Frank Turner: "Ich habe immer Angst"
Im Januar 2013 beehrten die Dropkick Murphys Zürich. Support für die Amerikaner machte kein Geringerer als Frank Turner. Keine Frage, dass Bäckstage.ch diese Gelegenheit beim Schopf packte und gleich beide Sänger interviewte. Entstanden sind zwei Interviews, die inhaltlich teils eng miteinander verknüpft sind. Unsere Empfehlung: Beide lesen. Denn nur so bekommt man einige Informationen vollständig. Und kleiner Tipp: Mit dem von Frank Turner anfangen (also diesem :-)).
Frank, du wirst bald dein neues Album veröffentlichen. Kannst du uns etwas darüber erzählen, was du bisher niemandem erzählt hast?
Frank Turner: Genau, am 21. April ist es so weit. Dieses Datum hat sich in mein Bewusstsein eingebrannt. Eine etwas spezielle aber lustige Geschichte über die Entstehung dieses Albums: Während den Aufnahmen in Burbank California (USA) begannen wir in den Pausen zu einer nahegelegenen Schiessanlage zu fahren. Das war ziemlich aufregend für mich, weil ich als Kind ausser ein paar Jagdgewehren nie wirklich eine Magnum 45 gehalten habe. Auf jeden Fall erwies sich mein Bassist Tarrant Anderson als sehr geübter Schütze. Sämtliche seiner Schüsse trafen ins Schwarze auf der Zielscheibe. Seitdem habe ich ziemlichen Respekt vor ihm und versuche, ihn nicht zu verärgern. Jedes Mal wenn wir danach im Aufnahmestudio standen, legte er die Zielscheibe mahnend neben das Mischpult und sagte: «Ihr dreht besser den Bass lauter auf!» (lacht schallend).
Das ist doch mal eine nette Geschichte! Und wieso sollten wir das Album nun kaufen?
Erstens ist es ein sehr gutes Album. Ich habe bei den Aufnahmen mein Bestes gegeben und bin sehr stolz auf das Werk. Ich glaube nicht, dass ich es besser hätte machen können. Ausserdem unterstützte mich dabei der Produzent Rich Costey, der bereits mit Künstlern wie Bruce Springsteen und Johnny Cash Alben produziert hatte. Zweitens finde ich es persönlich einfach besser, Musik zu kaufen, statt sie zu stehlen. Aber eigentlich bin ich die falsche Person, um diese Frage zu beantworten. Natürlich finde ich das Album gut. Wäre das nicht der Fall, würde ich jetzt noch im Studio stehen und daran arbeiten.
Die Songtexte auf meinem neuen Album sind über mich als Mensch nicht wirklich positiv
Und ist es, wie deine vergangenen Alben auch, wieder eine Mischung der verschiedenen Musikstile, die du magst?
Ja, genau. Das Album ist ähnlich wie die Scheiben, die ich vorher aufgenommen habe, also nach wie vor etwas zwischen Rock- und Folkmusik. Aber diesmal tendiert es mehr in Richtung klassischer Rock. Die Lyrics sind ausserdem ziemlich persönlich. Meiner Theorie nach machen Bands, die mit der Zeit immer mehr langweilige Musik produzieren, den Fehler immer paranoider zu werden wegen des Gedankens, wer jetzt ihre Musik hören und Lyrics interpretieren wird. Wenn ein junger Musiker sein erstes Album schreibt, sitzt er einfach mit der Gitarre in seinem Zimmer und schüttet beim Schreiben sein Herz aus, ohne sich ein Zielpublikum auszumalen. Das gefällt den Leuten, weil es authentisch ist. Darum habe ich mir für «Tape Deck Heart» vorgenommen, wieder auf diese Art Lyrics zu schreiben. Und jetzt sitze ich wie auf glühenden Kohlen, wenn ich mir überlege, wie diese Texte bei meinen Fans wohl ankommen werden. Denn sie sind ziemlich roh, nicht ausgeschmückt und nicht immer nur positiv über mich als Person. Jetzt bin ich dafür auf diese Art paranoid (lacht).
Hast du schon eine neue Tour geplant, um «Tape Deck Heart» zu promoten?
Wir dürfen keine neue Europa-Tour ansagen, bevor wir nicht die aktuelle Tour mit den Dropkick Murphys beendet haben. Aber wir werden 2013 öfters in Europa und in der Schweiz sein, angefangen mit einer Tour im Mai, dann für ein paar Festivals im Sommer und nochmals im September.
Ja genau, du bist ziemlich oft in der Schweiz.
Das stimmt, das letzte Mal im vergangenen Dezember im Abart. Das war eine tolle Show! Ich fühlte mich sehr geehrt, dass sie mich für eines ihrer letzten Konzerte haben wollten. Ausserdem war es am Abend vor meinem Geburtstag. Um Mitternacht war ich immer noch auf der Bühne – ziemlich betrunken – und begann mir selber vor ausverkauftem Haus «Happy Birthday» zu singen. Am nächsten Tag bei der Heimreise ging es mir allerdings nicht ganz so gut… (lacht). Aber ja, ich habe unterdessen viele Freunde in der Schweiz und darum komme ich immer wieder gerne zurück.
Jeder Musiker hat Angst, dass die Leute einem plötzlich nicht mehr hören wollen
Also hast du keine Angst, dass man dich in der Schweiz irgendwann nicht mehr hören beziehungsweise sehen möchte?
