PJ Harvey begeistert im Hallenstadion

Konzertkritik: PJ Harvey im Hallenstadion
Bildquelle: 
Bäckstage / © Patrick Holenstein

Text von Thomas Hügli

 

Das Hallenstadion auf ein Drittel seiner Grösse reduziert, ergibt eine familiäre Clubatmosphäre. Mit einer feinen Hundertschaft von Zuschauern wird dieses Gefühl noch verstärkt. So präsentiert sich die Bühne an diesem Abend im Zürcher Hallenstadion eingehüllt in Nebelschwaden, die unablässig aus den Trockeneismaschinen auf die Bühne versprüht werden und von rotweissblauem Licht durchflutet werden. Die ganze Szenerie verliert sich in einer geheimnisvollen, magischen Atmosphäre. Das Publikum fordert seinen Tribut, mit Schreien und Pfiffen locken die Menschen PJ Harvey auf die Bühne. 

 

Buntes Kaleidoskop aus Klängen

 

Sie und ihre Band lassen sich nicht zweimal bitten. In einer Reihe marschieren die Musiker ein. Jeder bewaffnet mit einem Instrument und begleitet von militärischem Trommeln nehmen sie die Bühne in ihren Besitz. 10 Musiker, alles Männer, umgeben die graziöse, anmutige, feingliedrige Sängerin aus England, die schon mehrfach ausgezeichnet wurde in ihrer bereits 28 Jahre dauernden, sehr erfolgreichen Karriere. Ein kurzes, schwarzes Kleid mit schwebenden Stoffverlängerungen an den Armen, ein kleiner Hut mit Federn geschmückt, das Saxophon geschultert, greift sich PJ das Mikrofon und beginnt ihr Konzert mit «Chain of Keys». Wer von PJ Harvey bisher nicht viel bis gar nichts kannte - dazu zähle ich mich -, hat definitiv die Zeit verpennt und eine bedeutende Künstlerin in ihrem bisherigen Schaffen verpasst. Der erste Song an diesem Abend ist dann auch nicht besonders hilfreich, sich rasch eine Meinung zu bilden und ein Gespür für die Musik von PJ Harvey zu bekommen. Schräge Töne vom Saxophon, ein buntes Kaleidoskop aus Klängen von Rasseln, Männerchor und militärischen Trommel-Rhythmen lassen nicht im geringsten erahnen, was da noch auf das Publikum zukommen ist.

 

Fotos: Patrick Holenstein

 

PJ Harvey’s Musik ist bezaubernd, melancholisch, bildgewaltig und vor allem sehr unterhaltend. Sie experimentiert mit Tönen, die neben der Spur laufen, mischt fremde, nicht identifizierbare Laute in ihre Stücke und bleibt doch immer vollkommen professionell und aufregend. Die Setlist von PJ Harvey ist eine Betrachtung ihres Könnens und Erkennens des Protests in ihrer Lyrik. So sind denn auch «The Ministry of Defence» und «The Community of Hope» Stücke, die dem Groove von Hoffnung und Verdammnis folgen. «The Ministry of Social Affairs» ist Jazz von einer bizarren Weise und gipfelt im sensationellen Solo des Saxophonisten. 

 

PJ Harvey ist in ihrer ganzen Art eine Ausnahmekünstlerin, sie hat eine starke Aura und eine eindrückliche Ausdrucksweise in all ihren Bewegungen, die ihre Gefühle auf die Bühne spiegeln. Die vielseitige Band fügt sich in dieses Gesamtkunstwerk nahtlos mit ein und leistet eine handwerklich perfektionierte Begleitung. Und dann passiert am Schluss des Sets das, was sinnbildlich für diesen Abend stehen könnte: PJ Harvey singt «River Anacostia» und verzaubert mit ihrer Stimme, der Lyrik und der Melodie des Stücks erneut die Herzen des begeisterten Publikums.

 

PJ Harvey ist kein Name, den jeder kennt. Sollte aber vielleicht so sein. Das Konzert in Zürich war jedenfalls sehr eindrücklich. Sowohl musikalisch als auch von der künstlerischen Aura her gesehen. 

 

Bäckstage Redaktion / Fr, 28. Okt 2016