Rocken im Ring

Festivalkritik: Rock the Ring 2016
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rockthering.ch

Der Wettergott ist den Festivalbesuchern dieses Jahr nicht wohlgesinnt. «Rock am Ring» beispielsweise musste wegen schweren Unwettern mit mehreren Verletzten sogar mittendrin komplett abgebrochen werden. Da hatten die Schweizer mit ihrem Ring mehr Glück, obwohl auch in Hinwil meistens nicht gerade Sommer-Stimmung herrschte vom 17. bis 19. Juni. Die Stimmung auf dem Gelände war trotzdem super.

 

Kein Wunder, bei dem Line-up. Die ersten grossen Helden spielten bereits am Freitag: Queen. Aber da die legendäre Band ihr Publikum auch exakt 15 Minuten warten liess, um die Spannung zu steigern, will ich auch hier noch nicht näher darauf eingehen, sondern stattdessen erst ein paar Worte zu Marillion sagen. 

 

Queen unfreiwillig unplugged

 

Die britische Progressive-Rock-Band spielte direkt vor Queen und bot in punkto Theatralik eine passende Einstimmung. Sänger Steve Hogarth ist ein Anhänger grosser Gesten und Mimiken, zog sich drei mal um, klebte sich ein Plektrum an die Stirn und bewies sich auch selbst mal an der Gitarre - Mintgrün und mit Fellgurt. Und bei all dem optischen Klimbim blieb nicht ein einziger Zweifel, dass das ganz und gar Steve Hogarth, und keineswegs gespielt war. Gesanglich brauchte Hogarth die ersten zwei Stücke, um sich einzusingen, aber dann brachte er die Songs solide und mit viel Gefühl. Und zwar sowohl die eigenen als auch jene, die Marillion bis 1988 noch mit Fish gespielt hatten. 

 

Zurück, oder Line Up-technisch vorwärts, zu Queen, welche sich ja angemessenerweise eigentlich «Queen + Adam Lambert» nennen. Diese sah man dann auch (nach den exakt abgemessenen 15 Minuten Rockstar-Verspätung) lachend und gestikulierend per Video durch einen Backstage-Bereich gehen, aus welchem sie dann augenscheinlich auf der Bühne erschienen. Adam Lambert sah mit futuristischen Brille aus wie ein Mitglied von Daft Punk, und nicht wie eines der vielleicht bekanntesten Rockband überhaupt. Aber schon nach wenigen Tönen waren alle Zweifel beseitigt. Auf der Bühne und dem Steg wurde eine perfekt inszenierte Show geliefert, Lambert schäkerte mit dem Publikum, zog sich einen der zahlreichen orangen Migros-Hüte an und lachte über die vielen Regen-Pelerinen («You all look like a bunch of condoms»).

 

Leider musste das Konzert kurzzeitig wegen einem heftigen Gewitter unterbrochen werden. Das Publikum liess sich nicht beirren, und auch die Band versuchte ihr bestes, um die Zeit so gut wie möglich zu überbrücken. So sass plötzlich Gitarrist Brian May unter einem riesigen Regenschirm auf dem Steg und sang mit Akustikgitarre «Love of my Life» und auch Drummer Roger Taylor bewies sich am Mikrophon mit «A Kind of Magic». Als die Technik in Sicherheit war, und auch der Regen ein bisschen nachgelassen hatte, sang auch Lambert «Under Pressure» unter dem Schirm, und läutete damit eine Art Finale der bekanntesten Songs ein. Den Schluss bildeten wenig überraschend «Bohemian Rhapsody», «Radio Gaga», «We Will Rock You» und «We Are The Champions». 

 

25 Songs, viel Theater, eine grossartige Show. Queen ohne Freddie Mercury ist nicht ganz Queen, aber wenn schon jemand anderes an deren Front gehört, dann Adam Lambert. Als Musical-Darsteller prädestiniert, trifft er jeden Ton und bringt die nötige Portion Drama in die Show. 

 

«Lady in Black» und die Scorpions

 

Auch der Samstag war ein voller Erfolg, und zeitweise sogar richtig warm und sonnig. So spielten Uriah Heep nach Tempesta und Shakra unter blauem Himmel und wie immer mit sehr viel Power. Sänger Bernie Shaw sang und sprach sich mit ein paar deutschen Sätzen schnell in die Herzen des Publikums. In dieses kam insbesondere bei «Lady in Black» noch mehr Bewegung. 

 

Viel gesprochen hat auch Brent Smith, Sänger von Shinedown. Beinahe ein bisschen zu viel. Lange Anweisungen ans Publikum, zu springen und zu hüpfen, die aber fruchteten, zu singen oder die Bitte, Feuerzeuge oder Handys in die Luft zu halten. Dafür gab es musikalisch nicht viel zu meckern, abgesehen von ein paar Wacklern. Besonderes Zückerchen: Das «Lynyrd Skynyrd»-Cover «Simple Man». 

 

Der Regen setzte pünktlich zu Europe wieder ein. Der Rampensau Joey Tempest machte das aber nichts aus; er sang unbeirrt weiter auf dem Steg, machte seine obligatorischen Mikrophonständer-Posen und versuchte sich in Schweizerdeutsch «Wie gohts euch?»

