Die beste Band der Welt am Greenfield Festival
Am Donnerstag, um Punkt 14 Uhr, weckten Alphornklänge, die traditionell zum Greenfield-Festival gehören, das schlafende Ungeheuer in den Bergen zwischen Eiger und Jungfrau, um für drei Tage mit messerscharfen Gitarren, röhrenden Stimmen und viel, viel Feuer das Leben und den Metal zu feiern. 84‘000 Besucherinnen und Besucher zog es nach Interlaken, davon waren rund 48% weiblich. Eine hohe Quote, die dafürspricht, dass sich Frauen am Greenfield sehr wohl fühlen. Aber zur Musik.
Less Than Jake aus Florida erwiesen sich im Anschluss an den Alphornchor als der perfekte Opener. Knackig, lebendig und mit treibenden SKA-Beats beschalten sie das Gelände. Dabei unterstützte sie punktuell ein Mann in gelbem Trainingsanzug und Totenschädel. Amüsante Idee. Die Band sorgte für ausgelassene Stimmung, erste Moshpits und vertrieb die etwas dunkleren Wolken am Himmel über Interlaken.
The HU spielen Metal mit mongolischen Elementen, was der Truppe ein markantes Erkennungszeichen verleiht. Instrumente werden schon mal auf den Traditionen der Heimat aufgebaut und dieser völlig authentische Ansatz machte The HU am Greenfield zu einer Entdeckung, von der sicherlich noch zu hören sein wird. Sie übergaben am Eröffnungstag das Mikrofon an die US-amerikanischen Alternative Rocker von Papa Roach, die am frühen Abend kompromisslos unterstrichen, wieso sie seit dem Hit «Last Resort» nie weg vom Fenster waren. Sie spielten einen beeindruckend energiegeladenen Gig mit viel Pyro und einigen Coverversionen wie «Firestarter» von The Prodigy. Bei «Scars» bat Sänger Jacoby Shaddix um Handylichter, die den Platz vor der Bühne erhellen sollten, und erzeugte einen andächtigen Moment.
Papa Roach mitten im Feuer. (Foto: © Christoph Gurtner / Stagetime.ch)
Der Headliner-Slot gehörte aber der selbsternannten «Besten Band der Welt», den Ärzten aus Berlin. Und diese hauten als Opener gleich «Westerland» in die kühle Frühsommerluft, einen der ganz grossen Klassiker, den sie zuletzt nicht mehr in jedem Set hatten. Belafarinrod, wie sie mit dem ironischen Zusatz «Es gibt nur einen Gott» in Fankreisen genannt werden, zeigten ein fein justiertes Set aus Klassikern wie der Anti-Nazi-Hymne «Schrei nach Liebe», den frühen Singles «Hurra» und «Zu spät» oder dem Eltern-Kind-Clash «Junge». Dazu kramte das Trio feine Fanlieblinge wie «Meine Freunde» aus. Natürlich darf der Humor bei keiner Ärzte-Show fehlen und das gegenseitige Sticheln, wenn das auch nicht bei allen so gut ankommt, gehört zur Punkband aus Berlin. Mit ihrem zweieinhalbstündigen Set neigte sich der erste Konzerttag dem Ende zu.
Die Menschen strömten in Richtung Partyzelte, besuchten die fantastische, an die «Mad Max»-Filme oder Steampunk-Elemente angelehnte Welt im Shelter 666 oder gönnten sich im Mittelaltermarkt etwas Met oder eine Art feinen Baumkuchen mit Zucker und Zimt.
Freitag: Progressive Rock, blaue Mähne und Crowdsurfing
Jeweils am Morgen schwebten Klänge der Soundchecks auf der Jungfrau Stage über das Gelände. Wer also wollte, konnte an allen drei Tagen kleinen Eindrücken des musikalischen Tages lauschen.
