontext, kopiert aber nie, sondern zitiert maximal hauchdünn. Mal scheint Ed Sheeran spitzbübisch hinter einer Düne hervorzugrinden, an anderer Stelle glaubt man leise Anleihen an Coldplay zu erkennen. Das ist völlig ok, Musik ist längst ein eklektisches Geschäft geworden, bei dem es darauf ankommt, aus vielen Einflüssen, Vorlieben und Prägungen seinen eigenen Stil zu finden. Das gelingt Tobias glaubhaft und authentisch. Zu keinem Zeitpunkt klingt er, als wolle er jemandem nacheifern, sondern eher seine Vision von Musik leidenschaftlich zu verfolgen und das ist eine unbezahlbare Stärke. Tobias selbst nennt als frühe Einflüsse Namen wie Phil Collins, Pink Floyd oder Dire Straits. Später kamen Acts wie Linkin Park, Nirvana, Metallica, aber auch Massive Attack dazu. «Heutzutage inspirieren mich Catt, Fink, Ry X oder Bon Iver, um nur einige Konstanten zu nennen», betont Tobias Jensen und unterstreicht den Eindruck von breiten musikalischen Inputs.

 

Mit «Baltic Sea» endet nach 33 Minuten nicht nur das Pop-Universum von Tobias Jensens Debüt, sondern es schliesst sich auch harmonisch der Kreis zu den ersten Schritten, zur Hütte an der Ostsee, zum Sand, dem Wind, der Brandung und dem wohligen Knistern im Kamin. Die kurzen Songtitel «Fire Place» und «Northern Wind» deuten einen klaren Plan an. «Im kalten Januar war das Rauschen des Meeres und der stürmische Wind meine ständigen Begleiter. Ich nahm diese Geräusche ebenfalls auf und habe sie zusammen mit atmosphärischen Sounds zu Musik gemacht. Auch der Kamin durfte natürlich nicht fehlen. Diese drei Interludes sind ebenfalls auf dem Album zu hören», erzählt Tobias Jensen abschliessend. Man glaubt zu hören, dass Tobias sich einen Teil der rauen Schönheit der Meeresküste im musikalischen Herzen erhalten hat. So oder so verlässt man die pittoreske musikalische Küste von «Whats Need to be Said» und bringt die eine Zeile oder das andere Melodiefragment lange nicht aus dem Ohr. Meist ist das ein deutliches Qualitätsmerkmal.

 

Von der dänischen Ostseeküste bringt Tobias Jensen seine Songs direkt in die Gehörgänge der Menschen und besticht mit einer gefühlvollen Stimme und einem Gespür für Melodien zwischen Melancholie und Lebensfreude.

 

 

Bäckstage Redaktion / Di, 05. Nov 2024