Snow Patrol und Fanta 4 begeisterten am Stars in Town
Es kann durchaus passieren, dass man in der malerischen Schaffhausener Altstadt mit ihren herrlichen, verwinkelten Gassen den Eingang zum Herrenacker verpasst. Die wunderschöne Konzertlocation, umringt von verschiedenen Häusern, beherbergt jedes Jahr das Stars in Town-Festival und damit nationale und internationale Acts.
Die Ausgabe 2022 hatte neben der Musik noch einige Besonderheiten. Das beliebte Festival durfte nach der Zwangspause durch Corona wieder in voller Pracht stattfinden. Und es war heiss. Richtig heiss. Da kamen bei bis zu 36 Grad die fleissigen Menschen an den Getränkeständen – ca. 600 Freiwillige Helferinnen und Helfer sind jeweils am Festival im Einsatz - kaum noch nach und die Schlangen verlängerten sich zusehends. Dass bei so gutem Wetter um total 50‘000 Menschen das Festival besuchten, erstaunt wenig. Etwas schade war, dass gar viele Tribünen den Herrenacker einrahmten und so Platz belegt wurde, der etwas den Besucherinnen und Besuchern fehlte. Aber die Musik konnte sich an den drei Tagen, an denen ich dabei war, wahrlich sehen lassen.
Texthänger und Chart-Hits
Einen ersten Eindruck haben Snow Patrol hinterlassen. Die britischen Indierocker drückten mächtig auf das Gaspedal und Songs wie «Run» oder «Chasing Cars» brachten die Leute auf Touren. Das Areal war rappelvoll. Dass Sänger Gary Lightbody hin und wieder Texthänger hatte und diese mit einem charmanten «Kann öfter passieren» wegwischte, störte wenig. Schliesslich geht es anderen Acts ähnlich und bei manchen kommen Telepromter zum Einsatz, um Hänger zu verhindern. Snow Patrol liefern eigentlich seit Jahren zuverlässig, was sie auch am Stars in Town getan haben. Zuvor hatte schon der britische Songwriter Tom Walker mit seiner ruhigen Art und mit seiner warmen Stimme gesungen. Walker, mit Mütze und Bart und mit Gitarre um den Hals, versteht es, die Emotionen zu wecken. Immerhin hatte er mit dem Song «Leave A Light On» einen Top-3-Hit in der Schweiz, der natürlich im Set nicht fehlte. Schwer zu verstehen ist dagegen, wie man mit kleinen Kindern ohne Gehörschutz an ein Festival gehen kann. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mein zweiter Tag war fest in deutschsprachiger Hand. Clueso, charmant wie immer, sorgte durch soulig-jazzige Popsongs mit Tiefgang für Stimmung und wurde vom Publikum gefeiert. «Sympathisch und toll» waren nur zwei Attribute, die ihm verliehen wurden. Er gab den Staffelstab an Die Fantastischen Vier weiter. Die Stuttgarter feiern eigentlich ihr dreissigjähriges Bühnenjubiläum, das durch die Pandemie um ein paar Jahre verzögert wurde. So gilt es aktuell die Schnapszahl von 33 Jahren zu zelebrieren. Was Smudo, Thomas D., Michi Beck und And. Ypsilon so richtig leidenschaftlich taten und mit Songs aus drei Jahrzehnen und Klassikern wie «Sie ist weg» oder «Die da» so ziemlich alle auf dem Platz abholten. Fanta 4 sind live schlicht eine sichere Bank und liefern immer. Was dagegen eine Klo-Rolle im Publikum zu suchen hatte, liess sich nicht so klar erläutern.
An meinem letzten Tag verzauberte zuerst Zoe Wees. Die blutjunge und hochprofessionelle Sängerin aus Hamburg verarbeitet in ihren Texten schon mal sehr persönliche Erfahrungen. So singt sie in «Control» über ihre Epilepsie und dass sie nie mehr die Kontrolle verlieren möchte. Diese Worte trafen auf dem pumpenvollen Herrenacker mitten ins Herz. Vielleicht nicht zuletzt, weil die Stimme, die Zoe auspacken kann, dunkel und markant ist. Bei Zoe spielt der Style oft eine Rolle. In Schaffhausen hatte sie so lange Wimpern, dass ihre Augen kaum zu sehen waren. Ganz in schwarz gekleidet und mit langen, grünen Zöpfen abgerundet, wirkte ihr Outfit praktisch und bequem, aber vielleicht mit dem schwarzen Pulli auch etwas warm.
«I’m shoutin’ from the Rooftop» erklärte danach Nico Santos. Der deutsche Musiker und bekennende Michael Jackson-Fan hatte in Schaffhausen ebenfalls leichtes Spiel. Das mag an den eingängigen Songs, aber auch an seinem spitzbübischen Charme liegen. Jedenfalls wurde er mit einem Kreisch-Konzert begrüsst und er bedankte sich bei «Rooftop» mit einem Spaziergang durch das Publikum. Den Schlusspunkt setzte danach Johannes Oerding. Der stets gut gelaunte Songwriter überzeugte mit starken Songs und musikalischen Qualitäten. Schon nach drei Songs stand er im Bühnengraben und ging auf Tuchfühlung mit den Menschen vor der Bühne. Allerdings war bei ihm das Publikum etwas geteilt. Jüngere Fans waren eher noch Nico Santos zugetan, während die nicht mehr ganz so jungen Besucherinnen und Besucher an Johannes viel Spass hatten. Dabei ist es keineswegs so, dass Johannes Oerding Musik für alte Menschen machen würde, sondern halt eher Musik, die man geniessen und bei der man zuhören kann. Das Gute, dass so konträre Acts direkt nacheinander auftraten, ist aber, dass das Programm allen etwas bietet. Zudem sangen die beiden Künstler noch einige Songs gemeinsam, sodass beide Geschmäcker vereint wurden.
Schmerzhaft vermisste Becher
Neben der grossen Bühne bot das Stars in Town aufstrebenden Acts die Talentstage. Dort waren unter anderem Namen wie Sam Himself, Andryy, Caroline Alves, Long Tall Jefferson, From Kid oder Melday zu sehen, die man durchaus in Zukunft auf grösseren Bühnen sehen dürfte.
Ein kleiner Wermutstropfen zum Schluss: Stars in Town hatte in der Vergangenheit immer bedruckte Becher, die äusserst beliebt waren und die man, für den Verzicht auf die 2 Franken Pfand behalten konnte. Leider gab es im 2022 keine dieser Becher und sie wurden schmerzlich vermisst, weil oft danach gefragt wurde. Hoffentlich kehren sie 2023 wieder zurück. Sie halten sehr lange und sind eine ideale Erinnerung an eines der schönsten Festivals der Schweiz.
Es ist richtig schön, wieder auf dem Herrenacker Musik zu hören. Das Programm hatte überzeugt und die kleinen Nebensächlichkeiten schmälern den Eindruck kaum. Das Stars in Town ist in alter Frische wieder da.