The Time of your Life am Greenfield

Festivalkritik: Greenfield 2024
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Bäckstage / ©Joe Bürgi

Am Festivalsamstag, kurz vor 1 Uhr morgens, setzten Green Day mit dem letzten Song des Festivals, der letzten Zeile des Greenfield 2024 einen leisen und genau darum perfekten Schlusspunkt: « I hope you had the time of your life» heisst es am Ende von «Good Riddance» und viele vor der Jungfrau Stage dürften dankbar zugestimmt haben. Gleichzeitig setzte der sanft kontrastierende Song einem energischen Endpunkt im Set der Punkband, die in den 90ern nicht unwichtig für ein Punk-Revival war. Im Fokus standen die beiden Alben «Dookie» (30 Jahre alt) und «American Idiot» (20 Jahre alt). Automatisch zog einen das Set etwas in die Jugend zurück. Songs wie «Basket Case», «When I Come Around» oder «Boulevard Of Broken Dreams» funktionierten live durchaus.

 

Untrennbar: Green Day und ihr betrunkener Hase

 

Green Day pflegen noch immer den schnörkellosen Punk, haben aber am Schlagzeug mit Tré Cool ein Rhythmusmonster, das die Songs stilsicher prägt. Daneben standen verschiedene Musiker auf der Bühne. Etwa Rhythmusgitarrist Jason White, der laut mehreren Quellen zwar Bandmitglied ist, aber nie offiziell genannt wird. So zeigten Green Day einen satten Sound, auch wenn manche Songs sehr ähnlich sind. Bei «Know Your Enemy» holte Frontmann Billie Joe Armstrong eine junge Frau auf die Bühne, die mit ihm singen sollte, aber wenig sang, dafür einfach nur Spass hatte. Wieso auf beiden Seiten der Bühne Bodyguards standen, zeigte sich im Laufe des Sets, als zwei Fans die Bühne stürmten und subito entfernt wurden. So lieferten Green Day – inklusive des betrunkenen, pinken Hasen – einen würdigen Schluss für das Greenfield 2024.

 

Babymetal (©Joe Bürgi)

 

In diesem Jahr haben sich die Schleusen über Interlaken etwas mehr geöffnet als in anderen Jahren, vor allem morgens. Der eine oder andere Schuh dürfte Schlamm gesehen haben und als die Alphörner traditionell am Donnerstag um 14 Uhr das Festival mit «Nothing Else Matters» von Metallica eröffneten, war der Regen zumindest vorübergehend getrocknet und erste Moshpit öffneten sich. Ab diesem Zeitpunkt konnte man sich treiben lassen und Musik entdecken. Etwa Imminence aus Schweden. Die Band, die gerne dem Post-Metalcore zugeschrieben wird, zeigte sich in bestechend und legte wie selbstverständlich Growl-Gesänge über knurrende Gitarren und veredelte ihren Sound mit einer wunderbaren Geige, die fast psychedelische Nuance einfliessen liess. Guano Apes um die charismatische Frontfrau Sandra Nasic zündeten auch nach dreissigjähriger Karriere - durchaus mit Unterbrüchen - immer noch mit Hits wie «Lord of the Boards», die vermutlich mancher in Würde gealterter Alternativrockfan noch aus der Jugend kennt.

 

König Fussball auch Greenfield

 

Payale Royale aus Las Vegas sind gerne gesehene Gäste in der Schweiz und auch am Greenfield hat die Art Rock-/Indie-/Alternativeband durchaus Eindruck hinterlassen. Ebenfalls in manches Gedächtnis eingebrannt haben sich vermutlich All To Get Her aus Zürich. Die Band hat über den Band-Contest den Gig erkämpft und ihr Publikum rasch mit der charismatischen Art und satten Rockbrettern um den Finger gewickelt. Sie hätten jahrelang am Greenfield gezeltet und sich immer wieder gesagt, dass sie irgendwann selbst auf der Bühne stehen würden. «Jetzt ist es so weit. Gebt nicht auf», rief Sänger Andrea Viciconte. Die nahbare und dadurch authentische Band hat keinen Zweifel gelassen, dass ihr knackiger und sauber aufgebaute Sound verdient gewonnen hat.

 

Galerie mit diversen Bands. Fotos: Bäckstage / ©Joe Bürgi

 

Knapp 84‘000 Menschen, etwas weniger als im letzten Jahr, haben trotz den nicht so optimalen Wetterprognosen den Weg ans Greenfield gefunden und gemeinsam ein Wochenende voller Musik gefeiert. Immerhin war es laut Aussage des Greenfield Festivals eine der im Vorfeld regenreichsten Ausgaben. Das zeigte sich etwa dadurch, dass der VIP-Parkplatz am Mittwoch unter Wasser stand. Natürlich wurde neben dem Programm auf den beiden Bühnen (Eiger Stage und Jungfrau Stage) viel geboten. Vom kulinarischen Angebot über den Mittelaltermarkt mit Met, Bogenschiessen oder einem Markt bis zur Metal Church oder dem Metal Yoga. Und als am Samstag plötzlich lauter Jubel über das Gelände dröhnte, war klar, dass auch König Fussball am Festival angekommen ist. Um 15 Uhr war nämlich die Schweizer Nationalmannschaft mit einem 3:1 Sieg über Ungarn erfolgreich in die Europameisterschaft in Deutschland gestartet. König Fussball macht selbt vor Metalheads keinen Stopp. An der Pressekonferenz erzählten die Verantwortlichen, dass sie sich besonders über den Auftritt von Machine Head freuen würden, immerhin sei es der erste Festivalauftritt seit 15 Jahren und grossartig, die Band als erste präsentieren zu können. Generell zieht das Greenfield ein positives Fazit. Es gab wenig Zwischenfälle und das Gelände hat, dank des grossen Asphaltanteils, gut gehalten.