Ein erstes Highlight am zweiten Festivaltag setzen Coheed and Cambria, die für Progressive Rock stehen und einen hervorragenden Ruf besitzen. Sie sind kurzfristig eingesprungen, weil eine andere Band absagen musste. Das störte die Band aus New York aber nicht. Mit beeindruckender Präzision malten sie ihre Songs in den Himmel, zeigten dass sie eine Qualität besitzen, die schlicht begeistert und rundeten ihren Gig mit viel Eleganz und Verständnis für ihre Musik ab. Schön zu hören, wie sie die Songs aufbauen und sich die einzelnen Elemente wie bei einem Kunstwerk verbinden. Einziger Wehrmutstropfen war, dass die Band im Nachmittagsslot nicht so viel Publikum anlockte. Vielleicht wäre die Band in einer dunklen Halle besser angekommen oder es wollten viele bei sehr sommerlichen Temperaturen nach den wenigen Schattenplätzen suchen. Coheed and Cambria - der Bandname bezieht sich auf ein Ehepaar, das im konzeptuellen Werk der Band viele Abenteuer erlebt -, haben die Latte richtig hochgelegt.
Am Abend standen die Fanlieblinge Arch Enemy im Line-up. Die schwedische Band pflegt einen von Melodic Death-Metal geprägten Sound. Der satte, treibende Teppich trug Sängerin Alissa White-Gluz, sodass sie ihre kraftvolle Stimme mit voller Bandbreite entfachen konnte. In der Kombination zu den galoppierenden Gitarren und dem pulsierenden Schlagzeug entstand eine urgewaltige Energie.
Parkway Drive waren im Gegensatz zu Arch Enemy fast ruhig unterwegs, obwohl die australische Band im Metalcore zuhause ist. Trotz des inzwischen regnerischen und deutlich kühleren Wetters heizten die Jungs ein, spielten mit dem Publikum und Crowdsurfing, was eigentlich am Greenfield untersagt ist, war allgegenwärtig. Sogar Sänger Winston McCall liess sich über die Köpfe des Publikums tragen und sang einen Song mitten in der Menge. Worauf er stand, damit er aus den Menschen ragte, war leider nicht so richtig zu sehen. Nach dem Intermezzo trieb er auf dem Rücken zurück zur Bühne und machte Rückenschwimmbewegungen. Ein amüsanter Einfall. Nach den Australiern schlossen Sabaton, natürlich mit dem obligaten Panzer als Bühnendeko, den zweiten Tag ab.
Samstag: Metalcore aus Baselland, Lzzy Hale und ein pinkes Flamingo-Gummiboot
Von der Abkühlung des Vorabends war am Samstag nicht mehr viel zu spüren. Die Sonne pumpte alle Energie auf das Festivalgelände und heizte schon vor dem ersten Konzert mächtig ein. Anti-Flag punkrockten sich etwas später durch ein frühes Set, lieferten sauber ab und setzten ein erstes Highlight. Ideal, um eine erste Akkorddusche abzuholen. Kurz darauf spielten Moment of Madness am recht heissen Samstagnachmittag auf der Eiger Stage und machten der Sonne Konkurrenz. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. Schatten war sowieso Mangelware. Die Metalcore-Band aus Baselland verstand es aber mit gutem Händchen, die Menschen abzuholen. Sänger Andrea Leandro Perin sprang unermüdlich auf der Bühne herum, stellte sich immer wieder auf die Boxen am Bühnenrand, um dem Publikum nahe zu sein und seine Kollegen im Rücken sorgten für knackigen Metal. Wenig erstaunlich, dass bei der Energie ihr Gig zum euphorischen Selbstläufer wurde.
Lzzy Hale von Halestorm betrat im nächsten Slot die Jungfrau Stage erst ganz alleine, röhrte eine paar Worte in die Menge, schlug ihre Gitarrensaiten an und schon assen ihr die Fans aus der Hand. Beeindruckend zu beobachten, gerade weil Frauen in diesem Jahr stark untervertreten waren. Die Rockband aus den USA hat über 2 Millionen Alben verkauft und wenn man Lzzy und ihren Kollegen so bei der Arbeit zuschaute, zeigte sich sofort, wieso das so ist. Satter Hardrock als Basis und eine Frontfrau, die stimmlich wie ein Fels in der Brandung stand.