Davor habe ich praktisch jede Sekunde an jedem Tag Angst und nicht nur in Zürich sondern in der ganzen Welt. Diese Furcht davor, dass die Leute einem plötzlich nicht mehr hören wollen, kennt wohl jeder Musiker, auch wenn es viele nicht zugeben. Ich sage dann immer zu mir selber: «Werde erwachsen und versuche, deine Angst zu überwinden.». Da ich nicht das ganze Leben lang über dieses Thema nachdenken kann, muss ich einfach weitermachen.
Ich habe zwei interessante Aussagen von dir gelesen. Erstens, dass du ein Diktator bist, wenn es darum geht, wie deine Bandmitglieder deine Songs spielen sollten. Und zweitens, dass das Schwierigste beim Songwriting mit deiner alten Band «Million Dead» war, dass ihr immer jedes kleinste Detail durchbesprechen musstet. Gibt es zwischen diesen zwei Aussagen einen Zusammenhang?
Also ich würde nicht sagen, dass das Zweite der Grund für das Erste war. Wir lösten «Million Dead» auf, weil wir uns am Schluss gehasst haben. Das wurde vielleicht zu einem Teil von diesem demokratischen Entscheidungssystem verursacht. Nach unserer Trennung wollte ich zwar weiter Musik machen, aber da mich diese Bandpolitiken so verrückt gemacht haben, nur noch alleine mit meiner Gitarre. Diese Befreiung, dass ich nicht mehr andere Leute um die Erlaubnis für jeden einzelnen Akkordwechsel fragen musste, war unglaublich für mich. So begann ich sehr schnell, sehr viele Songs zu schreiben. Ich möchte aber auch erwähnen, dass wir mit «Million Dead» schwierig sein wollten. Komplizierte, seltsame und unbequeme Songs begleitet von komischen Akkordwechseln waren unser Ding. Ich habe so lange solche Musik gemacht und gehört. Als ich begann Johnny Cash und ähnliches zu hören, war das für mich fast eine Art Revolution. Dasselbe mit den Lyrics. Einfach nur simple und klare Texte zu singen statt die Leute mit komplizierten Reimen anzuschreien, war toll.
Was ist das Lustigste, das du je auf Tour erlebt hast?
Schwierig nur ein Erlebnis auszuwählen. Touren ist etwas, für das definitiv nicht alle Leute gemacht sind. Aber mir macht es grossen Spass und daher könnte ich hier stundenlang lustige Geschichten erzählen. Eine gute Story war mit «Million Dead» auf dem Abschlusskonzert einer Tour. Es gibt da diese Tradition, in der man in der letzten Show den anderen Bands einen Streich spielt. Wir waren darin ziemlich gut, aber dieses Mal traf es mich. Damals hatte ich lange Haare und sah ein bisschen aus wie Jesus. Etwa in der Hälfte unseres Sets wurde ich von der anderen Band mit Klebeband an ein selbstgebasteltes Kreuz gebunden — also sprichwörtlich gekreuzigt. Dann wurde mir ein Mikrophonständer unter die Nase gestellt und ich musste so weitersingen. Das Publikum machte sich fast in die Hose vor Lachen.
Was denkst du über die Dropkick Murphys, mit denen du ja im Moment unterwegs bist?
Die sind toll. Es ist ein Vergnügen, mit ihnen zu touren. Wir waren mit ihnen schon im letzten Jahr in den USA unterwegs. Damals kannte ich nur wenige ihrer Songs. Aber ich weiss noch, wie unglaublich nett deren Crew mit uns war, als wir die Tour in Indianapolis begannen. Wir kamen gerade von einer anderen Tour mit einer anderen Band, deren Crew uns ziemlich mies behandelte. Darum war das so ein schönes Erlebnis. Als ich die Dropkick Murphys dann ihr erstes Set spielen sah, war für mich klar, dass das für mich eine der besten Livebands überhaupt ist. Allgemein macht jeder Musiker, der den Auftritt anderer Musiker beobachtet, für sich Notizen, was er verbessern könnte. Ich sass an jenem Abend nur da und dachte mir: «Ich muss einfach besser werden.». So wurden wir sehr gute Freunde. Jetzt sind wir zusammen in Europa unterwegs und in den nächsten Monaten geht es weiter nach Australien.
Könntest du uns einen Gefallen tun und einen kleinen Teil von «My Bonnie is over the Ocean» für uns singen? Wir haben nachher ein Interview mit den Dropkick Murphys und möchten ein kleines Experiment mit ihnen machen. Du kannst auch was Anderes singen, wenn du möchtest.
Etwas von «The Clash» wäre cool. Al Barr und ich hatten gerade gestern eine riesen Diskussion, weil ich deren Album «Sandinista!» grauenvoll finde und er super. Er wurde dabei ziemlich wütend. Aber es fällt mir gerade kein passender Song ein. Darum bleibe ich bei «My Bonnie is over the Ocean».
Übrigens: Es gibt noch 30 DVDs vom Mitschnitt des Abart Konzertes von Frank Turner im Dezember 2011. Das Stück kostet 20 Fr. plus 5 Fr. Porto. Bestellt werden kann die Scheibe ganz einfach über die E-Mail-Adresse: order.ftdvd@gmail.com. Lohnt sich!!!