 

Gut ging’s ihm, dem Publikum, und es freute sich auf die Scorpions, die Samstags-Headliner, die als nächstes auf dem Programm standen. Die Hannoveraner waren ohne James Kottak am Schlagzeug, da dieser krankheitsbedingt ausgefallen ist. Ein würdiger Ersatz wurde in Mikkey Dee gefunden, bisher Drummer von Motörhead. Und auch die Spielfreude, die die Scorpions immer sichtlich an den Tag legen, kam ihnen dadurch nicht abhanden. Die Stimme war stabil, die Soli und Instrumental-Parts göttlich, und auch die alten Songs kamen dank einem 70er-Medley («Steamrock Fever», «Speedy’s Coming», «Catch Your Train») nicht zu kurz.

 

Das alles wurde mit viel Visuellem unterstützt. Grosse Diplays zeigten Bilder, Album-Covers, oder das Lyric-Video zu «We built this House». Natürlich durfte «Wind of Change» nicht fehlen, bei dem alle fleissig mitsangen und -pfiffen, und die Zugabe «Rock You Like a Hurricane», was wohl auch das Motto war. Sauber weggefegt!

 

Flogging Molly mit Jetlag 

 

Der Sonntag lockte deutlich am wenigsten Publikum an, was auch am Wetter liegen dürfte. Skillet machte unter den Anwesenden trotzdem eine sehr gute Stimmung und begeisterte mit mitreissenden Rocksongs mit klassischen Elementen, und ein bisschen auch mit den zwei weiblichen Bandmitgliedern. Die Schlagzeugerin sang für diese Funktion auch noch überraschend viel und gut. 

 

Zu Flogging Molly waren dann schon ein bisschen mehr Leute versammelt, aber immer noch wenig genug, dass der Golden Circle kurzzeitig geöffnet wurde. So konnte doch noch ein anständiger kleiner Pogo-Pit entstehen, wenn auch nicht in dem Ausmass, welches sich die Band gewohnt sein dürfte. Sie kamen gerade erst aus Philadelphia, wo sie am Abend zuvor ein Konzert spielten, und litten dementsprechend unter Jetlag. «We sound like shit but thank you», sagte Sänger Dave King dann auch, und gab gleich darauf irische Tanzeinlagen zum besten. Auch das Publikum war durch den Folkpunk zum Tanzen und hüpfen aufgelegt, und nutzten «Devil’s Dance Floor», welchen Flogging Molly den Opfern von Orlando widmeten.

 

Der Jetlag hielt die Musiker scheinbar nicht vom Trinken ab. Grosszügig verteilten sie ihre Bierdosen auch ans Publikum, und gegen Ende wirkte der Bassist schon ein wenig wacklig auf den Beinen. 

 

Von Flogging Molly aufgeheizt gingt es hoch in den Norden - die Schweden von Mando Diao enterten die Bühne. Mit Fackeln, silbernem Vorhang und Hipstertum pur. Sänger Björn Dixgard liess sich von der Kühle nicht beirren und performte oben ohne. Es gab schon prickelndere Anblicke, gehörte aber wohl zur Show, genau wie die grossen Posen. Vor allem die bekanntesten Hits «Down in the Past», «Gloria» und «Dance With Somebody» fanden grossen Anklang, und das Publikum durfte mitmachen und gefühlte 100 mal «Gloria» brüllen. Eine Band, die eine solide Leistung brachte, aber sicher besser in ein anderes Festival passt. 

 

Godfather of Punk 

 

Der Sonntag war schon fast wieder um - doch es fehlte noch der Auftritt des grossen Godfather of Punk: Iggy Pop. Und als wäre es Absicht, kam kurz davor auch noch die Sonne zum Vorschein. Auch diesmal wurde der Golden Circle wieder kurz geöffnet, und die Masse rannte vor die Bühne, wo Iggy Pop wie immer oben ohne umherstolperte. Der fast 70-jährige hatte sichtliche Hüftprobleme, liess sich davon aber keine Sekunde beirren. Provozierend wie eh und je spielte er mit dem Publikum, und wenn er lachte, schien er fast zu einem anderen Menschen zu werden. Sein neustes Album «Post Pop Depression» wurde im März veröffentlicht, aber von Depression oder auch nur Müdigkeit war keine Spur. 

 

«Real Wild Child» (ein Johnny O’Keefe Cover und Pops erster und grösster Hit) performte er im Graben, und liess sich bereitwillig von den vielen Händen betatschen. Wieder auf der Bühne räkelte er sich auf einem Stuhl und rieb sich an den Kabeln - Iggy Pop live. Und in der Anzahl «Fu*k»-Wörtern macht ihm wahrscheinlich keine Metal-Band und kein Rapper der Welt etwas nach. Geschickt fand er immer eine Einleitung zu seinen Songtiteln («You think I’m just a crazy old man who’s got no idea what day it is. You know what, I do know, it’s SUNDAY!»). Auch bei Iggy Pop entstand ein kleiner Pogo-Pit, und man hätte fast meinen können, der Künstler selbst hätte sich am liebsten mit rein geschmissen. 

 

Drei Tage feinstes Line-up und das Wetter mit ein paar Ausnahme-Momenten gar nicht so schlimm: die dritte Ausgabe des Rock the Ring Festivals war wunderbar. Zwar war wie jedes Jahr der kommerzielle Hintergrund omnipräsent, aber dass dieses Jahr teilweise der Golden Circle auch für normalzahlendes Publikum geöffnet wurde, muss man den Veranstaltern zugute halten. 

 

Nächstes Jahr findet Rock the Ring vom 23. bis 27. Juni statt.

 

Geniales Line-up, immer sehr gute Qualität, praktisches Gelände - Rock the Ring ist jedes Jahr einen Besuch wert. Auch dieses Mal wurde man nicht enttäuscht - und für das Wetter können sie ja nichts. 

 

Seraina Schöpfer / Fr, 01. Jul 2016