 

Aber zurück zur Musik. Babymetal hatten ihren Kawaii-Metal im Gepäck und wirkten, wie wenn zwei grundverschiedene Welten kollidieren, und das ist ganz bewusstes Konzept. J-Pop trifft Metal und aus dem chaotisch wirkenden Mix entsteht etwas ganz Eigenes. Drei junge, filigrane Frauen standen in der Front der Bühne und im Hintergrund supportete sie einen Band, die regelrechte Bretter in den Himmel schickte. Kraftklub spielten einen sehr sympathischen Gig, zeigten ihre deutschen Alternative-Songs mit richtig viel Leidenschaft und das übertrug sich sofort auf das Publikum. Als die Band im Laufe des Konzertes darum bat, sich hinzusetzen – oder durch den Schlamm in die Knie zu gehen – und an einem bestimmten Punkt aufzustehen und Dinge in die Luft zu werfen, klappte das wunderbar und sah witzig aus. Dazu setzte sich die Band selbst auch hin und spielte einen Song, der nur live gespielt wird. Kraftklub zeigten sich aber auch ernster. Sänger Felix Brummer hielt eine wichtige Rede gegen Hass und Rassismus und die Afd, ohne diese zu namentlich zu nennen. «Sie sind gegen alles, was ausländisch aussieht. Nur weil zehn oder mehr Leute etwas sagen, wird es nicht richtig und bleibt Rassismus», sagte er und das kann man nur unterschreiben.

 

Eluveitie überzeugten auf der ganzen Linie

 

Auch die Schweizer Metalgrösse Eluveitie spielte mit viel Feuer und zeigte krachend viel Charisma und unterstrich einmal mehr, wieso ihr Ruf völlig begründet ist. Mal donnerten die Gitarren, mal rumpelte das Schlagzeug und in manchen Momenten berührte Sängerin Fabienne Erni nur mit ihrer Stimme, ohne Instrumentalisierung. Eluveitie sind Teil des Folk-Metal-Genres und lassen in ihre Musik keltische Elemente einfliessen, weswegen sie dem Celtic Metal nahe sind. Der Bandname geht auf eine Tonscherbe mit Inschrift zurück, die im italienischen Mantua gefunden wurde. Darauf stand Eluveitie, die etruskische Form des keltischen Wortes «Helvetios». Das zeigt, wie klar die Vision der Band ist.

 

Tattoos und laute Stimmen gehören am Greenfield einfach dazu. (©Joe Bürgi)

 

In eine ähnliche Richtung steuerte die Mittelalter-Metalband Feuerschwanz aus Deutschland. Bei ihr steht eher die nordische Mythologie im Fokus. «Kennt ihr denn Donnergott Thor? Was ist mit Loki?», ruft Sänger Hauptmann Feuerschwanz und man ist versucht zu rufen: «Klar! Marvel sei Dank.» Man solle sich in Acht nehmen, Loki sei ein Bastard, ergänzte der Hauptmann. So leitete die Mittelalterrockband in den Song «Bastard von Asgard» ein und unterstrich ihr Faible für die nordische Mythologie eindrücklich. Rasch brachte die Band das Publikum mit Interaktionen wie Odins Rufe aka Oho-Gesänge auf Temperatur. Schön zu sehen, wie die Band mit Dudelsäcken, Feuer und Leidenschaft begeisterte und richtig viel Stimmung erzeugten. Dabei zeigten sie durchaus Sinn für Humor. Der Hauptmann erzählte eine Geschichte davon, wie die Wikinger auf Mallorca gelangt seien und dann stimmte die Band ihre Version von Dragostea Din Tei an. Vor der Bühne war die Stimmung bestens. So bildete sich etwas eine kleine Polonaise im Publikum. Als sich Feuerschwanz mit «The Final Countdown» von Europe verabschiedeten, lief jedes Bandmitglied einzeln einen Steg entlang und liess sich vom Publikum feiern.

 

Sehr umweltbewusste Menschen am Greenfield - dickes Lob dafür

 

Am Donnerstag beendeten Bring Me The Horizon den Konzerttag als Headliner und am Freitag übernahmen diesen Job The Prodigy, die erstmals ohne den verstorbenen Frontmann Keith Flint am Greenfield spielten. Viel Spass verbreiteten Dropkick Murphy. Die Irish-Folk-Rocker aus Quincy, Massachusetts, kämpften zwar anfangs etwas mit der Soundqualität, aber nie mit der Leidenschaft an der Musik. Mit Songs wie «Rose Tattoo» oder «The Streets of Massachusetts», aber auch dem Cover der Fussball-Hymne «You’ll Never Walk Alone» überzeugte die Band, die schon mehrfach am Greenfield gespielt hat, durchwegs.

 

Beim Verlassen des Geländes am Sonntagmorgen fiel das Fazit der drei Tage voller Metal und Rock durchwegs positiv aus. Besonders schön war, wie ordentlich der Campingplatz sich zeigte. Ruft man sich Bilder der Müllberge nach anderen Festivals ins Gedächtnis, scheint das Zielpublikum des Greenfield sich bewusst zu sein, dass am Ende irgendwer den Müll wegräumen muss. Dass daher relativ wenig liegenbleibt, spricht für die Einstellung der Metal Heads, ist sehr sympathisch und sorgte dafür, dass das leicht wehmütige Abschiednehmen, mit einem flüchtigen Gedanken daran passierte, dass man offenbar ein Wochenende mit Menschen verbracht hat, die weiter als ihre Nasenspitze denken.

 

Bäckstage Redaktion / Di, 18. Jun 2024