Anne-Marie: Nicht mal wir haben gratis Eis bekommen.
Im August hat Ed Sheeran zweimal das Letzigrundstadion ausverkauft. Bei beiden Shows hat die Newcomerin Anne-Marie eingeheizt, auch wenn die Hitzewelle, die die Schweiz im Griff hatte, eher nach Abkühlung gerufen hätte. Anne-Marie hat bei beiden Gigs begeistert. Vor dem zweiten Auftritt am Samstag konnten wir mit ihr sprechen. Offen hat sie über das Songschreiben bzw. das Produzieren gesprochen, von nicht so hellen Momenten erzählt und verraten, welchen Anker sie hat, um sich als Mensch treu zu bleiben.
Anne-Marie, wir freuen uns sehr, dass wir dich endlich zum Interview treffen dürfen. Du hattest gestern bereits deinen ersten Auftritt in Zürich als Vorband für Ed Sheeran. Das Wetter hier spielt verrückt. Wir haben um die 33 Grad. Wie hast du das bloss ausgehalten?
Ich bin fast gestorben, es war so warm (lacht). Aber richtig leid getan haben mir die Zuschauer. Die Bühne war im Schatten, aber die Leute waren an der prallen Sonne. Ich nehme mir deshalb auch immer die Zeit und tweete, dass bitte alle genug Wasser trinken und einen Hut mitbringen sollen.
Soviel ich gehört habe, haben sich einige jedoch ein gratis Eis ergattert, also halb so schlimm.
Was? Das ist ja cool. Nicht mal wir haben gratis Eis bekommen. (lacht)
Ich verfolge deine Karriere seit Tag eins. Früher als Frontfrau von Rudimental und heute als Solokünstlerin. Deine Songs und Kollaborationen erklimmen die Charts und du wirst bekannter und bekannter. Musst du dich manchmal piksen und einen Moment Inne halten, um zu realisieren, was hier passiert?
Ja, definitiv. Wenn ich Zeit habe, nehme ich mir einen Moment und versuche zu verstehen, was ich erreicht habe. Ich mache das jedoch nicht zu oft, denn es ist doch eine unglaubliche Sache. Aber es ist schön und wichtig, sich seines Erfolges bewusst zu sein, denn manchmal beginnt man auch an sich zu zweifeln. Erreiche ich die Erwartungen meiner Fans? Bin ich gut genug? Aber ja, ich nehme mir die Zeit.
Hast du manchmal Angst, dass dieser Traum morgen vorbei sein könnte?
Nur wenn die Welt untergeht (lacht). Nein, ich habe keine Angst. Ich glaube, auch wenn das passieren würde, würde ich mit der Musik weitermachen.
Mit dir hier zu sitzen ist als würde ich mit einer Freundin plaudern. Eine deiner besten Eigenschaften sei ja auch, dass du extrem bodenständig bist. Wie behältst du diese?
Hmm. Ich will mich nicht verändern. Ich will nichts werden, was ich nicht bin. Was für einen Sinn würde das machen. Ed Sheeran ist mein bestes Vorbild. Er ist noch immer der Alte. Meine Eltern wären zudem ziemlich enttäuscht und das wäre das absolut Schlimmste. Ich will sein, wer ich will und ich liebe es, Freunde zu finden und dafür muss ich echt sein.
Ich brauche eine Verbindung zu der Person, die mit mir kreativ ist. Sicher werden viele Songs genauso produziert, aber bei mir und allen meinen Kollaborationen, war ich mit im Studio.
Ehrlich sind auch deine Lieder. In «Ciao Adios» oder «Alarm» singst du über Arschlöcher, das Betrügen und über die Liebe. Entsprechen die Lieder wirklich deinen Erfahrungen? Bist du da durch?
Ja, zu 100%. Alles was ich schreibe, sind reale Situationen aus meinem Leben. Ich könnte über nichts schreiben, dass ich erfunden habe. Wir hatten alle schon einmal ein gebrochenes Herz und die Leute fühlen mit mir. Ich bin sehr offen und ich muss immer alles gleich jemandem erzählen. Wieso also sollte ich es nicht einem ganzen Stadion erzählen (lacht). Denn jedesmal wenn ich zum Beispiel «Ciao Adios» performe, steht genau die Person, die mir das angetan hat, vor mir und ich verarbeite jedes Mal ein Stück mehr dieser Geschichte. Halt einfach mit Leuten zusammen, die das gleiche fühlen.
Die heutige Gesellschaft ist verrückt nach Sozialen Medien und neuen Technologien. Du hast gerade erst einen Song mit Marshmellow aufgenommen. Wie muss man sich das vorstellen, sitzt er im Studio in LA und macht den Track, während du in London den Gesang aufnimmst und jemand in New York das dann mischt?
Nein, nicht bei mir. Ich brauche eine Verbindung zu der Person, die mit mir kreativ ist. Sicher werden viele Songs genauso produziert, aber bei mir und allen meinen Kollaborationen, war ich mit im Studio. Ich brauche eine Verbindung zur Person und zum Song, sonst muss ich diesen nicht auf der Bühne performen.
Die Musikindustrie ist taff. Wir sehen das bei vielen Musikern, die in die Drogen fallen oder einfach nicht mehr können. Was, wie ich glaube, irgendwo verständlich ist. Warst du schon einmal an einem Breaking Point?
Ja, ich war drei Mal an einem dieser Punkte. Aber weisst du was, ich habe coole Freunde, die mir meinen Weg aufzeigen, wenn ich ihn nicht mehr sehe.
Der Druck kommt doch auch durch die sozialen Medien? Wir haben alle ein Ideal und streben dieses an, bis wir irgendwann nicht mehr wir selbst sind. Wie geht man damit um, wenn man fast 3 Millionen Follower hat?
Weisst du was, ich habe auch tausend Bilder gemacht und das beste geposted. Aber fuck, ich bin auch nur menschlich und ich habe Scheisstage und ich will ja authentisch sein. Klar verfalle ich dem ganzen Druck und Mainstream manchmal, aber dann versuche ich mich wieder daran zu erinnern, dass ich das doch gar nicht bin.
Du hältst die wahrscheinlich beste Zeit deines Lebens fest, indem du einen Fotografen mit auf Tour hast. Ich bin ein grosser Fan von Will’s Arbeit. Warum hast du ihm das Vertrauen geschenkt, dein einmaliges Leben in Bildern festzuhalten?
Ich hatte einen Videografen auf Tour, dann wollte ich jedoch einen Fotografen. Will hat da mal eine meiner Shows fotografiert und wir kannten uns noch nicht. Aber irgend etwas in seinen Bildern hat mich so fasziniert. Er hat Momente festgehalten, die mir gar nicht bewusst waren. Er hat jeden Moment eingefangen und ich wusste, der bereist die Welt mit mir.
Anne-Marie, es war toll dich kennenzulernen, bleib wie du bist. Einfach grossartig und schenk uns noch viel mehr von deiner Musik.
Anne-Marie - «2002»