Lzzy Hale rockte mit Halestorm die Jungfrau Stage. (Foto: © Christoph Gurtner / stagetime.ch)
The Boss Hoss, «all the way from Berlin, Alabama», feierten ihre Premiere am Greenfield. Die herrliche Mischung aus Selbsthumor und bestechender Country/Metal/Rock/Blues-Mischung zündete von Beginn weg. Dazu nutzen Boss Hoss viel Pyro und hatten mit dreiköpfiger Bläserfraktion sowie Gitarren, Bass und Schlagzeug sehr viel Betrieb auf der Bühne. Trotzdem war der Sound gut und die Stimmung erreichte Höhen, die den Abend so richtig lancierten.
Etwa für Wolfmother, die erst spät zum Line-up stiessen, aber eine Bereicherung waren. Die australische Psychedelic Rockband, die dazu Anleihen bei Classic Rock hat, besticht durch wuchtige Gitarrenriffs, eingängige Melodiebögen und der leicht nasalen Stimme von Andrew Stockdale. «Woman» sowie «Joker & The Thief» sind inzwischen Hits und sie flankierten am Greenfield ein spannendes Set.
Unbezahlbare Momente für In Extremo
Irgendwann im Laufe des folgenden Gigs von In Extremo setzte sich Sänger Das letzte Einhorn auf eine Box, hielt einen Moment inne und lauschte den tausenden Menschen, die in eindrücklichem Chor «Sternhagelvoll, zwei Promille über Soll» grölten. Diese Energie, dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit, wenn 10‘000 Kehlen gemeinsam singen, kann man sich nicht kaufen. Das muss für eine Band ein ganz spezieller Glücksmoment sein. Aber bis zu diesem Punkt haben In Extremo bereits schwer begeistert und ein Fan surfte mit einem pinken Flamingo-Gummiboot über die Köpfe. Mit ihrem stilistisch klar ans Mittelalter angelegten Sound, hat sich die Band aus Deutschland einen idealen Stand in der Branche erarbeitet. Mit teilweise selbstgebauten Instrumenten, wie den Dudelsäcken von Dr. Pymonte, haben In Extremo Elemente in ihrem Sound, die sie unverkennbar machen. Die Band ist eine Bank und live nicht nur ein sicherer Wert, sondern ein qualitativer Genuss.
Das letzte Einhorn ist Sänger bei In Extremo, die einen bestechend guten Gig lieferten. (Foto: © Christoph Gurtner / stagetime.ch)
Mit Amon Amarth wurden die Klänge wieder etwas roher, wenn auch thematisch nicht so weit von In Extremo entfernt. Die schwedische Melodic Death Metal-Band hat ihren Namen vom Schicksalsberg aus Tolkiens «Herr der Ringe» und nutzt als Konzept für Platten und Bühnenaufbau die Wikingerzeit. Ein grosser Helm und zwei riesige Wikinger säumten auch am Greenfield die Bühne. Sänger Johan Hegg pflegte in seinem rohen Gesang gerne das genretypische Shouting und entfachte damit mühelos eine bemerkenswerte Kraft. Dazu sorgte der brachiale Metal der Band, der bewusst rau und archaisch klingt, einen energetischen Wirbelsturm, dem man sich kaum entziehen konnte. Die Urgewalt, die Amon Amarth auf der Bühne entfachten, erzeugte die ideale Temperatur für den letzten Act, die Headliner von Slipknot. Die Metalband aus Iowa (USA) zählt zu den erfolgreichsten Metalbands der Stunde und füllt mühelos die Hallen. Am Greenfield setzten sie einen gewaltigen Schlusspunkt.
Danach wurde der Bogen zur Alphornmusik vom Eröffnungstag geschlossen, indem die circa 8 Meter hohe Metal Hand verbrannt wurde, um das Ungeheuer irgendwo zwischen Eiger und Jungfrau wieder zum Schlafen zu bringen. In einem Jahr wird es erneut geweckt, nämlich vom 13. – 15. Juni 2024. Der Vorverkauf läuft.
Mit 84‘000 Menschen konnte das Greenfield den Rekord aus dem Vorjahr halten und mit dem vielseitigen Line-up wurden alle Geschmäcker im Spektrum von Gitarren geprägter Musik zufriedengestellt.
Alle Fotos stammen von Christoph Gurtner, der stagetime.ch betreibt. Wir bedanken und herzlich für die freundliche Genehmigung zur Nutzung.