Marius Bear vergibt seinen Barhocker
Nach Monaten ohne Konzerte und zuletzt nur wenige kleine, intime Shows mit Maske, sitze ich vor der Bühne am Teich, die die Mühle Hunziken im Sommer jeweils unter freiem Himmel betreibt, und habe eine Träne im Auge. Es ist das erste Konzert seit der Corona-Pandemie, das ich ohne Maske sehen kann. Es fühlt sich herrlich normal an, auch wenn ich mich instinktiv etwas im Hintergrund halte. Ein spezielles Gefühl ist noch da – hoffentlich bleibt es nicht allzu lange.
Auf der Bühne steht an diesem Abend ein Mann, der in der Schweiz regelmässig vor rappelvollen Locations spielt. Marius Bear wird schon seit einiger Zeit als Shooting Star gehandelt, ist aber in der Schweizer Musikszene längst vom Geheimtipp zum fest etablierten Musiker mit hervorragendem Ruf geworden. Das liegt nicht zuletzt an der Kombination aus gefühlvollen Songs und seiner unverkennbaren, dunklen Stimme.
Marius begrüsst die Menschen auf dem vollen Platz kurz, aber herzlich. Es zeigt sich schnell, dass der soulig-jazzige Stil, den Marius gerne mit einem Hauch Pop würzt, die Menschen tief berührt. Die Stimmung ist nach spätestens einer halben Stunde richtig schön aufgeheizt. Man klatscht, tanzt, lauscht der Musik, singt mit und feiert den Künstler. Und er weiss genau, was sein Publikum will. So streut er immer wieder kleine Anekdoten ein. Etwa, dass man am Nachmittag vier Stunden geprobt hätte, weil ein Bandmitglied zuvor 14 Tage in den Ferien gewesen sei. Aber noch viel lieber lässt er die Musik sprechen, was er im Laufe des Sets augenzwinkernd betont: «Ich bin hier, um Musik zu machen und nicht, um zu reden».
Das tut der ausgebildete Songwriter sehr leidenschaftlich. Da sind natürlich Songs vom aktuellen Album «Not Loud Enough» im Set, aber auch neue Songs, wie die aktuelle Single «Roses», die vielleicht bald auf einem nächsten Album sein werden. Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass Marius Songs spielt, die noch nicht einmal aufgenommen wurden, wie er das mit «Strong Arms» in der Vergangenheit gerne getan hat. Marius war früher als Strassenmusiker aktiv und studierte danach in London und schreibt noch heute mit Leuten aus London. Einen neuen Song im Set hat er laut eigener Aussage teilweise in einem Park geschrieben, ist danach zu seinem Produzenten und jetzt sei der Song ein Hit – das hoffe er zumindest. Zwar stimme die Gitarre noch nicht richtig, aber der Rest sei fertig, meint er amüsiert.
Marius wurde im Militär entdeckt, weil er oft gesungen hat und Kollegen die Stimme auffiel, war danach immer wieder als Strassenmusiker unterwegs und hat sich so einen eigenen Stil gesucht und langsam eine Identität erarbeitet. Diese hat er irgendwie auf der Kreuzung zwischen souligen, bluesigen Klängen der Vergangenheit und zeitgenössischen Stilmitteln, die stellenweise an Ed Sheeran erinnern, gefunden und fühlt sich sichtlich wohl damit. Jedenfalls versprüht er am Konzert viel Freude, lebt die Musik so richtig aus und lässt seiner Stimme freuen Lauf und begeistert das Publikum.
Und er kann auch nett sein. Als ihm mitten im Set ein stehender Mann auffällt, bietet Marius diesem seinen Barhocker an und dazu gleich noch eine Umarmung. Für so viel Sympathie und Publikumsnähe bekommt er Applaus. Das sind die Momente, die Marius Bear so charmant wirken lassen. Nach «High Note» meint er, das sei sein zweitletzter Song. Und so findet kurz darauf ein wunderbares Konzert ein stilvolles Ende. Selbst das Wetter spielt mit, obwohl eigentlich Regen angesagt war, ist bis zum letzten Akkord kein Tropfen gefallen.
Marius Bear erobert mühelos die Herzen und verwöhnt mit zeitlos wirkenden Songs und einer unvergesslichen Stimme die Ohren. Das ist pures Balsam für alle, die Konzerte in den letzten Monaten schmerzlich vermisst haben.